GdP kritisiert Manipulation von Amri-Akten
18. Mai 2017Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat die mutmaßliche Manipulation von Ermittlungsergebnissen im Fall des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri verurteilt. "Wir haben dafür keinerlei Verständnis", sagte der Berliner GdP-Sprecher Benjamin Jendro der Deutschen Presse-Agentur. Falls Akten nachträglich verändert und Dinge vertuscht worden seien, sei das eine Straftat und auch nicht mit möglichem Druck innerhalb der Behörde zu entschuldigen.
Der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte am Mittwoch öffentlich gemacht, dass Akten zu Amris Drogenhandel nachträglich verändert wurden. Über die Motive dafür lasse sich nur spekulieren. Möglicherweise hätten Mitarbeiter des Berliner Landeskriminalamts (LKA) vertuschen wollen, dass sie den Terroristen schon im November hätten festnehmen und so den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt hätten verhindern können.
Keine Garantie für tatsächliche Haft
Die Tatsache, dass Amri vor dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt nicht wegen Drogenhandels festgenommen wurde, sei mit dem damaligen Wissen allerdings nicht unbedingt falsch, ergänzte Jendro. "Es gibt keine Garantie, dass er auch in Haft gekommen wäre." Beim Drogenhandel gehe es zudem oft darum, an Hintermänner zu kommen. "Man kann nicht sagen, die Kollegen haben definitiv einen Fehler gemacht", sagte Jendro. "Den Anschlag auf dem Breitscheidplatz hätten wir mit einer Festnahme nicht einhundertprozentig verhindern können."
Rund sechs Wochen nach dem Unterlassen der offenbar möglichen Festnahme hatte der Tunesier Amri ein islamistisch motiviertes Attentat verübt. Bei dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz tötete Amri am 19. Dezember mit einem gestohlenen Lastwagen zwölf Menschen und verletzte dutzende weitere. Der Täter wurde auf der Flucht bei einer Polizeikontrolle in Norditalien erschossen.
Strafvereitelung im Amt?
Zu den jüngsten Erkenntnissen zu dem folgenschwersten islamistischen Terroranschlag in Deutschland sagte Geisel: "Wir müssen davon ausgehen, dass die Vorwürfe im Raum stehen - Strafvereitelung zugunsten Anis Amri und Falschbeurkundung." Er habe deshalb Strafanzeige gegen Unbekannt im LKA erstattet und disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet, sagte der Innensenator. Er wollte sich nicht näher zu verdächtigen LKA-Mitarbeitern äußern. "Sollte im LKA etwas verschleiert worden seien, werden wir das aufklären", versicherte er.
Die Vorwürfe drehen sich um die Auswertung einer Ende September 2016 eingestellten Überwachung von Amris Telekommunikationsdaten. Geisel sagte, der Sonderermittler Bruno Jost habe dazu in eigens vom LKA angeforderten Dokumenten widersprüchliche Angaben aufgespürt. In einem Dokument vom 1. November sei festgehalten worden, dass Amri nach Erkenntnissen der Überwachung gewerbs- und bandenmäßigen Drogenhandel betreibe. "Nach Ansicht von Experten hätten diese Erkenntnisse ausgereicht, um bei der Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl zu erwirken." Dies sei aber nicht geschehen, mutmaßlich weil Amri für die Ermittler nur als islamistischer Gefährder interessant gewesen sei, sagte Geisel.
"Es gibt darüber hinaus ein weiteres Dokument vom LKA Berlin, das am 17. Januar 2017 erstellt wurde, das aber offensichtlich auf den 1. November 2016 zurückdatiert wurde", sagte Geisel. "In diesem Dokument wird nur noch von Kleinsthandel mit Betäubungsmitteln gesprochen." In einem solchen Fall sei eine Festnahme nicht zwingend geboten. Die zuständigen Ermittler hätten offenbar versucht, ihr Versäumnis des nicht beantragten Haftbefehls zu vertuschen.
Versäumnisse auch in NRW
Bei der Aufarbeitung des Attentats waren schon zuvor mehrere Versäumnisse zutage getreten. So war Amri wegen diverser Vergehen polizeibekannt und auch als Gefährder eingestuft. Während sich im Landtag von Nordrhein-Westfalen ein Untersuchungsausschuss mit möglichen Fehlern der dortigen Sicherheitsbehörden befasst, setzte der Berliner Senat den früheren Bundesanwalt Jost als Sonderermittler ein. Das Berliner Abgeordnetenhaus diskutierte an diesem Donnerstag in einer Aktuellen Stunde über den Fall.
Angesichts der neuen Erkenntnisse in Berlin wurde abermals der Ruf nach einem weiteren Untersuchungsausschuss laut. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, forderte ein solches Gremium im Bundestag. "Ein Untersuchungsausschuss ist dringlicher denn je", sagte sie der "Berliner Zeitung". Dieser Forderung schloss sich inzwischen auch die Obfrau der Grünen im Düsseldorfer Amri-Untersuchungsausschuss, Monika Düker, in der letzten Sitzung des Gremiums in dieser Wahlperiode an. Auch Obleute der CDU und FDP forderten weitere Aufklärung.
kle/ml (afp, dpa, rtr)