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PolitikPolen

Polnischer Bürger verklagt Deutschland wegen Grenzkontrollen

Magdalena Gwozdz-Pallokat (aus Görlitz)
14. Januar 2025

Jakub Wolinski zieht wegen der Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze vor Gericht. Sie ärgern ihn nicht nur, weil sie ihm das Leben in Görlitz schwer machen. Sie widersprächen auch europäischem Recht, sagt er.

Ein Mann in einem beigen Mantel steht vor einem Schild, das die polnische Grenze anzeigt. Er trägt einen lila Mappe unter dem Arm und lächelt in die Kamera
Jakub Wolinski stammt aus Zgorzelec, dem polnischen Teil der Grenzstadt Görlitz. Heute wohnt er im deutschen Teil und pendelt häufig zwischen beiden Ländern hin und herBild: Magdalena Gwóźdź-Pallokat/DW

Jakub Wolinski macht einen ruhigen Eindruck. Streitlustig scheint er eher nicht zu sein. Und doch zieht er gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Kontrollen an der Grenze zu Polen vor Gericht. Die Aufmerksamkeit, die er mit seiner Klage erzielt hat, hat ihn positiv überrascht - und auch ein bisschen gestresst. "Zum Glück habe ich zuhause meine Familie", sagt der 37-Jährige der DW. Da verliere sich der Stress schnell.

Zuhause, das ist für den gebürtigen Zgorzelecer seit einiger Zeit der sächsische Teil der deutsch-polnischen Doppelstadt, also Görlitz. Der Angestellte eines großen deutschen Unternehmens pendelt viel zwischen Deutschland und Polen. Vielleicht auch weil er einen Kleintransporter mit getönten Scheiben fährt, wird er immer wieder angehalten.

Denn auf der Suche nach illegal einreisenden Ausländern schauen Bundespolizisten bei solchen Fahrzeugen genauer hin. "Ich benutze das Fahrzeug für private Zwecke, die Kindersitze sind eingebaut, in den Fahrzeugpapieren steht, wo ich angemeldet bin. Ich weiß nicht, auf welcher Grundlage die Polizei vermuten könnte, dass ich Menschen über die Grenze schleusen könnte", erklärt er.

Sonderregeln für Kleintransporter?

Außerdem sei ihm nicht bekannt, dass im Schengener Grenzkodex angemerkt sei, dass die darin formulierten Regeln nicht für Kleinbusse gelten und dass man diese Fahrzeuge öfter kontrollieren dürfe.

Wolinski klagt wegen einer konkreten Grenzkontrolle, in die er geraten war. Doch bei der einen ist es nicht geblieben. "Die Polizisten konnten mir erstmal nicht erklären, auf welcher rechtlichen Grundlage sie mein Auto durchsuchen wollten", erläutert er. "Dann nahmen sie Kontakt mit ihren Kollegen auf und beriefen sich auf zwei Paragraphen." Da ihn diese Argumente jedoch nicht überzeugten, wählte er den Klageweg, unterstützt von seinem Anwalt Christoph Tometten.

Ein Bundespolizist kontrolliert einen Transporter an der deutsch-polnischen Grenze in Frankfurt an der OderBild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

"Die Bundesregierung muss die Kontrollen an der Grenze zu Polen umgehend einstellen", erklärt der Jurist. "Es ist nicht hinnehmbar, dass Deutschland mit den Kontrollen systematisch Europarecht verletzt. Die Freizügigkeit von Unionsbürgern und -bürgerinnen ist ein herausragendes Gut, das nicht weiter in Frage gestellt werden darf. Das hat der Europäische Gerichtshof immer wieder betont und das ist für deutsche Behörden und Gerichte verbindlich."

Für den Berliner Rechtsanwalt ist dies nicht der erste Fall im Zusammenhang mit Grenzkontrollen in der EU, bei dem er um rechtliche Unterstützung gebeten wird. Das Rechtsportal Legal Tribune Online (LTO) beschreibt den Fall eines Österreichers, der nach einer Kontrolle in einem Zug von Österreich nach Deutschland geklagt hatte und dem Tometten rechtlich zur Seite stand. Der Mann hatte wegen der Grenzkontrollen gegen Österreich geklagt. Der Fall ging bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Wie LTO schreibt, hatte der EuGH dann entschieden, dass Grenzkontrollen nicht ohne Grund eingeführt und verlängert werden dürfen. Mit seinem Gang vor Gericht geht Jakub Wolinski also keinen völlig neuen Weg.

Johanna Hase vom Institut für Europäische Politik in BerlinBild: Magdalena Gwozdz-Pallokat/DW

"Im vergangenen Jahr wurde der Schengener Grenzkodex geändert, und nun können die Länder Grenzkontrollen länger - für zwei Jahre - einführen und dann unter bestimmten Bedingungen zweimal verlängern", erklärt Johanna Hase vom Institut für Europäische Politik in Berlin in einem Gespräch mit der DW. "Bis zu drei Jahre dürfen sie Kontrollen mit der gleichen Begründung verlängern. Aber sie können diese Begründung natürlich auch ändern."

Die Staus sind zurück

Zurück in Görlitz. Das Leben in der sächsischen Stadt an der Grenze zu Polen habe sich seit der Einführung der Grenzkontrollen im Oktober 2023 sehr verschlechtert, klagt Wolinski. Längst vergessene Probleme seien plötzlich zurück: "Staus auf der Autobahn, in der Stadt und an den Grenzübergängen." Außerdem fühle er sich jedes Mal, wenn er die Grenze passiere, wie ein potentieller Schleuser. Der aufmerksame Blick der Polizisten sei auch etwas, was man in der Grenzregion schon vergessen habe.

Wolinskis Klage richtet sich gegen die Bundesrepublik, "vertreten durch die Bundespolizeidirektion Pirna". Die möchte den Fall nicht kommentieren, da sich die Bundespolizei prinzipiell nicht zu laufenden Verfahren äußere.

In solchen Fahrzeugen werden oft Migranten ohne Visa über die Grenzen geschmuggelt Bild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Zwar sehen die Schengen-Regeln, die die Rechtsgrundlage für die offenen Grenzen in Europa darstellen, in Notsituationen vorübergehende Grenzkontrollen durchaus vor. Sie sind zulässig, wenn eine "ernsthafte Gefahr" etwa für die innere Sicherheit besteht. Aber das will gut begründet sein, und es kann eben nicht beliebig verlängert werden, wie die Niederlage Österreichs vor dem Europäischen Gerichtshof zeigt.

Unkontrollierte Migration und Anschläge dienen der deutschen Seite letztlich als Begründung für die Notmaßnahmen, die immer wieder verlängert werden. "Ob die Bedrohungslage wirklich so groß ist, dass Deutschland gezwungen ist, als - wie es vorgesehen ist - letztes Mittel Grenzkontrollen einzuführen, dahinter würde ich ein großes Fragezeichen setzen", so Rechtsexpertin Hase. "Ich bin deswegen auch gespannt, wie der Fall ausgeht."

Schengen und Dublin

Dass Deutschland und andere Länder inzwischen mit ihren Kontrollen den Schengen-Kodex strapazieren, hat auch mit den Dublin-Regeln zu tun. Das nach der irischen Hauptstadt benannte Regelwerk sieht vor, das Schutzsuchende zunächst dort aufgenommen werden müssen, wo sie EU-Boden betreten - also in der Regel nicht in Deutschland oder Österreich.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) besucht im August 2024 eine Grenzkontrollstelle in GörlitzBild: Paul Glaser/dpa/picture alliance

De facto wird diese Rechtsregelung aber massenhaft unterlaufen, ob mit Hilfe von Schleppern oder dank behördlichen "Durchwinkens" an den Grenzen.

Kläger Wolinski hat das im Blick. "Ich würde vorschlagen, über Investitionen in unsere Sicherheit andernorts nachzudenken", sagt er. Konkret: "Ich bin überzeugt, dass sich unser polnischer Grenzschutz, der unsere Ostgrenze und damit zugleich die EU-Außengrenze verteidigt, freuen würde, wenn die Männer, die hier an der Grenze Wache halten, sie dort unterstützen würden."

Unter Freunden

Ihm gehe es um nichts weniger als die Bewahrung einer europäischen Grundfreiheit, der durch "Schengen" garantierten Reisefreiheit. "Ich möchte Schengen verteidigen. Mein Fall geht gegen Deutschland, weil ich an der deutsch-polnischen Grenze lebe, aber das ist nicht der einzige Fall." Die Dänen kontrollierten die Grenze, die Österreicher, die Franzosen und nicht nur sie. "Wir beobachten den langsamen Zerfall der Schengen-Zone und ich bin der Meinung, dass wir schon jetzt etwas dagegen tun müssen." Sonst drohe der Verlust eines großen europäischen Wertes.

Seine offenbar nicht von vorne herein aussichtslose Klage sei aber keine antideutsche Stimmungsmache. "Manchmal ist es so bei guten Freunden, dass einer dumme Sachen macht und sich verrennt", erklärt Wolinski. Da müsse der andere den "Kumpel" schon mal freundlich anstupsen und sagen: "Bis hierhin darfst du gehen, aber nicht weiter."

Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen