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Politik

Polizei bei Nawalny-Demo: Ein Tritt zu viel?

Roman Goncharenko
25. Januar 2021

Bei Protesten gegen die Inhaftierung des Oppositionellen Alexej Nawalny ging die russische Polizei brutal vor. Ein Fall aus St. Petersburg sorgt für Empörung. Es folgte eine ungewöhnliche Reaktion der Sicherheitskräfte.

Proteste in St. Petersburg am 23.1.2021
Proteste in St. Petersburg am 23.1.2021Bild: Dmitri Lovetsky/AP Photo/picture alliance

Für russische Verhältnisse sind es seltene Aufnahmen, die der Fernsehsender Ren-TV am Sonntag verbreitete: Ein Polizist in St. Petersburg entschuldigt sich bei einer Frau, die er einen Tag zuvor während der Proteste gegen die Inhaftieren des Oppositionsführers Alexej Nawalny brutal attackiert hatte. Ein Handyvideo zeigt, wie ein Uniformierter mit Gesichtsmaske der im Krankenbett liegenden Frau Blumen überreicht. Er sei zuvor mit Reizgas angegriffen worden und sein Visier sei beschlagen gewesen, versucht der Mann sein Vorgehen zu erklären. Der Vorfall sei für ihn eine "persönliche Tragödie". "Machen Sie sich keine Sorgen. Alle sind am Leben", antwortet die Betroffene mit schwacher Stimme. Auch ein Polizeioberst hatte die Frau besucht und sich bei ihr entschuldigt, berichten russische Medien. Was ist da passiert? 

Tritt in den Bauch 

Die Frau, deren Geschichte gerade Schlagzeilen in Russland macht, heißt Margarita J., ist 54 Jahre alt und kommt aus einer Provinzstadt im Gebiet St. Petersburg. Als am Samstag Zehntausende in ganz Russland dem Aufruf des inhaftierten Oppositionspolitikers Nawalny folgen und trotz Demonstrationsverbots auf den Straßen seine Freilassung fordern, steht Margarita J. auf dem Prachtboulevard Newski-Prospekt in St. Petersburg. Sie sieht, wie Polizisten einen Mann abführen und fragt, was er getan habe. Als Antwort tritt ein Beamter sie im Vorbeigehen in den Bauch. Es wirkt, als wolle er sie kaltblütig aus dem Weg schubsen - wie einen Gegenstand. Margarita J. stürzt zu Boden, verletzt sich am Kopf und wird in ein Krankenhaus gebracht.

Polizisten nehmen Demonstranten bei Protesten am Samstag in Moskau festBild: Maxim Shemetov/REUTERS/REUTERS

Über ihren Gesundheitszustand gibt es widersprüchliche Angaben. Zunächst hieß, sie sei bewusstlos. Doch offenbar konnte Margarita J. das Krankenhaus inzwischen verlassen und wird in einer Klinik in ihrem Wohnort weiter behandelt.

Empörung und Spott in sozialen Netzwerken

Der Vorfall wurde von einem Passanten mit einer Handykamera gefilmt und verbreitete sich rasant im Internet. In sozialen Netzwerken breitete sich Empörung, aber auch Spott aus. Der oppositionsnahe Musiker und Sänger Wassja Oblomow veröffentlichte ein satirisches Lied, in dem er sich über eine Aussage des Polizisten im sogenannten "Entschuldigungsvideo" lustig macht. Der Polizist sagt darin, sein Visier sei beschlagen gewesen, wobei auf der Straßenaufnahme zu sehen ist, dass es nach oben geklappt war.

Nun gibt es Forderungen, den mutmaßlichen Täter zu bestrafen. Boris Wischnewskij, Abgeordneter des St. Petersburger Stadtrats für die oppositionelle linksliberale "Jabloko-Partei", appellierte am Montag an die zuständigen Behörden, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. "Es handelt sich um Amtsmissbrauch mit Gewalteinsatz", sagte Wischnewskij in Gespräch mit der DW. "Ich hoffe, dass der Fall vor Gericht landet."

Versucht die Regierung den Druck der Straße zu mildern? 

Sollte das passieren, wäre das ein äußerst seltener Fall. Polizeigewalt bei oppositionellen Demonstrationen gehört zum Alltag in Russland. Auch am vergangenen Wochenende ging die Bereitschaftspolizei mit Schlagstöcken gegen Nawalny-Anhänger vor, es gab tausende Festnahmen. Wie viele Personen dabei verletzt wurden, ist noch unklar.

Elena Schachowa, Leiterin der St. Petersburger Menschenrechtsorganisation "Graschdanskij Kontrol" (Zivile Kontrolle), hat am Samstag mit Kolleginnen und Kollegen mehrere Polizeireviere besucht, um die Behandlung von Festgenommenen zu dokumentieren. Sie habe dabei nur einen Mann getroffen, der sich über unverhältnismäßige Gewalt seitens der Polizei beschwerte und in eine Krankenhaus gebracht wurde, sagt Schachowa. Der Fall Margarita J. sei für sie "außerordentlich". "Das ist mit nichts zu rechtfertigen", sagt die Menschenrechtlerin. Der gewalttätige Beamte und seine Vorgesetzten sollten entlassen werden: "Da helfen keine Besuche mit Blumen". 

Boris WischnewskijBild: DW/V. Izotov

Boris Wischnewskij hält ein Gerichtsverfahren in diesem Fall für "sehr wichtig". Das bisherige Vorgehen der Polizei in Russland basiere auf der Annahme, dass es für die Beamten keine strafrechtlichen Konsequenzen für gewalttätiges Vorgehen gebe, so der Oppositionspolitiker. Wenn die Polizeigewalt aber nicht mehr durch den Staat gedeckt werde, dann würde sich auch das Verhalten der Beamten ändern, so seine These.

Vor diesem Hintergrund zeigte sich der Oppositionspolitiker verwundert über die Entschuldigung der Polizei in seiner Heimatstadt St. Petersburg. "Die Stimmung in der Gesellschaft hat sich verändert: Die Bürger sind deutlich stärker verärgert und weniger loyal gegenüber der Obrigkeit", sagt Wischnewskij. "Die Regierung versteht, dass der Druck im Kessel steigt und sucht nach Wegen, den Dampf abzulassen." Die Tatsache, dass sogar ein Abgeordneter der Kreml-Partei "Geeintes Russland", Alexander Hinstein, eine Untersuchung des Vorfalls mit Margarita J. gefordert hatte, sei ebenfalls bemerkenswert.

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