Er galt als der größte lebende Architekt Deutschlands: Frei Otto hat so gebaut, dass es heute noch innovativ ist. Mit ihrer höchsten Auszeichnung haben sich die Architekten der Welt jetzt vor ihrem Lehrer verneigt.
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Zwei Monate nach seinem Tod ist Frei Otto mit dem Pritzker-Preis für Architektur geehrt worden. Der Deutsche, der mit der Konstruktion des Münchner Olympiadaches berühmt geworden war, bekam die als wichtigste Architekturpreis der Welt geltende Auszeichnung am Freitagabend in Miami posthum verliehen.
Es ist nach Gottfried Böhm 1986 erst das zweite Mal, dass der Preis an einen Deutschen ging und das erste Mal, dass er nach dem Tode des Preisträgers verliehen wird.
Namhafte Bauwerke
Der 1925 im sächsischen Siegmar geborene Otto war Sohn eines Bildhauers und Schüler des Star-Architekten Mies van der Rohe (1886-1969). Neben der Zeltdachkonstruktion des Münchner Olympiastadions entwarf er gemeinsam mit Kollegen unter anderem auch den Japanischen Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover und das Spinnennetzdach über dem Deutschen Zeltpavillon für die Weltausstellung 1967 in Montréal. Eine Zeit lang arbeitete er auch am umstrittenen Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 mit, distanzierte sich dann aber davon.
Frei Otto: der Architekt der Luftschlösser
Seine Konstruktionen waren eine Hommage an die Leichtigkeit von Form und Material, sein berühmtestes Werk ist das filigrane Dach des Münchner Olympiastadions. Jetzt ist Frei Otto im Alter von 89 Jahren gestorben.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Mächler
Meisterwerk mit Damenstrümpfen
Frei Otto legte es nicht auf Lorbeeren an, viel lieber widmete er sich wagemutigen Entwürfen. Mit seiner Vision des Münchner Olympiastadions erhielt er zur Verblüffung der Fachwelt Ende der 1960er Jahre den Zuschlag. Statt mit Beton und Stein siegte Otto mit neuer Leichtigkeit – und mit Nylonstrümpfen, die seinen Modellentwurf zusammenhielten. Bis heute lagern sie in Ottos Rumpelkammer.
Bild: picture-alliance/dpa/Sven Hoppe
Eigentlich unbaubar
Zu Frei Ottos Zeiten arbeitete man noch ohne Computer und Architekten-Software. Sonst hätte die Technik ihn darüber informiert, dass eine Zeltdachkonstruktion wie in München eigentlich unbaubar war. Gebaut wurde sie trotzdem - dank Frei Ottos Tüfteleien an der Statik. Heute zählt das Dach zu den architektonischen Wundern der Gegenwart.
Bild: picture-alliance/blickwinkel/McPHOTOs
Ein Zelt aus Sternen
Immer wieder stolperten Zeitgenossen über den Namen: Frei Otto? Muss es nicht Otto Frei heißen? Nein, seine Mutter gab ihm den Vornamen, weil sie die Freiheit liebte – und diesen freien Geist trug auch der Sohn Zeit seines Lebens in sich. Fast scheint es, als ob seine Entwürfe aus Seilnetzen und Gitterschalen davonfliegen wollen. So wie hier das "Sternenweltzelt"-Dach im Kölner Tanzbrunnen.
Bild: Imago/Werner Otto
Inspiriert vom Segelfliegen
Frei Paul Otto erblickte am 31. Mai 1925 in Siegmar bei Chemnitz das Licht der Welt. Eigentlich wollte er Bildhauer werden wie schon sein Vater und Großvater. Doch als er das Segelfliegen erlernte, verfiel er den filigranen Leichtbaumodellen. Er studierte Architektur in Berlin und eröffnete 1952 sein erstes eigenes Büro.
Bild: picture-alliance/dpa/Frank Mächler
Ein Faible für Schirmdächer
Am meisten hatten es ihm Dächer angetan - keiner konnte sich mehr für das Beschirmen begeistern als Otto. Selbst für die Band "Pink Floyd" realisierte er in den 1970er Jahren ein ungewöhnliches Bühnendach für ihre Tournee. Und dann gibt es da noch den japanischen Pavillon bei der Expo 2000 in Hannover, der ein wenig an eine Raupe erinnert - eine federleichte, versteht sich...
Bild: picture-alliance/dpa/Boris Roessler
Ideengeber und Utopist
Die meisten von Ottos Bauwerken entstanden in Zusammenarbeit mit Kollegen. Er selbst beschrieb sich vor allem als Ideengeber. "Ich habe viele Luftschlösser ersonnen", sagte Otto einmal. Luftig leicht, fast an ein Ufo erinnernd, wurde so, mit Unterstützung von Carsten Schröck, schon in den 1960er Jahren die St. Lukas-Kirche in Bremen errichtet. Das Gebäude steht seit 1994 unter Denkmalschutz
Bild: Gemeinde St. Lukas
Ein luftiges Wahrzeichen
Während Otto so mancher seiner Entwürfe, wie auch das Münchner Olympiadach, schon fast zu massiv erschien – die Statik hatte das nötig gemacht – konnte er im Münchner Tierpark Hellabrunn seinen Traum vom Luftschloss erfüllen. Fast unsichtbar und luftig leicht präsentiert sich die Großvoliere, längst ein Wahrzeichen des Zoos.
Bild: Hellabrunn
Das "Bau-Gen"
An der Universität Stuttgart hatte Otto 1964 eine Art Leichtbau-Thinktank gegründet: das "Institut für Leichte Flächentragwerke". Ingenieure aus aller Welt pilgerten hierher, um an Ottos Vorlesungen teilzunehmen. Er sei fest überzeugt, dass es ein "Bau-Gen" gäbe, erklärte er seinen Studenten. Der Mensch müsste auch dann bauen, wenn er gar keinen Grund dafür hätte. Das Bauen sei ihm eigen.
Bild: Getty Images/Afp/Toshifumi Kitamura
Auch mal Verzicht üben
Für Otto musste dieses Bau-Gen im Einklang mit der Natur schwingen. Er studierte die Netze von Spinnen, setzte sich mit dem organischen Bauen auseinander und experimentierte mit Drahtgestellen. Und manchmal plädiert Otto für den Verzicht: Auf dem Gelände des zerstörten World Trade Centers solle man nur Gras wachsen lassen, schlug er vor. Als Erinnerung. Es kam anders.
Bild: STAN HONDA/AFP/Getty Images
Ein Brunnen für Warmbronn
Seit vielen Jahren lebte Otto Frei mit Frau und Tochter in der kleine schwäbischen Gemeinde Warmbronn bei Stuttgart. Als Hommage an seinen Heimatort schuf er einen Gedenkbrunnen für den regionalen Poeten Christian Wagner. Er sieht aus wie ein Baum, ist aus 133 Stangen zusammengeschweißt, und aus seinen Ästen tropft Wasser in den Brunnentrog.
Bild: picture-alliance/dpa/Bernd Weißbrod
Ein Architekten-Nobelpreis zum Abschied
Bis zuletzt arbeitete Frei Otto in seinem Atelier. Zahlreiche Preise hat er in seinem Leben gewonnen, posthum wurde ihm jetzt der Pritzker-Preis, quasi ein Nobelpreis der Architektur, verliehen. Die Jury würdigte ihn als "Titan der modernen Architektur". Otto wusste von der bevorstehenden Ehrung, freute sich – aber in Gedanken war er bestimmt schon wieder dabei, ein neues Luftschloss zu bauen.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Mächler
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Anfang März 2015 starb Frei Otto im Alter von 89 Jahren. Er hatte nach Angaben der Jury aber noch von der Ehrung erfahren. "Ich habe nie etwas getan, um diesen Preis zu erhalten", habe er der Jury daraufhin gesagt. "Das Gewinnen von Preisen ist nicht mein Lebensziel. Ich versuche, armen Menschen zu helfen. Aber was soll ich sagen, ich bin sehr glücklich."
Forscher, Erfinder und Form-Finder
Otto hatte schon früh "organisches Bauen" propagiert. "Wir müssen mit der Natur bauen, nicht gegen sie", war einer seiner Grundsätze. Otto sei nicht nur Architekt, sondern auch "Forscher, Erfinder, Form-Finder, Ingenieur, Baumeister, Lehrer, Mitarbeiter, Umwelt-Aktivist, Humanist und Schöpfer unvergesslicher Gebäude und Orte" gewesen, hatte die Jury ihre Wahl begründet. Die Auszeichnung gilt als eine Art Architekturnobelpreis.
Der britische Architekt Norman Foster sagte, Otto habe seiner Zunft gezeigt, dass sie nicht unter der Last der Tradition zusammenbrechen müsse, sie könne leicht und "organisch" bauen. "Er war unser aller Lehrer." Sein Kollege Frank Gehry sagte: "Frei Otto hat für immer unsere Art, über Bauten zu denken, verändert. Er hat in Frage gestellt, was da war, und ist zurück zur Natur gegangen. Er war weit vor seiner Zeit."