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Politik

Populisten-Biotop im französischen Wahlkampf

20. April 2017

Bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag hat der rechte "Front National" gute Chancen. Eine kleine Stadt in Nordfrankreich, die der FN regiert, ist plötzlich Mittelpunkt des Interesses. Aus Henin-Beaumont Bernd Riegert.

Frankreich Front National Henin-Beaumont Kameramann
Bild: DW/B. Riegert

Hochburg des Front National

03:32

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Heute sind ein französisches, zwei deutsche und ein japanisches Fernsehteam im "Laboratorium" Henin-Beaumont ganz im Norden von Frankreich unterwegs. Der rechtspopulistische "Front National" regiert seit drei Jahren im Rathaus und hat die ehemalige Bergbau-Stadt selbst zum Versuchsfeld erklärt. Das Interesse an der 27.000-Seelengemeinde mit der hohen Arbeitslosenquote von fast 20 Prozent ist groß, vor allem weil die rechte Spitzenkandidatin Marine Le Pen das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am Sonntag nicht bei der verachteten Elite in Paris, sondern eben in ihrem "Labor" abwarten will.

FN-Sprecher Christopher Szczurek vor dem Rathaus von Henin-BeaumontBild: DW/B. Riegert

"Wir sind einfach da"

Geduldig führt der Pressesprecher von Henin-Beaumont, Christopher Szczurek, Journalisten durchs Rathaus und über den Marktplatz. Wo er auftaucht, wird er freundlich mit Küsschen links und rechts auf die Wange begrüßt. Besonders ältere Damen mit weißem Haar und Krokoimitat-Handtasche finden ihn sympathisch. Szczurek verteilt Handzettel, andere Parteien sind auf dem Markplatz an diesem verregneten Morgen nicht zu sehen. "Die Menschen lieben den Front National, weil er da ist und sich kümmert. So einfach ist das. Als unser Rivale im Rathaus saß, gab es viele Probleme. Jetzt sind die Leute einfach glücklich, wie wir die Dinge anpacken. Wir haben die hohen Steuern gesenkt. Jetzt scheinen die Leute glücklich zu sein", erzählt der FN-Wahlkämpfer.

Wahlplakte von Marine Le Pen, bislang die einzigen in der StadtBild: DW/B. Riegert

Der Rivale, das waren die Sozialisten, die fast 70 Jahre in Henin-Beaumont regiert haben. Nach einigen Skandalen übernahm der "Front National" mit absoluter Mehrheit den Stadtrat 2014. Bürgermeister Steeve Briois hat keine Zeit für die Kamerateams. Er ist viel beschäftigt, weil er als hoher Parteifunktionär seine Chefin Marine Le Pen im Wahlkampf beraten muss. Er sei natürlich stolz, dass Le Pen ihren Sieg in der ersten Runde ausgerechnet in seiner Vorzeigegemeinde feiern wolle, lässt er ausrichten. Einige Umfragen sehen die Rechtspopulistin, die vor allem gegen Einwanderung und die Europäische Union wettert, tatsächlich vorne. In der Stichwahl am 07. Mai werden ihr allerdings nur wenig Chancen eingeräumt.

"Es ist alles sauber"Bild: DW/B. Riegert

Eine gewisse Gelassenheit

Auf dem Marktplatz hört man viel Zustimmung für den "Front National". Ein älter Herr, der mit seiner Frau Gemüse einkauft, erklärt: "Ich finde die gut. Ich sehe ein fortschrittliches Engagement zu 100 Prozent. Alles hat sich zum Besseren gewendet. Es ist sauber, es gibt mehr Angebote und der Bürgermeister kommt und spricht mit dir." Auf dem Markt mit billigen Schuhen, Kleidung und Lebensmitteln kaufen auch Einwandererfamilien aus Marokko und Algerien ein. Sie wollen sich zum FN aber nicht vor der Kamera äußern. Vielen Menschen sei Politik auch einfach egal, glaubt ein Mann am Blumenstand: "Politiker sind halt Politiker in der ganzen Welt. Und in Frankreich haben alle irgendwie das gleiche Programm. Am Ende wird sich doch nichts ändern."

"Im Grunde hat sich nichts geändert"Bild: DW/B. Riegert

Die Arbeitslosigkeit im strukturschwachen Henin-Beaumont ist auch nach drei Jahren FN-Regentschaft unverändert hoch. Viele kleine Geschäftsleute im Zentrum haben hart zu kämpfen. Kneipen machen dicht. An vielen Häusern platzt der Putz ab. Fensterhöhlen sind zugenagelt. Allerdings ist jetzt mehr Polizei auf der Straße unterwegs. Es gibt mehr Stadtfeste. Blumenrabatte werden angelegt. Das Rathaus und die Kirche eingerüstet. Die Fassaden werden erneuert.

Sekretär der Kommunisten: Verbale GewaltBild: DW/B. Riegert

Politisches Klima ändert sich

Hinter den Fassaden bröckelt es aber, schimpft David Noel, Sekretär der "Kommunistischen Partei" in seinem Büro, das nur wenige Meter vom Rathaus entfernt liegt. Den politischen Feind fest im Blick sagt Noel unter einem Plakat des Revolutionärs Che Guevara, dass sich das politische Klima in Henin-Beaumont radikal verschlechtert habe. "Es gibt ständig verbale Gewalt und üble Beschimpfungen." Die Opposition werde schlecht gemacht. Tatsächlich liefert sich Bürgermeister Briois ein Fehde mit der Lokalzeitung "Voix du Nord", die er als linkes Kampfblatt abkanzelt. Organisationen der Armen-Hilfe, die nach Meinung des FN von linken Aktivisten durchsetzt sind, streicht die Stadt Zuschüsse oder kündigt Mietverträge, beklagt Serge Decaillon vom "Verband französisches Volkswohl".

Flüchtlingshelfer: Mittel gestrichenBild: DW/B. Riegert

Die Stadt sei viel ausländerfeindlicher geworden, meint Etienne Balde. Er arbeitet für einen Verein, der Flüchtlingen hilft. "Das ist für den Front National ein Riesenthema, obwohl es hier in Henin-Beaumont so gut wie keine Flüchtlinge gibt. Die wollen woanders hin." Bevor der FN das Rathaus in Henin-Beaumont übernommen hat, gab es bescheidene Zuschüsse von der Stadt, erzählt Etienne Balde. Jetzt sei der Geldhahn zu, man sei nicht mehr erwünscht. Das politische Klima habe sich sehr zugespitzt. "Auf nationaler Ebene gibt der 'Front National' ein ganz gutes Bild ab. Sie haben das Image der Saubermänner. Wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass sie eine Art Diktatur auf lokaler Ebene etablieren", glaubt der Flüchtlingshelfer.

Schutzwall mit Durchfahrt: Die Postbotin durchquert die "Mauer" von HeninBild: DW/B. Riegert

Eine Mauer und Migranten

Besonderes Aufsehen in den Medien erregte das Labor der Rechtspopulisten als der Bürgermeister sich damit schmückte, eine Mauer gegen wachsende Kriminalität errichten zu wollen. Nach heftigen Streit im Stadtrat erwies sich die Mauer eher als hüfthohes Mäuerchen mit Durchgang. Es war schlicht eine Maßnahme zur Verkehrsberuhigung in einem Wohnviertel. Auch die "Charta für eine Stadt ohne Migranten", die der Bürgermeister verkündete blieb ohne Folgen, "weil ohnehin kaum Migranten nach Henin-Beaumont wollen", sagt selbst Pressesprecher Christopher Szczurek. Das Verbot, in der Innenstadt zu betteln, hob ein Gericht wieder auf.

Die Anti-Einwanderungspolitik, die Parteichefin Marine Le Pen national zum Wahlkampfschlager machen will, sieht man in Henin-Beaumont eher gelassen. In die Bergbaustadt sind in den letzten 100 Jahren Belgier, Italiener, Polen und schließlich Nordafrikaner eingewandert. Wenn der Front National in Paris tatsächlich die Präsidentin stellen würde, hätte dies auf das Labor im Norden wahrscheinlich keine große Auswirkung, meint Christopher Szczurek. "Ich weiß nicht, ob das so ein großer Unterschied wäre. Jede Stadt hat ihre speziellen Probleme. Wir müssen uns da jedes Mal an die Probleme anpassen. Es gibt keine übergeordnete Ideologie. Wir stellen uns der Wirklichkeit mit hoher Effizienz. Darum funktioniert es." Szczurek stammt selbst von polnischen Migranten ab. Mit dem FN habe er deshalb aber keine Probleme. Seine Familie sei ja schließlich schon lange französisch. Bei den neuen Migranten sei das etwas anderes.

Vor 40 Jahren machte die letzte Zeche dicht: Verlassene Fabrik am StadtrandBild: DW/B. Riegert

Am Sonntag wird Marine Le Pen in ihrem populistischen Schaufenster-Städtchen in einer Halle auftreten, die den Namen des ehemaligen sozialistischen Präsidenten "Francois Mitterand" trägt. "Das ist nicht ideal, aber auch keine politische Aussage", meint Pressesprecher Szczurek.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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