Provokation Rammstein
16. November 2011 "Ein Mensch brennt, Rammstein": Mit dieser Zeile legten sechs Ostberliner Punks den Grundstein für das, was später einmal die erfolgreichste deutsche Band werden sollte. Rammstein wollte keine Ostband sein, keine Westband, keine Band, die falsches Englisch singt, sondern etwas Neues, Einzigartiges. Getreu nach dem Motto des Gitarristen Paul Landers: Wenn du in die Fußstapfen anderer trittst, hinterlässt du selber keine Abdrücke.
Gezieltes Spiel mit dem Grauen
Einem breiten Publikum sind die ehemaligen Ost-Berliner durch den David-Lynch-Film "Lost Highway" bekannt geworden. Um einen Regisseur für ihr erstes Video zu finden, schickten sie ihr erstes Album einfach an alle Filmemacher, die sie aus dem Kino kannten. Zwar hat Lynch nicht ihr Video gedreht, dafür begleitete Rammsteins Lied "Heirate mich" eine gewalttätige Sexszene. Die Kinobesucher trauten ihren Ohren nicht. Sangen sie da "Hei Hei" oder "Heil Heil"? Seither verstummten die Vorwürfe nicht mehr, Rammstein sei eine faschistische Band, oder spiele zumindest mit rechtem Gedankengut und nationalsozialistischer Symbolik. Die Musiker selbst lehnen es ab, über ihr künstlerisches Konzept zu sprechen.
Pomp und Pyrotechnik
Live hält Sänger Till Lindemann gerne den Flammenwerfer übers Publikum, rollt beim Singen das "R" (wie einst Adolf Hitler), und das Setting scheint aus Leni Riefenstahls Olympiafilmen zu stammen. Wer in den Rammsteintexten nach Zündstoff sucht, wird schnell fündig. Muttermord, Inzest, Sado-Maso-Allegorien, Blut und Verwesung. Aber auch eine schwere, auf makabere Weise besinnliche Romantik zieht sich durch ihr Werk. Rechtes Gedankengut selbst lässt sich nicht finden. Auch die aktuelle Single "Mein Land" ist eher nebulös und für Interpretationen in alle Richtungen offen.
"Da kommt er angerannt
Mit der Fahne in der Hand ....
Du bist hier im meinem Land"
und
"Eine Stimme aus dem Licht
Fällt dem Himmel vom Gesicht
Reißt den Horizont entzwei
Wohin gehst du, hier ist nichts mehr frei."
Geht es hier um Einwanderer oder Asylanten? Die orientalisch anmutenden Samples legen es nahe und erst im Zusammenhang mit Gesangsstil, Sound und Inszenierung geraten solche Zeilen unter Verdacht:
"Vertrieben Mein Land, Vertreiben Mein Land, Vergessen Mein Land, Nirgends kann ich bleiben, Mein Land".
Natürlich ist ebenso die Deutung möglich, dass hier einfach nur das Schicksal von Emigranten beschrieben wird. Das Video zur Single macht die Verwirrung komplett. Die Szene ist so undeutsch wie nur möglich: ein kalifornischer Strand im grellen Licht, schrille Szenen mit bunten bikinitragenden Girls, frivol im Stil der 50er Jahre.
Woher die Aufregung?
"Das sind ganz normale, romantische Texte", sagt Keyboarder Flake. Er versteht die ganze Aufregung um die angebliche Gewaltverherrlichung seiner Band nicht. "Jedes Kind, das 16 Jahre alt ist, hat schon so viel Dreck im Fernsehen gesehen, dass wir dagegen wie Waisenknaben sind." Aber trotzdem: kein Rammstein-Album ohne Negativpresse. Vergewaltigungsphantasien seien das, Gewaltverherrlichung, die Bandmitglieder rechte Spießgesellen. Aber Rammstein bleibt Rammstein. Statt dem Druck der Medien nachzugeben, bleiben sie auf Krawall gebürstet.
Zum Lied "Mein Teil" stakst Sänger Till Lindemann im Kochoutfit mit einem riesigen Messer über die Bühne und grillt den Keyboarder Flake in einem riesigen Topf. Die Inszenierungen der Band sind gigantische Shows, die weltweit ihresgleichen suchen. Ein pompöses Holiday On Ice für dunkle Gemüter. Rammstein ist im Ausland die erfolgreichste Band Deutschlands. Japaner singen ihre deutschen Texte Silbe für Silbe mit, in Lateinamerika füllen die Berliner jedes Stadion, und die US-Amerikaner lieben ihr "Rammsteen". Fast keine Grammy-Verleihung ohne Nominierung. Es scheint, als erfüllten Rammstein mit ihrem inszenierten Grauen das Klischee dessen, was man aus Deutschland erwartet.
Die erfolgreichste Band Deutschlands
Bei all den internationalen Lorbeeren kann man Rammstein durchaus eine gewisse musikalische Einfallslosigkeit vorwerfen: Stechschritt-Rhythmus, immer derselbe Gitarrensound und die gleichen Keyboard-Parts. "Mit Musik kannste ja keinen mehr hinterm Ofen hervorlocken", meint Christopher Schneider, "was willst du mit Musik noch produzieren, das ist ja alles schon da gewesen."
Auf dem Index
Auch beim letzten Rammstein-Album "Liebe ist für alle da" von 2009 gab es einen Schock: Nach dem Menschenfresser Armin Meiwes und der Ästhetik der Olympia-Filme von Leni Riefenstahl stand jetzt Porno auf dem Programm. Zusammen mit dem Kultregisseur Jonas Akerlund drehte die Band zur Single "Pussy" einen pornografischen Film in einem Club in Berlin. Einfach nur tumbe Provokation? Paul Landers winkt ab. "Ich hab' jetzt nicht so eine verzwickte Theorie, warum wir einen Porno als Video gemacht haben. Das haben wir aus Dummheit gemacht."
Das Album wurde von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. Die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen hat die Klage persönlich eingereicht. Die Sado-Phantasie "Ich tu dir weh" und einige Bilder auf dem Cover hatten sie alarmiert. Seit 1987 wurde kein komplettes Album einer bekannten Band mehr indiziert, und so wurde der Vorgang zur unfreiwilligen Verkaufspromotion. Die anschließende Welttournee war komplett ausverkauft und gipfelte in einem Konzert im New Yorker Madison Square Garden, bei dem alle 12.000 Tickets in nur einer halben Stunde verkauft waren.
Am 2. Dezember erscheint das Rammstein-Album "Made in Germany". Außer dem schon zitierten "Mein Land" enthält es ausschließlich alte Songs. Man darf gespannt sein, welcher Art diesmal die Provokation sein wird.
Autoren: Uli José Anders, Matthias Klaus
Redaktion: Rick Fulker