Abstrakter Expressionismus in London, Basel und den USA
Leonore Kratz
30. September 2016
Körperlich, ausdrucksstark und unpolitisch - die Vertreter des Abstrakten Expressionismus wie Jackson Pollock und Mark Rothko befreiten in den 1940er Jahren ihre Bilder von der Pflicht, die Welt auszudrücken.
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Pollock, Rothko und Co - Meilensteine des Abstrakten Expressionismus
Körperlich, ausdrucksstark und unpolitisch - die Vertreter des Abstrakten Expressionismus wie Jackson Pollock und Mark Rothko befreiten in den 1940er-Jahren ihre Bilder von der Aufgabe, die Welt zu repräsentieren.
Bild: picture-alliance/dpa/K. D. Gabbert
Fantasievolle Figuren
"Wenn man aus dem Unbewussten heraus malt, müssen zwangsläufig Figuren hervortreten", sagte Jackson Pollock 1956. Der amerikanische Maler wurde 1949 durch einen Bericht im Life-Magazin über Nacht berühmt. Und zwar ursprünglich für seine figürlichen Gemälde, wie etwa "Stenographic Figure". Das Bild entstand um 1942, als Pollock sich mit indianischen und Inuit-Motiven auseinandersetzte.
Bild: Digital Image MoMA, New York/Scala, Florenz
Malen mit Action
Erst später entwickelte Pollock die Technik des "Drip Paintings", für die er heute weltbekannt ist: Die Farbe wird nicht mehr mit einem Pinsel aufgetragen, sondern durch ein Loch in der Farbdose direkt auf die am Boden liegende Leinwand getropft, geschüttet, gesprengt und gespachtelt. "Mural on Indian Red Ground" gehört zu den berühmtesten Werken Pollocks. Es ist um die 250 Millionen Dollar wert.
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Ungewollte Zuschreibung
Der in Lettland geborene Mark Rothko wollte eigentlich gar nicht mit den Vertretern des Abstrakten Expressionismus verbunden werden, weiß der Kunsthistoriker Volker Adolphs. "Seine großen Farbflächen sind vor allem spiritueller Ausdruck." Der Maler nahm sich 1970 in seinem Atelier das Leben. Grund für seinen Freitod waren vermutlich Depressionen.
Bild: picture-alliance/dpa/L. Tejido
Trennende Linie als Merkmal
Genau wie Rothko ist auch Barnett Newman für seine großformatigen, monochromatischen Leinwände bekannt. Gelegentlich zieht sich eine kontrastierende Linie durch die Bilder, so wie bei "Who's Afraid of Red, Yellow and Blue IV". Gemeinsam mit Mark Rothko, Robert Motherwell und William Baziotes gründete der Sohn jüdisch-russischer Einwanderer in New York eine Schule namens "Subjects of the Art".
Bild: picture-alliance/Bernd Oertwig/Schroewig
Bitterer Bär
Der armenischstämmige Maler heißt eigentlich Vosdanig Manoug Adoian. Mit dem Pseudonym Arshile (persisch: kleiner Bär) Gorky (russisch: bitter) schuf er sich 1924 eine neue Identität. Der Autodidakt ist ein früher Vertreter des Abstrakten Expressionismus und malte eher noch auf kleinen Leinwänden. Seine Werke waren wegweisend für seinen engen Freund Willem de Kooning und für Jackson Pollock.
Bild: Getty Images/AFP/S. Curry
Holpriger Start
Willem de Koonings Einreise nach Amerika war abenteuerlich und illegal: Der Niederländer versteckte sich 1926 im Maschinenraum eines Frachters. Jahre später wurde der Maler von Präsident Ronald Reagan für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Mit Jackson Pollock verband ihn erst Freundschaft, dann Konkurrenz. Dennoch inspirierten sie sich gegenseitig. So übernahm de Kooning die Großformate von Pollock.
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Kneipen-Kritzeleien
Wie unterschiedlich die Vertreter des Abstrakten Expressionismus arbeiteten, zeigt sich am Werk Cy Twomblys. Die filigranen Linien, die an Kritzeleien auf Kneipentischen erinnern, sind sein Markenzeichen. Der 2011 verstorbene Künstler lebte lange in Griechenland und Italien. Im Pariser Louvre ziert ein von Twombly entworfenes 400 Quadratmeter großes Deckengemälde den Saal der antiken Bronzen.
Bild: picture-alliance/Bernd Oertwig/Schroewig
Robert Motherwell
Robert Motherwell malte 1948 seine erste "Elegy to the Spanish Republic" und entwickelte das Thema ein Leben lang weiter. Er selbst nannte seine Bilder ein "Lamento" nach dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939). Sein bevorzugtes Motiv waren vertikale Ovale und Rechtecke, die laut Motherwell für die Hoden eines im Kampf getöteten Stiers stehen sollten.
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Kommt der Abstrakte Expressionismus wieder? Es scheint fast so: Gleich drei Museen zeigen in diesem Herbst Werke von Abstrakten Expressionisten. Die Royal Academy in London hat den Ausstellungsreigen soeben eröffnet und stellt mehr als 150 Gemälde der größten Künstler jener Strömung aus. Mit einer Schau über ihren Hauptvertreter Jackson Pollock folgt am 1. Oktober das Kunstmuseum Basel. Und in den USA macht ab dem 22. Oktober eine Wanderausstellung über die weniger beachteten Malerinnen jener Zeit - Lee Krasner, Helen Frankenthaler oder Joan Mitchell - Halt im Mint Museum in Charlotte.
Bekannt wurde der Abstrakte Expressionismus in Nordamerika, und das in Zeiten großer Verunsicherung: Der Zweite Weltkrieg war gerade zu Ende, die Angst vor der Atombombe ging um. Zwischen den USA und der Sowjetunion bahnte sich der Kalte Krieg an. Für den Kunsthistoriker Volker Adolphs vom Kunstmuseum Bonn steht der Abstrakte Expressionismus denn auch in direktem Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg: "Der Aufstieg New Yorks als Kunstzentrum anstelle von Paris ist eine Folge der Flucht vieler deutscher und französischer Künstler." Die Strömung sei darum auch keinesfalls eine rein amerikanische, sondern sehr europäisch geprägt. Auch die Sprachlosigkeit über das erlebte Grauen habe eine wichtige Rolle gespielt, konstatiert der Kunsthistoriker: "Man kann das Grauen ja gar nicht malen. Abstraktion wurde zur Weltsprache der Kunst."
Freiheit statt Regeln
Regeln, was abstrakter Expressionismus zu sein hatte, gab es nicht. Gefühl und Spontaneität waren wichtiger als Perfektion, Vernunft und Reglementierung. Jeder Maler, von Arshile Gorky über Barnett Newman bis zu Robert Motherwell, probierte sich individuell aus. Ein paar Gemeinsamkeiten finden sich dann aber doch: Etwa die großformatigen Leinwände, die den Betrachter fast verschlingen und ihn zu einem Teil des Kunstwerks machen. Figürliche Abbildungen von Menschen oder Landschaften waren verpönt - das Kunstwerk sollte zunächst nicht mehr als eine Fläche bedeckt mit Farben sein.
Apropos Freiheit. Je verordneter und gegenständlicher die sowjetische Kunst den Sozialismus feierte, erklärt Adolphs, desto unabhängiger wollte die amerikanische Kunst sein. "Die Kunst soll zu nichts dienen und nicht politisch vereinnahmt werden." Ein weiterer vereinender Faktor der abstrakt expressionistischen Werke ist das Körperliche, das Innere der Künstler, das diese direkt in ihre Bilder einfließen lassen.
"Jack the Dripper"
Prominentestes Beispiel ist sicherlich Jackson Pollock, der für seine "Drip Paintings" weltberühmt wurde: Er legte die unbehandelten Leinwände auf den Boden, bewegte sich darauf und verteilte die Farbe durch ein Loch in der Farbdose aus der Luft heraus. Adolphs verrät, dass die Technik aber ursprünglich gar nicht von "Jack the Dripper", wie Pollock liebevoll genannt wird, stammt: "Es war eigentlich Max Ernst, der das Dripping erfunden hat." Ein weiterer Beweis für die enge Vernetzung der europäischen und amerikanischen Künstlerszene nach dem Zweiten Weltkrieg.
Auch wenn wir heute in ähnlich unsicheren Zeiten leben und uns mit Terrorismus, Globalisierung und Digitalisierung auseinandersetzen müssen - der Kunsthistoriker sieht keinen Zusammenhang zu den aktuellen Ausstellungen: "Der Abstrakte Expressionismus war immer eine besondere Etappe, aber er ist eine historische Etappe, an die man nicht anknüpfen kann." Den Kunstmarkt freut das. Weil keine jungen Künstler nachrücken, erzielen Bilder des Abstrakten Expressionismus schon seit Jahren Millionenpreise.