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Post aus Rom: Die Stadt der Vögel

Megan Williams
1. August 2017

Rom zieht Vogelarten aus aller Welt magisch an. Darunter auch Arten, die hier nicht heimisch sind. Megan Williams gibt uns einen sehr persönlichen Blick auf die (neuen) gefiederten Stadtbewohner.

Foto von einem Paar Halsbandsittichen
Bild: Bruno Cignini

Von all den Dingen, die ich je mit guten Absichten getan habe und die dann leider nach hinten losgegangen sind, hängt mir eine Geschichte ganz besonders nach. Sie handelt vom Sohn einer lieben Freundin und einem Papagei.

Ein Jahr vor dem Vorfall war die Freundin, sie lebte im selben Apartmentkomplex in Rom wie ich, nach langer Krankheit gestorben. Wir litten alle noch sehr unter dem Verlust, als ich ihrem damals 13-jährigen Sohn Giovanni vorschlug, das Haustier der Familie, einen Papagei, mit aufs Dach zu nehmen, um ihm etwas Sonne und frische Luft zu gönnen.

Tiere im Käfig fand ich schon immer schrecklich. Shaulin aber, so hieß der Vogel, schien mir besonders unglücklich. Er saß in einer ziemlich dunklen Ecke der Wohnung.

Giovanni und ich stellten seinen Käfig also draußen auf einen Tisch im Schatten. Dort wurde Shaulin schlagartig lebendig. Er sprang im Käfig herum und fing an zu singen. Ich fühlte mich so erleichtert.

Allerdings nur, bis Shaulin zum Türchen des Käfigs hinüberhüpfte, mit seinem Schnabel den Verschluss öffnete und herausflatterte. Zunächst setzte er sich in die Krone einer Palme, die in unserem Innenhof stand. Ein paar Minuten lang hoffte ich noch, er würde zurückkommen, aber dann flog er endgültig weg.

Das war ein furchtbarer Moment. Bei meinem Versuch, Giovanni unbedingt etwas Gutes zu tun, hatte ich es geschafft, dass er nach seiner Mutter nun auch noch sein Haustier verlor.

Ich entschuldigte mich immer und immer wieder und versuchte es dann noch mit dem Argument, Shaulin sei vielleicht in Freiheit glücklicher. Giovanni antwortete einfach nur: "Die Möwen werden ihn fressen."

Just in dem Moment schrie so eine Möwe. Ein riesiges Tier, das wie ein Wächter auf dem angrenzenden Gebäude saß. 

Ursprünglich kommen sie aus Südamerika, nun haben Mönchssittiche Rom zu ihrem Zuhause gemachtBild: Bruno Cignini
Roms Hausmüll ist eine schier endlose Nahrungsquelle für Möwen und andere VogelartenBild: Bruno Cignini


Rom: Anziehungspunkt für Touristen und Arten

Ein paar Monate später wurde mein schlechtes Gewissen wenigstens etwas gelindert. Ich stand in einem kleinen historischen Park namens Villa Lazzaroni. Die Palmen hier drohten abzusterben. Dazu sprach ich mit Francesco Messina, dem Leiter der Baumpflege der Stadt. Rhynchophorus ferrugineus, ein kupferfarbener Rüsselkäfer aus Asien, war 2004 nach Italien gekommen und war dabei, die Palmen des Landes zu vernichten.

Während wir uns unterhielten, schossen über uns Dutzende grüne Vögel über den Himmel - Papageien, die schreiend von einem Baum zum nächsten zogen.

Nachdem ich Messina gefragt hatte, ob Möwen Papageien fressen (tun sie nicht), erklärte er mir, dass nicht nur die Rüsselkäfer eine invasive Art wären, sondern auch die Papageien.

Nachdem Leute sie als Haustiere gehalten und dann freigelassen hatten, vermehrten sie sich jetzt in den Parks der Stadt. Dank Klimawandel und steigenden Wintertemperaturen, sagte er, hätten inzwischen Tausende der Vögel ein angenehmes Leben hier.

So einfach sei das aber nicht, sagt dagegen Roms führender Experte für die Vogelwelt der Stadt, der Biologe Bruno Cignini. Die Sache ist viel komplexer, es gehe um mehr als nur Klimawandel und ein paar freigelassene Papageien.

"Sie müssen verstehen, dass Rom im Vergleich zu anderen Großstädten in Europa eine riesige Menge historischer Villen und Parks hat. Die machen sie zu einer idealen Stadt für invasive Arten, um sich niederzulassen", erklärte Cignini in seinem Büro direkt neben dem Zoo "Bioparco" in Rom.

Der Vogelkundler hat einige Erfahrung mit aufdringlichen Vögeln. In den 1990ern füllten riesige Schwärme von Staren die Bäume entlang des Tibers und verursachten durch ihre rutschigen Exkremente regelmäßig Auto- und Motorradunfälle. Um der Plage Herr zu werden, begann Cignini die Warnrufe der Vögel aufzuzeichnen und vor ihnen abzuspielen, um sie aus dem Zentrum der Stadt zu vertreiben.

Freundliche Papageien

Nicht eine, sondern zwei sehr ähnliche Papageienarten haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten vermehrt, sagt der Biologe. Aus Südamerika kommt der Mönchssittich und aus Kleinasien der Halsbandsittich.

Es sei möglich, dass der Sittich aus Asien hier eingewandert ist. Der Mönchssittich aber tauchte auf unkonventionelle Art in der Stadt auf. Er macht sich vor allem auf den Zedern im Caffarella-Park breit, der liegt an der historischen Straße "Appia Antica" im Süden der Stadt. Und das hat einen Grund.

"Es gab da mal ein Outlet-Center für Klamotten nahe am Caffarella. Dort stand ein riesiger Käfig mit dutzenden Papageien", sagt Cignini. "Als das Center pleite ging, haben sie die Tiere einfach freigelassen. Und die leben nun in dem Park."

Die Tiere bedrohen einheimische Arten nicht direkt, sagt Cignini. Aber sie sind unglaublich anpassungsfähig und gesellig. Dabei nehmen sie ganze Bäume in Beschlag, um ihre Nester zu bauen. Das tun sie entweder in Löchern im Stamm, wie der Halsbandsittich, oder in komplexen, bienenstockartigen Strukturen auf Ästen, wie der Mönchssitich. Damit bedrängen sie durchaus auch heimische Arten wie Spatzen, die weniger Platz und Nahrung finden.

Trotzdem sind Papageien noch die angenehmeren neuen Zeitgenossen in der Stadt der Vögel.

Möwen sind deutlich unangenehmer. Auch sie gehören inzwischen zum Stadtbild.

Streitsüchtige Möwen

Ihre Ankunft lässt sich auf ein bestimmtes Ereignis zurückführen. Und auch das hat mit guten Absichten zu tun, die sich nicht ausgezahlt haben. Demnach begann alles damit, dass der Gründer des italienischen Ablegers der World Wildlife Foundation (WWF), der renommierte Umweltschützer Fulco Pratesi, 1971 eine verwundete Möwe bekam.

Ein Freund hatte ihm das Weibchen in einem Schuhkarton überreicht. Pratesi erhielt die Erlaubnis vom Chef des Zoos in Rom, das Tier dort aufzupäppeln. Dann, im Frühling, entdeckte ein Männchen die Möwe, als es vorbeiflog.

"Sie wurden ein Paar und bauten ein Nest aus Taschentüchern, schmutzigen Lappen und anderem Abfall auf nacktem Fels", erklärt Pratesi. "Ihr Nachwuchs hat sich weiter fortgepflanzt und nun haben sie sich im historischen Stadtkern ausgebreitet."

Heute gibt es hier einige Hundert Tiere, die sich in Kirchenkuppeln und auf Hausdächern niedergelassen haben. 20 Kilometer ist ihr ursprünglicher Lebensraum an der Mittelmeerküste entfernt.

"Die Vögel sind sehr aggressiv", sagt Cignini. "Wenn einmal eines der Tiere ein Ei auf deiner Terrasse gelegt hat, kriegst du es nicht mehr weg. Wenn Leute das machen, dann schreien die Vögel und kurze Zeit später geht eine ganze Möwengruppe auf sie los. Ein Tier nach dem anderen."

Eine Initiative, ihre Zahlen einzudämmen, indem man Löcher in die Eier stach, wurde verboten. Umweltschützer hatten sich dagegen ausgesprochen, außerdem verbietet die Gesetzgebung in Italien das Töten der Vögel.

Das Müllproblem, das die Stadt Rom ohnehin hat, macht die Situation nicht einfacher. Die Vögel finden sich so auf einem Buffet aus verrottenden Essen wieder, das für sie auf den Straßen bereitliegt. Nachts fallen sie darüber her, an Ruhe am Abend ist immer weniger zu denken.

Tatsächlich finden sich, wo früher eine Möwe auf dem Dach saß, heute drei. Und sie sind nicht die einzigen, die ich sehe, wenn ich aus dem Fenster blicke. Die Palme auf dem Hof, auf der Shaulin, Giovannis geliebter Papagei, einst landete?

Der rote Palmen-Rüsselkäfer hat sie befallen. Zwei Jahre später war sie tot.

Der Biologe Bruno Cignini sagt, Rom bietet ideale Voraussetzungen für invasive ArtenBild: Bruno Cignini
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