Polizeistaaten an Europas Außengrenzen
18. Oktober 2004Angesichts der politischen Weichenstellungen in den kommenden Wochen bei den neuen Nachbarn der Europäischen Union - in Belarus wird über eine Fortsetzung der Amtsgeschäfte von Alexander Lukaschenko abgestimmt und gleichzeitig finden Parlamentswahlen statt, in der Ukraine wird Ende Oktober ein neuer Präsident gewählt und in der Republik Moldau stehen in einem halben Jahr Parlamentswahlen an - sieht sich Europa mit der Frage konfrontiert, wie es mit den auf absehbare Zeit undemokratischen Nachbarn im Osten umgehen will.
Langlebiger KGB
Die Regime in den Nachbarstaaten im Osten führen ihre Länder zurück in die sowjetische Steinzeit. Das gilt für die Republik Moldau, insbesondere aber für Belarus. Präsident Lukaschenko hat sein Land ganz einfach abgeschlossen. Die Belarussen haben keine Chance, über ihre Medien etwas über Europa zu erfahren. Wer kann, verlässt das Land. Hoffnung auf politische Veränderung sieht nach zehn Jahren Lukaschenko auch in der politischen Opposition keiner mehr. Die Resowjetisierung des Landes ist Lukaschenkos erklärtes Ziel.
Damit ist er schon weit vorangekommen. Das Parlament in Minsk hat überhaupt keine Befugnisse. Freie Medien gibt es nicht. Gleich eine ganze Reihe von Oppositionspolitikern sind in den vergangenen Jahren verschwunden. An den Universitäten wurde das Fach "Ideologische Bildung" wieder eingeführt. Der Geheimdienst trägt noch den alten Namen - KGB - und seine Spitzel sind überall.
Ratloses Europa
Belarus ist auf dem Weg zum Polizeistaat, warnen die letzten im Land verbliebenen Oppositionellen. Sie kritisieren, dass Europa immer noch zu keiner gemeinsamen Strategie gegenüber dem Unrechtsregime gefunden habe. Recht haben sie. Während Russland in allen drei Staaten aktiv Politik macht - ob als Vermittler im Transnistrien-Konflikt in der Republik Moldau, beim Einkauf in rentable belarussische Unternehmen oder im ukrainischen Wahlkampf - ist die Politik Europas weit weniger sichtbar.
Europa übe sich aus Rücksicht auf Moskau in Zurückhaltung, so die Kritik der Opposition in den drei Staaten. Das mag stimmen. Der andere Grund: Europa ist schlicht ratlos, wie mit den Unrechtsregimen bei den Nachbarn umzugehen ist. Brüssel hoffte über Jahre vergeblich auf einen schnellen Wechsel und wird sich nun doch auf absehbare Zeit mit undemokratischen Nachbarn abfinden müssen.
Umso wichtiger ist es, dass Europa eine klare, eindeutige Position bezieht. Das heißt: die Gesellschaften finanziell wie strukturell unterstützen, die Vertreter der autoritären Regime aber auch wirkungsvoll beschränken - und zwar dort, wo es sie trifft: bei ihrem persönlichen Komfort. Warum erhält der belarussische Präsident zum Beispiel alljährlich ein Visum für Österreich, um sich dort beim Skilaufen zu erholen? Aus purer Nächstenliebe oder Verantwortung gegenüber einem verarmenden Volk wird es weder in Belarus noch in der Republik Moldau zum Politikwechsel kommen.
Risikoexport nach Westen
Mit Sanktionen allein ist es jedoch nicht getan - auch Ansporn sollte die Europäische Politik sein. Sollte es trotz des unfairen Wahlkampfs in der Ukraine Oppositionskandidat Viktor Juschtschenko ins Amt des Präsidenten schaffen, so sollte Brüssel diesen Wandel durch eine klare, der Ukraine zugewandte Politik unterstützen - nicht zuletzt, um auch den Nachbarn zu zeigen, dass sich Demokratie lohnt.
Die neuen Nachbarstaaten exportieren manifeste Sicherheitsrisiken - in erster Linie in Richtung Westen. Von 47 Millionen Ukrainer leben rund sieben Millionen im westlichen Ausland - legal wie illegal. Belarussische Firmen verkaufen Waffen in alle Welt. Beim Schmuggel von Waffen oder Drogen ist die Ukraine Transitland Nummer eins. Eine konsistente Politik Brüssels gegenüber den neuen Nachbarn befördert also nicht nur den demokratischen Wandel dort - sie ist in Europas ureigenem Interesse.