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Politik

Populismus - Annäherung an ein Phänomen

21. Februar 2017

Er ist in aller Munde und gibt unserer Zeit einen Namen. Denn wir leben in populistischen Zeiten. Populistisch zu sein gilt längst als politische Stigmatisierung. Aber was ist Populismus und wen spricht er an?

Frankreich Le Pen startet Wahlkampf mit Angriffen auf die EU
Im Namen des Volkes! Im Namen des Volkes?Bild: Reuters/R. Prata

Der Duden, der Deutschen klassisches Nachschlagewerk der Rechtschreibung, definiert Populismus als "opportunistische Politik, die die Gunst der Massen zu gewinnen sucht". Das Wort entstammt dem lateinischen populus und bedeutet Volk. In der Politik ist Populismus ein Kampfbegriff, der dem politischen Gegner populäre Ankündigungen oder Handlungen vorwirft, lehrt uns der Duden. Populisten nehmen für sich in Anspruch, im Interesse "des Volkes" zu sprechen, was schon unausgesprochen einen Gegensatz zur Elite signalisiert. Wer aber ist das Volk?

"Wir sind das Volk!"

Der Slogan der Montagsdemonstrationen in Ostdeutschland 1989, der damals ein ganzes Regime in die Knie gezwungen hatte, bekommt heute einen völlig neuen Klang. Beim Zusammenbruch der DDR verdiente sich "das Volk" Heldenstatus, jetzt macht uns das Volk, das AfD wählt, für den Brexit und Trump gestimmt hat und demnächst Marine Le Pen zur neuen Staatspräsidentin in Frankreich machen könnte, Angst.

Wenn Populisten vom Volk sprechen, meinen sie nur ihre Gefolgsleute. Oder, wie Nigel Farage, der frühere britische UKIP-Chef es ausdrückt, "the real people". Die, die mit 52 Prozent für den EU-Austritt votiert hatten. Die anderen 48 Prozent der Wähler gehören dem "echten" Volk nach Farage gar nicht an. Mit etwas anderen Worten zerteilt auch US-Präsident Donald Trump das Volk regelmäßig in das gute und das unwichtige, der polnische PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski bezeichnete Oppositionelle gar als "Polen der schlechteren Sorte".

Im Visier der Populisten: Ausländer und FlüchtlingeBild: picture-alliance/dpa/O. Killing

Populisten wollen keinen ergebnisoffenen Diskurs. Sie kennen schon die "richtige" Antwort. Es ist ein moralischer Alleinvertretungsanspruch, der sich bei Populisten Bahn bricht. Viktor Orban, Ungarns Regierungschef, lieferte schon 2002 den Beleg für solch ein Denken, als er auf die überraschende Niederlage seiner Fidesz-Partei mit den Worten reagierte, es könne ja gar nicht sein, dass die Nation in der Opposition ist.    

Aufstand des Prekariats

Seit den neunziger Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft verstärkt  mit dem Phänomen des Populismus, so richtig beachtet werden die Ergebnisse erst seit kurzem. Wir erleben eine politische Konterrevolution, glaubt Albrecht von Lucke mit Blick auf die rasante Veränderung der alten politischen Ordnung nahezu weltweit. Der Konflikt, so der Publizist, werde zwischen den Vertretern einer veränderungsbereiten Gesellschaft und den Protagonisten einer radikalen Abgrenzungs- und Ausgrenzungskultur ausgefochten, die am Ende die Rückkehr in eine homogene Gesellschaft offerieren.

Man könnte auch sagen, Populisten versprechen eine einfachere Welt. Populisten negieren die Komplexität des demokratischen politischen Prozesses, urteilt der Politologe Peter Graf Kielmansegg. Simple Lösungen sind das Markenzeichen des Populismus, sie sind die Scheinantwort auf eine komplizierte Welt, in der alte Sicherheiten verloren gegangen sind. Vor allem in der Arbeitswelt.

Was nach der Deregulierung übrig bleibt

Große Teile der industriellen Arbeiterschaft haben mittlerweile sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien den Rücken gekehrt und sind nach rechts geschwenkt. Nahezu in ganz Europa. Wahlanalysen bestätigen das. Ob in den USA, in Polen oder Ungarn, Arbeiter wählen - viele als Gewerkschaftsmitglieder - inzwischen längst nationalistische Parteien. Eine Ursache der radikalen Umorientierung ist die Deregulierung der Arbeitsmärkte und der daraus resultierende Billiglohnsektor. Die Folge: Millionen prekäre Arbeitsverhältnisse, die die Betroffenen nicht mehr das verdienen lassen, was sie zum Leben brauchen. Bei so viel objektiver, vor allem aber subjektiv empfundener Not werden Sündenböcke gesucht. Die Politik, die Eliten, die Medien und: die Ausländer. Es ist die neue Abstiegsgesellschaft, die nun per Stimmzettel den Aufstand probt.

Populismus erzeugt Widerstand: Die US-Gesellschaft war nie zuvor so gespalten wie seit Donald Trumps AmtsantrittBild: picture-alliance/dpa/R. Bowmer

Keiner hat das besser beschrieben als Didier Eribon - nicht in einem Fachaufsatz, sondern in seiner 2009 erschienenen Erzählung "Rückkehr nach Reims". Jetzt wurde das Buch wieder zum Bestseller, 2016 erschien die deutsche Übersetzung. Ein autobiografischer Roman des französischen Soziologen und Schriftstellers, der nach 20 Jahren von Paris in seine Heimatstadt Reims zurückkehrt und in seiner Familie, bei seinen alten Freunden und Nachbarn eine dramatische Veränderung des geistigen Klimas, der Gruppenzugehörigkeit erfährt.

Kommunistisch wählende Arbeiter sind in der Minderheit, dominant ist der Front National, der gewerkschaftliche Schulterschluss mit ausländischen Arbeitskollegen ist nahezu dahin. "Was immer schon einmal gedacht wurde, wird jetzt gesagt, laut und bedrohlich", resümiert Eribon. Das Klima wird unfreundlich. Die Abgehängten stehen auf und fordern eine brutale Egalität, "als wollten sie sich revanchieren für das gute Leben der anderen", schrieb ein Rezensent nach der Reims-Lektüre.         

Und Reims ist überall: im amerikanischen Rostgürtel, in den mittel- und nordenglischen ehemaligen Industrieregionen und auch - nicht nur - in Ostdeutschland. Soziologen haben längst den Populismus affinen Prototyp identifiziert. Er ist männlich, östlich, älter als 50 und durchaus gut gebildet. Er war beim Zusammenbruch der DDR mit Mitte 20 schon zu alt für einen kompletten Berufs- oder Bildungsneustart. Mit den neuen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Bedingungen im Kapitalismus kam er nicht zurecht, er blieb zurück - jedenfalls hinter seinen eigenen Erwartungen. Ein frustriertes Leben, das sich nun über Ausländerfeindlichkeit und AfD-Gefolgschaft Ausdruck verschafft.       

Wider die supranationalen Bündnisse: Nation als Schutzraum

Wer so denkt, sucht sich eine neue "Heimat", die Nation. Die Wiederentdeckung der nationalen Identität als Überlegenheitsmerkmal gegenüber anderen, als Schutzraum für die Entfaltung eigener Stärken, die im globalen Wettbewerb angeblich auf der Strecke geblieben seien, hat Konjunktur, in Polen, in Ungarn, vor allem aber in den USA unter Trump. Die Überbetonung der eigenen Nation ("great again") geht einher mit geschlossenen Grenzen, wirtschaftlichem Protektionismus und einem gefährlichen Klima gegen Ausländer. Und: Populistische Parteien - ob in der Regierungsverantwortung oder noch in der Opposition - diskreditieren alle supranationalen Bündnisse. Der "Buchstabensalat" (UNO, NATO, EU), jahrzehntelange Errungenschaften zwischenstaatlichen Interessen- und Konfliktausgleichs, ist unter Populisten zum Abschuss frei gegeben. Wenn es nach den Populisten geht, soll sich die Nation an sich selbst berauschen.           

Ein bekanntes Monster greift nach Europa: Längst vor Trump feierten Populisten schon Wahlerfolge auf dem alten Kontinent Bild: S. Elkin