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Polnische Einwanderer sorgen für Nachwuchs

25. Dezember 2011

Vorpommern stirbt aus. Nicht jedoch nahe der polnischen Grenze. Denn hier siedeln sich immer mehr junge Familien aus Polen an. In Löcknitz eröffnete jetzt sogar ein neuer deutsch-polnischer Kindergarten.

Kinder in der Kindertagesstätte "Randow Spatzen" beim Mittagessen (Foto: DW / Nadine Wojcik).
Deutsche und polnische Kinder in der KitaBild: DW/Wojcik

Jan hat gute Laune. Kaum aus dem Auto geklettert, rennt er auf seinen neuen Kindergarten zu. Vor einem Monat ist seine Mutter mit dem 5-Jährigen und seinem älteren Bruder nach Löcknitz gezogen. "Ich wollte in der Nähe der polnischen Grenze und von meinen Eltern wohnen", sagt Magdalena Piechorska. Sie stammt gebürtig aus Stettin, wohnte sechs Jahre in Kiel und entschied sich nach der Trennung von ihrem Mann für einen Neuanfang in Löcknitz.

Die Kleinstadt liegt in Vorpommern, einer Region im Nordosten von Deutschland, und ist nur rund 20 Kilometer von Stettin entfernt. "Die Mieten hier sind sehr billig", sagt Magdalena Piechorska, "viel billiger als in Stettin." Denn während die polnische Hafenstadt jenseits der Grenze boomt, stirbt der Landstrich diesseits der Grenze aus: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Infrastruktur schlecht. Die Menschen haben hier wenig Perspektiven. Wohl nicht zuletzt deshalb konnte die rechtsextremistische NPD bei den Wahlen hier 20 Prozent der Stimmen erringen.

Das ist die eine Seite in diesem Landstrich des dünnbesiedelten Vorpommern. Die andere ist eine deutsch-polnische Aufbruchstimmung, die auch Magdalena Piechorska nach Löcknitz gebracht hat. Zwar haben ihre Freunde in Kiel sie davor gewarnt, in diese auf den ersten Blick hoffnungslose Provinz zu ziehen. Überzeugt hat die junge Mutter aber das gelebte Miteinander von Deutschen und Polen im Grenzgebiet. So gibt es in Löcknitz ein deutsch-polnisches Gymnasium und seit einigen Monaten auch den deutsch-polnischen Kindergarten "Randow Spatzen". "Jan spielt hier mit deutschen und polnischen Kindern, da gibt es keine Barrieren", sagt Piechorska. Sie selbst habe am Anfang schon etwas Angst gehabt. Schließlich gab es in Löcknitz schon mehrere Übergriffe: Bei Autos mit polnischen Kennzeichen wurden die Scheiben eingeschlagen, polnische Zuzügler wurden beschimpft und Gebäude mit polenfeindlichen Parolen beschmiert. Magdalena Piechorska hat selber aber keine schlechten Erfahrungen gemacht, sie fühlt sich wohl in Löcknitz.

Grenzübertritt zum Frühstück

Neubau für die "Randow Spatzen"Bild: DW/Wojcik

Kaum durch die Tür des Kindergartens zieht Jan die Winterjacke aus, rast zu seinem Fach und sucht nach den Hausschuhen. Hatte er auf dem Weg in den Kindergarten mit seiner Mutter noch Polnisch geredet, wechselt er jetzt ganz automatisch ins Deutsche. Eine Sitzbank weiter hilft Waldemar Nowakowski seinem Sohn Ernest aus den Winterstiefeln. Die beiden haben heute Morgen bereits einen Grenzübertritt hinter sich: Die Nowakowskis wohnen derzeit in Stettin. Vater Waldemar arbeitet aber als Außendienstmitarbeiter auf der deutschen Seite. "Zurzeit schlafen wir nur in Polen. Auf längere Zeit macht dieses Hin- und Herfahren keinen Sinn", sagt Nowakowski. Deswegen überlegen er und seine Frau, ein Grundstück in Löcknitz zu kaufen. "Die Grundstücke hier sind sehr billig im Vergleich zu Stettiner Preisen. Mindestens um die Hälfte, wenn nicht sogar mehr."

Jedes vierte Kind im neuen deutsch-polnischen Kindergarten hat polnische Eltern. Die meisten wohnen bereits in Löcknitz und Umgebung. Sie verwirklichen hier den Traum vom Eigenheim, der auf der polnischen Seite nicht bezahlbar wäre. Während die Einwohnerzahlen im restlichen Vorpommern kontinuierlich sinken, steigen sie in Löcknitz erstmals wieder seit dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004. Von diesem Zuzug profitiere die Kleinstadt, meint Waldemar Nowakowski. "Es ziehen fast ausschließlich junge Leute mit Kindern nach Deutschland. Ältere Leute ziehen nicht um, wozu auch?" Und diese jungen Familien denken vor allem an die Zukunft, sagt Nowakowski, "wir wollen etwas aufbauen, Unternehmen gründen und wir wollen auch, dass es unsere Kinder später einmal leichter haben. Deswegen ist es so vielen Eltern wichtig, dass ihre Kinder so früh wie möglich Deutsch lernen."

Die "Randow Spatzen" sind seiner Meinung nach das beste Beispiel dafür: "Für einen neuen Kindergarten müssen ja auch genug Kinder da sein." Olaf Lejeune, Leiter der "Randow Spatzen", bestätigt diese Einschätzung. Er ist sichtlich stolz auf den Neubau und freut sich darüber, erstmals wieder eine Warteliste zu führen. Und dass, obwohl er mit rund 150 Plätzen schon jetzt die zweitgrößte Kindertagesstätte im ganzen Landkreis leitet.

„Halb Pole, halb Löcknitzer“

Kinderleichtes MiteinanderBild: DW/Wojcik

Auch Jutta Mausolf freut sich über den Neubau. Sie ist die Dienstälteste von 16 Erzieherinnen: "Vor vielen Jahren hatte Löcknitz drei Kitas. Ich habe in allen dreien gearbeitet und hatte immer die undankbare Aufgabe, eine nach der anderen abzuwickeln." Nächstes Jahr geht Jutta Mausolf in Altersteilzeit. Für sie ist es ein kleines Geschenk, dass sie nach all den Jahren der fehlenden Sanierungen noch in einem schicken Neubau mit vielen Kindern arbeiten darf.

Jutta Mausolf lernte 1991 das erste polnische Kind kennen. Heute stammt fast die Hälfte der Kinder in ihrer Gruppe aus Polen. Einige sprechen akzentfrei deutsch so wie Jan, andere nur ein paar Sätze, ein Mädchen versteht noch gar nichts, berichtet die Erzieherin: "Natürlich ist das nicht immer einfach. Und je mehr polnische Kinder wir haben, desto langsamer lernen sie deutsch." Um die Kommunikation zu erleichtern, wurde bereits eine polnische Erzieherin eingestellt, eine weitere Stelle soll noch besetzt werden.

Während es für die Erzieherinnen nicht immer einfach ist, helfen sich die Kinder ganz selbstverständlich und manchmal auch ohne Worte. Als ein polnisches Mädchen die Anweisungen von Jutta Mausolf nicht versteht, greift ein deutsches Mädchen intuitiv nach deren Hand und zeigt ihr, was zu tun ist. Auch Jan übersetzt, ohne darüber nachzudenken, für ein paar polnische Jungs, die noch nicht so gut deutsch können. Auf die Frage, welche Nationalität er habe, sagt Jan selbstbewusst: "Halb Pole, halb Löcknitzer." Daraufhin erzählt ein deutscher Junge aufgeregt, dass er gestern in Polen war, um Handschuhe zu kaufen. Ein deutsches Mädchen erwidert stolz, dass ihr Papa sogar in Polen arbeitet.

Deutsche und Polen - in der Welt der "Randower Spatzen" leben sie ganz selbstverständlich zusammen. Etwas, was Olaf Lejeune, der Leiter der Kindertagesstätte, auch auf Elternabenden immer wieder betont. "Wenn es 21 Prozent NPD-Wähler in Löcknitz gibt, wird es vielleicht Eltern geben, die offen und ehrlich aussprechen, dass ihre Kinder nicht mit Polen spielen sollen." Bisher hat Lejeune so einen Kommentar zum Glück noch nicht zu hören bekommen. Und wenn, würde er ihn klar von sich weisen. Um so mehr freuen ihn Initiativen wie die von Vater Nowakowski: Zur Fußball-EM im nächsten Sommer will er ein deutsch-polnisches Familienfest im Kindergarten organisieren.


Autorin: Nadine Wojcik

Redaktion: Andrea Grunau

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