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Post-Chef Appel: Europäer sollten stolz sein

27. März 2019

Der Logistikkonzern Deutsche Post DHL Group ist nach eigenen Angaben "in über 220 Ländern und Territorien" aktiv. Eine Gegend mache ihm derzeit besonders Sorgen, sagt Konzernchef Frank Appel im DW-Gespräch: die EU.

Deutsche Post DHL Frank Appel
Bild: Deutsche Post AG

Deutsche Welle: Herr Appel, im britischen Parlament stimmen die Abgeordneten heute über Alternativen zum Brexit ab - gegen den Willen der Regierung. Was ist Ihr Tipp, bis wann wird Großbritannien aus der EU austreten?

Frank Appel: Davon habe ich keine Vorstellung. Das ist so chaotisch. Niemand weiß, was in den nächsten Wochen passieren wird. Leider.

Vor fast genau zwei Jahren, am 29. März 2017, hat die britische Regierung den Austritt eingeleitet. Heute wissen wir kaum mehr als damals. Was bedeutet das für ihr Unternehmen?

Wir arbeiten mit Szenarien. Ein Hard Brexit bedeutet sofortige Grenzkontrollen für Waren. Für uns ist das nichts Ungewohntes. Europa exportiert ja viele Waren in Länder, wo es Grenzkontrollen gibt. Wir müssen also Prozesse aufsetzen für die Export- und die Importseite. Wir bilden deswegen schon seit Monaten Menschen aus, um auf diese Situation optimal vorbereitet zu sein.

Ihr Unternehmen, die Deutsche Post DHL Group, ist Mitglied der "Europäischen Bewegung Deutschland", die wiederum Teil eines Vereins ist, der für ein föderales Europa eintritt. Mehr Europa, vielleicht sogar ein europäischer Bundesstaat - halten Sie das auch persönlich für eine gute Idee?

Ich halte das seit vielen Jahren für eine gute Idee. Europa steht im intensiven Wettbewerb mit den USA und China. Wir müssen mehr zusammenwachsen. Es gibt Reformbedarf. Aber eigentlich ist Europa ein Beispiel dafür, wie man viele Dinge richtig macht. Wir haben seit mehr als 70 Jahren Frieden. In vielen osteuropäischen Ländern wurde ein friedlicher Übergang zur Demokratie erreicht. Die wirtschaftliche Entwicklung ist enorm. Ich bin 1961 geboren und habe die Veränderungen selbst erlebt. Es ist großartig, was uns da gemeinsam gelungen ist, und darauf sollten wir stolz sein. Deshalb sage ich auch meinen Mitarbeitern: Geht bitte zur Europawahl Ende Mai! Je mehr demokratische Legitimation das Europäische Parlament hat, desto besser ist das für den Prozess.

Trotzdem ist mein Eindruck, dass Europa in den vergangenen Jahren nie weiter entfernt war von stärkerer Integration als jetzt.

Das stimmt. Aber es werden auch viele Unwahrheiten behauptet. Die Mehrheit der Menschen in Europa lebt heute in deutlich besseren Verhältnissen als vor 30, 40 oder 50 Jahren.

Als promovierter Naturwissenschaftler und Chef eines Logistikkonzern sind sie wahrscheinlich ein rationaler Mensch. Was ist Ihre Erklärung für das Zerbröseln der europäischen Idee?

Als Menschen wollen wir die Hoffnung haben, dass morgen besser ist als heute. Daran gibt es derzeit aber sehr große Zweifel. Die Populisten bieten einfache Antworten, die aber nicht funktionieren. Beim Brexit kann man das sehen: Raus aus der EU ist für kein Problem eine Lösung. Wir müssen die Hoffnung wiederherstellen, dass es der nächsten Generation in Europa besser gehen kann. [Frankreichs Präsident Emmanuel] Macron versucht das, er versucht ein Bild zu malen, wie es in zehn oder 20 Jahren in Europa aussehen sollte. Davon brauchen wir mehr.

Ein Grund für den Erfolg der Populisten ist auch, dass sich viel Frust aufgestaut hat: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer, schlecht bezahlte und unsichere Arbeitsplätze nehmen zu. So arbeiten Paketauslieferer bei Subunternehmen von Logistikfirmen oft unter prekären Bedingungen. Welche Mitverantwortung haben große Firmen wie ihre an der jetzigen Lage?

Auf uns trifft das nicht zu. 98 Prozent unserer Pakete werden von unseren Mitarbeitern ausgeliefert. Wir haben nur einen geringen Teil an Drittunternehmen outgesourct, die wir allerdings verpflichten, sich an das geltende Arbeitsrecht in Deutschland zu halten. Wir sehen uns in der Verantwortung, unseren Mitarbeitern gut bezahlte Arbeitsplätze zu geben. Auch stimmt es nicht, dass es heute mehr Armut gibt. Es ist nicht wahr, dass es heute mehr arme Rentner gibt als vor zehn oder 20 Jahren. Wir vergleichen uns immer nur mit dem Nachbarn, nicht mit der Vergangenheit.

Wäre also Ihre Botschaft an die Unzufriedenen, die möglicherweise Populisten wählen: Euch geht es doch gar nicht so schlecht, wie er denkt?

Nein. Die Antwort muss sein, dass wir erklären, warum sich Dinge verändern. Wenn ich im Unternehmen unterwegs bin, erkläre ich immer, warum Globalisierung gut ist, warum die Digitalisierung positiv ist oder die EU. Wenn ich mit Zustellern und Lagerarbeitern rede, dann hören die genau zu und und verstehen auch, was ich sage.

Konzernzentrale der Deutsche Post DHL Group in BonnBild: picture-alliance/dpa/D. Kalker

Wie erklären Sie denn, dass Globalisierung gut ist, wenn Ihnen Menschen sagen: Der Wettbewerb im Job ist härter geworden, die Arbeitsbelastung ist gestiegen, viele Arbeitsplätze sind ins Ausland verlagert worden.

Indem man anhand von Fakten zeigt, wie viel Positives bewirkt wurde. Und indem man auch solche Geschichten erzählt: Man hat vergessen, dass man früher zu seinen Kindern gesagt hat: 'Leg auf, sonst wird die Telefonrechnung zu teuer'. Und heute? Selbst wer keinen Mobilfunkvertrag hat, kann dank öffentlichem WLAN teilnehmen, kann im Internet Kurse belegen und sich weiterbilden. Es gibt auch eine Eigenverantwortlichkeit des Menschen, man darf nicht alles der Gesellschaft anlasten. Diese Verantwortung muss man annehmen. Man muss auch Risiken eingehen im Leben. Ich komme aus einer mittelständischen Familie und habe mehrmals den Beruf gewechselt, von der Wissenschaft in die Beratung und dann in die Wirtschaft. Deswegen habe ich wahrscheinlich auch meinen Job, weil ich Risiken eingegangen bin.  

Zur Weltwirtschaft: Das globale Wachstum wird schwächer, es gibt Handelskonflikte und Zollschranken, all das dämpft den Handel. Wie groß ist das Problem für ihr Unternehmen, dass ja davon lebt, dass viel gehandelt und transportiert wird.

Es ist nicht so wichtig, ob das für uns ein Problem ist. Protektionismus ist grundsätzlich schlecht. Es gibt kein Land, das jemals durch Protektionismus erfolgreich war. Im Gegenteil: Protektionistische Länder stehen ganz unten in der wirtschaftlichen Entwicklung. Woran liegt das? Weil sie nicht offen sind, fehlen ihnen neue Ideen. Weil sie nicht unter Wettbewerbsdruck stehen, entwickeln sie sich nicht weiter. Und irgendwann merken sie, dass andere Länder an ihnen vorbeigezogen sind. Abschotten hilft niemandem, auch den USA nicht. Den Preis dafür bezahlen genau die Menschen, die sich davon einen Vorteil erhofft haben.


Frank Appel, promovierter Neurobiologie, ist seit 2008 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post DHL Group. Mit mehr als 500.000 Mitarbeitern weltweit und einem Jahresumsatz von 61 Milliarden Euro gehört das Unternehmen zu den größten Logistikfirmen der Welt. Laut Geschäftsbericht 2018 kam Frank Appel auf eine Gesamtvergütung von rund neun Millionen Euro.

Die Fragen stellte Andreas Becker.

Einige Stunden nach dem Gespräch gab der Konzern bekannt, dass er die rund 13.000 Paketzusteller seiner Tochter DHL Delivery GmbH unter das Dach des Haustarifvertrags holt. "Künftig gilt wieder: ein Betrieb, ein Tarifvertrag", sagte eine Vertreterin der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Die Umstellung soll zum 1. Juli 2019 erfolgen. Die Tochter DHL Delivery GmbH bezahlte seine Beschäftigten nach anderen Tarifverträgen.

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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