1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Garnisonkirche: Umstrittener Ort deutscher Geschichte

Andreas Noll
22. August 2024

Mit einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist der wiederaufgebaute Turm der Potsdamer Garnisonkirche eingeweiht worden. Der umstrittene Bau hat eine wechselvolle Geschichte. Ein Überblick.

Der wiederaufgebaute Turm der Potsdamer Garnisonkirche
Der wiederaufgebaute Turm der Potsdamer GarnisonkircheBild: Soeren Stache/dpa/picture alliance

Den ersten schweren Angriff auf die Kirche im Herzen Potsdams flogen britische Bomber im April 1945, wenige Tage vor der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches. Von der Garnisonkirche stand nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch ein Torso, dem die DDR-Führung am 23. Juni 1968 mit Sprengstoff zu Leibe rückte.

Das ungeliebte Bauwerk in Berlins Nachbarstadt sollte als Erbe des "Soldatenkönigs" Friedrich Wilhelm I. für immer von der Bildfläche verschwinden. Der preußische König, Vater Friedrich des Großen, hatte die Garnisonkirche 1735 errichten lassen - als Symbol des Militärs und des preußischen Königtums in seiner Residenzstadt.

Damit war das Bauwerk im kirchenfeindlichen Sozialismus nicht traditionswürdig. Mit der Sprengung vollzog das Regime den symbolischen Bruch mit Militarismus, Nationalismus und Preußentum.

Der "Tag von Potsdam"

Die Kirche, in der auch die Offiziere gebetet haben, die am 20. Juli 1944 Hitler töten wollten, ist durch den "Tag von Potsdam" in die Geschichtsbücher eingegangen. An diesem Tag, dem 21. März 1933, wenige Wochen nach der Machtübernahme, vollzogen die Nationalsozialisten an diesem Ort die symbolische Machtübergabe von der alten preußischen Elite an das neue NS-Regime.

Reichskanzler Adolf Hitler und der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg reichten sich die Hände. Der 200 Jahre alte Bau wurde zur Kulisse für eine unheilvolle Allianz.

Symbolischer Händedruck am "Tag von Potsdam": Reichskanzler Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg (r.)Bild: akg-images/picture alliance

Zwölf Jahre später lagen Preußentum, Nationalsozialismus und Garnisonkirche in Trümmern. Den oberen Teil des 88 Meter hohen Kirchturms, über Jahrhunderte das Wahrzeichen der Stadt, hatte ein Bombentreffer zerstört, auch das Kirchenschiff erlitt schwere Schäden, die wertvolle Innenausstattung wurde zum Raub der Flammen.

Im Park: Das Glockenspiel der Garnisonkirche in PotsdamBild: Schöning/IMAGO

Am Anfang war das Glockenspiel 

Die Initiative zum Wiederaufbau geht vor allem auf den 1941 in Berlin geborenen Max Klaar zurück. Der ehemalige Bundeswehroffizier gründete als Kommandeur eines Bundeswehr-Fallschirmjägerbataillons im sauerländischen Iserlohn eine Initiative zum Wiederaufbau des historischen Glockenspiels der Kirche.

Militärische Traditionsverbände, aber auch der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, spendeten damals für die "Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel".

Ein durch Spenden finanzierter Teilnachbau des Glockenspiels stand ab 1984 auf dem Paradeplatz der Iserlohner Kaserne, der vollständige Nachbau der 40 Glocken drei Jahre später.

Nach der Wiedervereinigung zog das Glockenspiel von Westfalen an seinen Originalstandort in Potsdam. Zuvor hatte die Stadt jedoch die eingegossenen Widmungen an die deutschen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße von den Glocken entfernen lassen. 2019 wurde das Glockenspiel dann wegen einer "Reihe revisionistischer, rechtsradikaler und militaristischer Widmungen“ dauerhaft abgeschaltet.

Kritiker warfen Klaar und der Traditionsgemeinschaft vor, die historische Bedeutung der Kirche als Symbol des preußischen Militarismus und der NS-Zeit zu verharmlosen und einen "Anziehungspunkt für Rechtsextremisten" zu schaffen.

Ein Ort zur Reflektion und Debatte über die deutsche Vergangenheit: Bundespräsident Steinmeier hält in der Kapelle der wiederaufgebauten Garnisonkirche eine RedeBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Umstrittener Wiederaufbau

Um die Jahrtausendwende gelang es Klaar, die evangelische Kirche für das Wiederaufbauprojekt zu gewinnen. Sie gründete 2008 die kirchliche "Stiftung Garnisonkirche Potsdam". Der Rechtsnationale Klaar zog sich aus dem Projekt zurück. Finanziert wurden die Baukosten von mehr als 40 Millionen Euro schließlich über den Bundeshaushalt, die evangelische Kirche und Spender aus ganz Deutschland.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Schirmherr des Projekts, erinnerte bei der Eröffnung an den langen und komplizierten Weg des Wiederaufbaus. Dieser Weg sei umstritten geblieben, der Ort fordere heraus, so Steinmeier. Er konfrontiere die Deutschen mit ihrer Geschichte. Hier könne über das Gestern, Heute und Morgen nachgedacht und gestritten werden.

"Wow-Faktor" im Herzen Potsdams?

Die Stiftung als Eigentümerin und Betreiberin des Turms versteht ihr Gebäude als Erinnerungs-, Kultur- und Bildungsstätte. Es gibt im Gebäude Räume für Seminare.

Die Geschichte der Kirche wird in einer Ausstellung auf 280 Quadratmetern unter der Überschrift "Glaube, Macht und Militär" thematisiert. Auf die belastete Vergangenheit verweist ein Bibelwort, das in fünf Sprachen auf dem Sockel des Gebäudes steht: "Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens."

Um den Erhalt des Bauwerks dauerhaft zu finanzieren - der Besuch kostet für Erwachsene 12 Euro - setzt die Stiftung auch auf Unterhaltung. Der Turm wird auf der Stiftungs-Homepage als "Wow-Wahrzeichen für Frieden und Demokratie" beworben. Er biete den "besten Blick in Vergangenheit und Zukunft".

Beim Festakt protestieren Mitglieder einer Bürgerinitiative gegen die Rekonstruktion der Kirche. Sie sehen den Bau wegen der Vergangenheit als ein "Wahrzeichen des Terrors"Bild: picture alliance/dpa

Weiterbau ungewiss

Nach der Eröffnung des Kirchturms fehlt auf dem Gebäude noch die sogenannte Turmhaube, eine 30 Meter hohe Konstruktion aus Holz, Stahl und Kupfer. Sie soll später auch das Glockenspiel beherbergen und dem Turm seine historische Höhe von 88 Metern zurückgeben.

Offen ist bis heute die Frage nach der Rekonstruktion des historischen Kirchenschiffs. Bis auf Weiteres steht für Messen oder Konzerte nur eine kleine Kapelle im Erdgeschoss zur Verfügung.

Ob es überhaupt noch genügend Gläubige für eine große Kirche an diesem Standort gibt, ist ebenso fraglich wie eine mögliche Finanzierung. Auch würde ein solches Projekt wohl erneut auf Widerstand in der Bevölkerung stoßen.

Nach der Sprengung der Kirche ließ das SED-Regime 1970 auf dem Bauplatz als symbolisches Zeichen für die Zukunft ein Rechenzentrum errichten, das heute als Kunsthaus genutzt wird. Die weitere Zukunft der Garnisonkirche wird also auch davon abhängen, ob die Stadt dieses sozialistische Erbe beseitigen möchte.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen