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Politik

Halbzeit und Start der neuen Serie

Barbara Wesel
29. Juni 2020

In sechs Monaten endet die ökonomische Übergangszeit für den Brexit. Bis dahin muss es zwischen Briten und EU ein Handelsabkommen geben, oder es folgt die harte Trennung. Nun beginnt eine neue Verhandlungsserie.

Symbolbild Brexit Verhandlungen
Bild: picture-alliance/empics/S. Rousseau

Um zehn Uhr morgens geht es los an diesem Montag und dann wird täglich bis in den frühen Abend verhandelt. Die neue Serie der Post-Brexit-Gespräche beginnt mit einem Treffen der beiden Häuptlinge: Michel Barnier für die EU und David Frost für Grossbritannien. Danach sind die Experten am Zuge: Fairer Wettbewerb und Aufsichtsregeln stehen am Montag auf dem Programm. Im Laufe der Woche kommen Fischerei, Güterverkehr, Transport, Energie und andere strittige Themen auf den Tisch.

Zum ersten Mal seit Beginn der Unterredungen im Frühjahr trifft man sich wieder persönlich, eine Woche in Brüssel und die nächste in London. Handelsgespräche per Videokonferenz hatten sich in den letzten Monaten nicht als Erfolgsmodell erwiesen. Aber vielleicht lag es auch am fehlenden politischen Willen. "Wir sind in der Halbzeit, aber wir haben nicht die Hälfte unserer Arbeit geschafft", fasst EU-Unterhändler Barnier den Stand zusammen. Tatsächlich gibt es bisher keine nennenswerten Ergebnisse. Und der Stichtag für eine Verlängerung der Übergangszeit verstreicht nach dem Willen der britischen Regierung an diesem Dienstag. Damit ist am 31. Dezember Schluss und nach dem politischen wird der ökonomische Brexit vollzogen. 

Kalte Schulter von Angela Merkel

Einmal mehr hatten britische Brexiteers in den letzten Monaten ihre Hoffnung auf Angela Merkel gesetzt. Sie übernimmt in dieser Woche die Ratspräsidentschaft der EU und gewinnt damit Einfluss auf die europäische Tagesordnung und den Ablauf von Verhandlungen. Warum sich die Idee von der rettenden Bundeskanzlerin aber in manchen britischen Köpfen so hartnäckig hält, ist unklar. Schon David Cameron hatte vergebens gehofft, Merkel werde für ihn in der EU Partei ergreifen. Auch Theresa May glaubte lange - befeuert von Teilen der britischen Presse - an den Einfluss der deutschen Wirtschaft und an die Briten-Freundschaft der Kanzlerin.

Dagegen betont Angela Merkel immer wieder, dass ihr die Einheit Europas und der Schutz des Binnenmarkts wichtiger ist als den Brexiteers die Haut zu retten. In der letzten Woche wurde sie im Interview mit einigen europäischen Zeitungen dann ganz deutlich: "Wir müssen uns von dem Gedanken lösen, dass wir es sind, die definieren, was Großbritannien wollen sollte." Das sei Aufgabe der Regierung in London, und die müsse dann eben auch "mit den Folgen leben".

Hello! Der Premierminister in London in der Videokonferenz mit den "Freunden" in Brüssel Bild: Reuters/10 Downing Street/A. Parsons

Natürlich läge es im Interesse beider Seiten, einen geregelten Austritt hinzubekommen, das setze aber voraus, dass beide Seiten das wollten. Auch Angela Merkel scheint daran inzwischen zu zweifeln. Wenn aber Großbritannien bei Sozialstandards, Umwelt oder Arbeitsmarkt keine mit der EU vergleichbaren Regeln wolle, "dann werden unsere Beziehungen weniger intensiv sein". Das ist eine klare Ansage. Und eine Absage an faule Kompromisse in letzter Minute zugunsten der Briten und auf Kosten der europäischen Partner.

Letzte Frist Oktober

EU-Unterhändler Michel Barnier hat die undankbare Aufgabe, weiter nach Kompromissen zu suchen. Er beklagt, wie weit sich Großbritannien von den Zusagen in der "Politischen Erklärung" entfernt habe, dem Anhang zum Austrittsvertrag, in dem die künftigen Beziehungen definiert wurden. Danach sollten beide Seiten nach dem Brexit ein besonders enges politisches und wirtschaftliches Verhältnis anstreben. Aber Boris Johnson hat es sich anders überlegt. Er will bestenfalls noch einen einfachen Handelsvertrag. Das macht die Dinge aber nicht leichter, denn die tiefe Verflechtung der Wirtschaft auf beiden Seiten muss aufgelöst, stattdessen müssen neue Sicherungen und Kontrollen eingeführt werden.

Das Thema Fischerei dürfte weiter schwierig bleibenBild: Getty Images/AFP/A. Buchanan

Es gebe auf der britischen Seite immer noch sehr verschiedene Ansichten, sagt Barnier. Die Brexiteers zeigten sich hart, wollten volle Souveränität und keine Zugeständnisse. In Teilen der Wirtschaft sowie in Schottland und Wales wachse dagegen die Besorgnis und man wolle die Folgen des Brexit abmildern. Am Zuge ist allerdings die Regierung in London - und die hat ihre Karten noch nicht vollständig auf den Tisch gelegt.

In der letzten Gesprächsrunde im Juni hatte die EU dann Kompromisse bei der Fischerei und beim fairen Wettbewerb angedeutet. "Landungszonen" wird das in der Verhandlungssprache genannt, Begrifflichkeiten, um den Weg zu einer Einigung zu ebnen. "EU knickt ein", hatten darauf Teile der britischen Presse getitelt. "Wir arbeiten an einem cleveren Kompromiss" sagt dagegen Michel Barnier. Man habe Öffnungen bei Schlüsselthemen aufgezeigt, aber die Briten hätten sich darauf nicht eingelassen. Die Avancen der Europäer blieben unbeantwortet.

Der Unterhändler gibt den Gesprächen jetzt noch Zeit bis Oktober. Dann müsse der Entwurf für ein Abkommen den EU-Regierungen und dem Europaparlament vorgelegt werden. Die endgültige Absage an die Verlängerung der Übergangszeit habe die Chance auf Flexibilität zerstört. "Ein Deal ist noch möglich", sagt Barnier. Das Problem liege nicht in der knappen Zeit, sondern in der Substanz. Und "der Ball ist im Feld der Briten", er warte jetzt auf ein Signal.   

Wenig Enthusiasmus

Nach einem Gipfeltreffen per Videokonferenz zwischen Premierminister Boris Johnson und den Spitzen der EU war in der britischen Presse das Gefühl von Optimismus aufgekommen. Aber EU-Parlamentspräsident David Sassoli stach mit der Nadel in den Ballon. Er hatte an dem Gespräch teilgenommen und äußerte sich im Interview mit der britischen Zeitung "Guardian" so: "Wir alle sind besorgt, weil wir keinen großen Enthusiasmus auf der britischen Seite sehen und keinen starken Willen für ein Abkommen, das beide Seiten zufrieden stellt."

It takes two ... 

Michel Barnier habe von den EU-Mitgliedsstaaten die maximale Flexibilität bekommen, um einen Kompromiss zu finden. Aber "man braucht zwei Tänzer zum Tango". Er glaubt, dass die EU durch die Ablehnung der Verlängerung in ein schlechtes Licht gestellt werden solle. Wie schon bei den Scheidungsverhandlungen wird es auch am Ende dieser Gespräche um das "blame game" gehen, also darum, wer wem die Schuld am Scheitern zuschieben kann. 

EU-Unterhändler Michel BarnierBild: picture-alliance/dpa/AP/Reuters Pool/F. Lenoir

Auch die EU-Kommissionspräsidentin ist skeptisch: "Niemand weiß sicher, wo diese Verhandlungen am Ende des Jahres stehen werden", aber die EU werde alles versucht haben, erklärte Ursula von der Leyen. An der "London School of Economics" fügte die Kommissionschefin noch hinzu, dass sie "harte Verhandlungen" erwarte, bei denen jede Seite versuchen werde, das Beste für sich heraus zu holen.

Michel Barnier muss diplomatisch bleiben: "Wenn es (am Ende) schief geht – und da sind wir noch nicht, ein Deal ist noch möglich – werden die Briten schwerer getroffen. Aber jetzt werden wir weiter machen." Beide Seiten müssten die roten Linien der anderen respektieren und ihre Maximalforderungen anpassen. Es bleiben noch gut drei Monate, um heraus zu finden, ob die Briten dazu bereit sind.

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