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PolitikIndien

Modi und Bolsonaro: Same same, but different

5. Mai 2021

Sie geben sich religiös, nationalistisch und lehnen derzeit einen Corona-Lockdown ab: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und Indiens Premier Narendra Modi verbindet einiges. Und doch trennt sie mehr als ein Ozean.

Indien Neu Delhi | Jair Bolsonaro und Narendra Modi
Zum Nationalfeiertag im Januar 2021 empfing Indiens Premier Narendra Modi Brasiliens Präsident Jair BolsonaroBild: MONEY SHARMA/AFP/Getty Images

Kürzlich hat Indien Brasilien mit seinen Corona-Zahlen aus den Schlagzeilen verdrängt. In beiden Ländern hatten die Infektions- und Todeszahlen in den letzten Wochen nationale Höchststände erreicht. Dennoch wollen beide Regierungen derzeit keinen Lockdown verhängen, um die jeweilige Corona-Epidemie einzudämmen.

Die Gemeinsamkeiten hören hier nicht auf: Beide gehören zu den BRICS-Staaten, einer Staatengruppe großer, vermeintlich aufstrebender Wirtschaftsnationen. Die Einkommensunterschiede sind innerhalb beider Länder groß: Neben einer winzigen, extrem reichen Elite und einer kleinen Mittelschicht sind Armut und Elend weit verbreitet. Und in beiden regiert eine rechtsnationalistische Regierung, die im Bund mit religiösen Eiferern an den demokratischen Institutionen des Staates sägt.

Knallharter Lockdown vs. Corona-Skepsis

Die Parallelen liegen auf der Hand, doch Amrita Narlikar, Präsidentin des German Institute of Global and Area Studies (GIGA), warnt vor übereilten Schlüssen: "Es gibt eine Tendenz im sogenannten liberalen Westen, die Länder des globalen Südens über einen Kamm zu scheren. Aber Analysten und Beobachter müssen sehr vorsichtig sein, wenn sie Ähnlichkeiten unterstellen."

Polizisten in Srinagar, in der Region Jammu und Kashmir, überwachen die Ausgangssperre im April 2020Bild: Faisal Khan/NurPhoto/picture alliance

Damit meint Narlikar nicht die offenkundigen kulturellen Unterschiede. Insbesondere im Umgang mit der Corona-Krise seien die Unterschiede eklatant: Während Brasiliens Präsident nie von seiner Position abgerückt ist, COVID-19 sei eine kleine Grippe und besser mit einem Malaria-Mittel als mit Impfstoff zu bekämpfen, hat Indiens Premierminister Narendra Modi bereits von März bis Mai 2020 den vielleicht härtesten Lockdown überhaupt verhängt und eine Impfstoffproduktion in Indien aufgebaut. "Im Gegensatz zu Bolsonaro hat Modi anerkannt, wie hoch die menschlichen Kosten sein könnten. Allerdings zeigt die heutige Lage, dass er die Zeit nicht genutzt hat, das Land für die zweite Welle zu wappnen."

Mit den Corona-Zahlen wächst der Druck

Dementsprechend ist die Situation in beiden Ländern: In Brasilien bewegt sich das Infektionsgeschehen seit der Ankunft von SARS-CoV-2 dort vor 15 Monaten auf einem deutlich höheren Niveau als in Indien. Ihren bisherigen Höchststand von 254 erreichte die Sieben-Tages-Inzidenz (Infektionen in den letzten sieben Tagen pro 100.000) laut Our World in Data in Brasilien Ende März 2021 und liegt nun etwas über 190 (Stand 3. Mai).

Nach Ende des Lockdowns in Indien blieben die Infektionszahlen dort lange sehr niedrig. Vielleicht auch davon ermutigt, unternahm Modi nichts, als sie in diesem März zum zweiten Mal begannen zu steigen. Seitdem ist die Sieben-Tages-Inzidenz in dem 1,4-Milliarden-Einwohner-Land von zwölf auf 193 gestiegen.

Gemessen an der Bevölkerungszahl hat Brasilien über zwölfmal mehr Corona-Tote als Indien zu verzeichnenBild: Michael Dantes/AFP/Getty Images

Mittlerweile liegen Brasilien und Indien also in Sachen Inzidenz gleich auf. Etliche Länder melden zwar weit höhere Infektionsraten - darunter Uruguay, Schweden und die Niederlande. Doch die allermeisten Regierungen ergreifen spätestens Maßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19, wenn die Inzidenz dreistellig wird. Dementsprechend laut sind in Indien mittlerweile die Forderungen aus Opposition und Zivilgesellschaft nach einem nationalen Lockdown.

Modi trotz Drucks fest im Sattel

Kritik an Modis Regierung ist nicht erst mit der zweiten Corona-Welle laut geworden: "Modi ist bereits seit Ende 2020 wegen anhaltender Bauernproteste enorm unter Druck. Der Verlauf der Pandemie erodiert seine Popularität zusätzlich", sagt der Politikwissenschaftler Jörg Nowak. Am Nationalfeiertag im Januar waren Proteste gegen eine umstrittene Agrarreform eskaliert.

Dennoch, meint Nowak, genieße Narendra Modi eine relativ feste Machtbasis. Denn mit der hindunationalistischen BJP hat er eine gewachsene Partei mit stringenter Ideologie hinter sich. Zur Parteibasis gehört die Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), eine hinduistisch-faschistoide Kaderorganisation, zu deren Mitgliedern Modi selbst gehört. Bei ihrer Wiederwahl 2019 konnte die BJP ihre Mehrheit im Parlament gegenüber 2014 sogar ausbauen.

Bolsonaros politischer Rückhalt schwindet 

Auch Brasiliens Jair Bolsonaro ist mit Unterstützung religiöser Eiferer - aus den Reihen der brasilianischen Evangelikalen - an die Macht gekommen. Allerdings war er bis dahin ein unbekannter Hinterbänkler einer Kleinstpartei, mit der er ein knappes Jahr nach Amtsantritt 2019 brach. Als Parteiloser muss sich Bolsonaro für jedes Gesetz eine neue Mehrheit zusammensuchen. Und das wird zunehmend kompliziert, weil er sich mit zahlreichen politischen Weggefährten - darunter 16 ausgetauschte Minister - überworfen hat.

Nun muss sich der Präsident vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss wegen der mehr als 400.000 registrierten COVID-19-Toten verantworten. "Bolsonaros Macht erodiert zusehends", sagt Nowak,  der zurzeit an der Universität Brasilia forscht. "Niemand weiß mehr so recht, was die Linie der Regierung ist, und es gibt verschiedene Machtzentren wie die Präsidenten von Parlament und Senat, die alle verschiedene Agenden verfolgen."

Indischer Rechtsstaat in größerer Gefahr

Um ihre Politik durchzusetzen, sind sowohl Bolsonaro als auch Modi offenbar bereit, den Rechtsstaat auszuhöhlen. Während Bolsonaro damit bisher vor allem gedroht hat - wohl auch, weil ihm die Macht fehlt -, kann Indiens Modi bereits Taten vorweisen.

Kurz nach der Wiederwahl 2019 entzog die Regierung dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir, dem einzigen mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, die verfassungsmäßigen Selbstverwaltungsrechte. 2020 brachte der Druck, den die Regierung auf politische Gegner ausübt, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International dazu, ihre Arbeit in Indien einzustellen.

Vergangenen Februar löschte Twitter im Zusammenhang mit den Bauernprotesten, auf Druck der indischen Regierung, mehr als 500 Konten. "Ein solcher Vorgang wäre in Brasilien - zumindest derzeit - undenkbar", sagt der Politologe und BRICS-Experte Oliver Stuenkel vom brasilianischen Think-Tank Fundação Getúlio Vargas. "Die Erosion der Demokratie in Indien ist viel weiter fortgeschritten als in Brasilien."

Populismus zwischen wirtschaftlichen und menschlichen Kosten

Ähnlichkeiten sieht Stuenkel dagegen im Politikstil der beiden Staatenlenker: "Populisten wie Bolsonaro und Modi können schlechte Nachrichten nicht gebrauchen." Deshalb rede Bolsonaro die Krise konsequent klein. Und Modis BJP erklärte im Februar, die Epidemie in Indien besiegt zu haben.

Warum die indische Regierung es nicht schafft, ihren Irrtum einzuräumen und das Ruder herumzureißen, gibt den Experten Rätsel auf. Schon die Entscheidung zu dem extrem frühen und harten Lockdown 2020 sei sehr intransparent verlaufen, sagt Stuenkel, und so sei es nun wieder.

Brasiliens Arme in der Pandemie

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Dass es Modi darum geht, religiöse Feste und Wahlkampfveranstaltungen nicht zu kompromittieren, ist eine Vermutung. Eine andere ist, dass Modi nun - ähnlich wie Bolsonaro in Brasilien - die wirtschaftlichen Folgen eines Lockdowns scheut. Im zweiten Quartal 2020 war Indiens Wirtschaftsleistung um fast ein Viertel eingebrochen. "In beiden Ländern kann maximal ein Viertel der Beschäftigten ihrer Arbeit von zu Hause aus nachgehen. Die wirtschaftlichen Kosten von Distanzierungsmaßnahmen - zumindest kurzfristig - sind relativ hoch." Und viele Menschen, die tagsüber nicht arbeiten, haben abends nichts zu essen.

In diesem Punkt sieht auch GIGA-Präsidentin Amrita Narlikar eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Ländern: "Sowohl Brasilien als auch Indien haben ein Problem, wenn die Regierung einen Lockdown verhängt, denn sie stellen ihre Bevölkerung vor die unmögliche Wahl zwischen Leben und Lebensunterhalt", sagt die Politikwissenschaftlerin. "Das ist anders als in Deutschland, wo die Wahl zwischen Leben und Lebensstil fällt." Nur, meint Narlikar, hätte es nicht so weit kommen müssen, wenn beide Regierungen durchgehend angemessene Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie ergriffen hätten.

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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