1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
GesellschaftAfrika

Feminismus auf äthiopische Art

Lidet Abebe
16. Juni 2021

Mit Themen wie Abtreibung und Prostitution will das Digitalmagazin "Addis Powerhouse" in Äthiopien Tabus brechen. Auch aktuelle politische Themen zur bevorstehenden Parlamentswahl werden offen thematisiert.

Drei Frauen mit Maske laufen über eine Straße und tippen auf ihren Smartphones
In der Hauptstadt Addis Abeba stehen Frauen in Sachen Gleichberechtigung nicht schlecht daBild: Minasse Wondimu Hailu/AA/picture alliance

"Addis" ist die Kurzform für die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. "Gleichzeitig bedeutet 'addis' in der Nationalsprache Amharisch 'neu'", erklärt Hellina Hailu, eine der Gründerinnen von "Addis Powerhouse". Tatsächlich ist das monatlich erscheinende Digitalmagazin etwas Neues in Äthiopien. Ein "Powerhouse", ein Kraftwerk solle das Angebot sein, wo Frauen Energie tanken könnten, so Hannah Lemma, Mitgründerin und Herausgeberin. 

Eigentlich steht Äthiopien in Sachen Frauenrechte, zumindest in den urbanen Zentren, gar nicht schlecht da: Frauen sind vergleichsweise gut repräsentiert, auch in der Politik. Das Kabinett des ostafrikanischen Landes besteht inzwischen zur Hälfte aus Frauen. Warum also das Thema Gleichstellung und Frauenrechte? "Die Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, hat mich dazu bewogen", erklärt Hannah im DW-Interview. Denn auch nach den von Ministerpräsident Abiy Ahmed 2018 angestoßenen Reformen bleibt Äthiopien eine stark patriarchal strukturierte Gesellschaft - mit eng definierten Geschlechterrollen.  

Noch sind die meisten Texte auf Englisch, aber das wollen die Gründerinnen bald ändernBild: Addis Powerhouse

Die beiden selbsterklärten Feministinnen kennen sich aus einer ehemaligen Firma, in der sie zusammengearbeitet haben. Hellina, 24, ist Elektroingenieurin, ein noch seltener Frauenberuf in dem 110-Millionen-Einwohner-Land. Die ebenfalls 24-jährige Hannah hat Entwicklungsökonomie studiert. "Vor etwa 15 Monaten haben wir dann mit dem Magazin angefangen", erinnert sich Hellina. 

Sprache und Internetzugang 

Vier weitere junge Frauen stärken dem Gründungsduo den Rücken: Eine Grafik-Designerin, eine Website-Content-Managerin, eine Social-Media-Managerin und eine Künstlerin. "Addis Powerhouse" ist ihr Freizeitvergnügen, im Hauptberuf haben alle sechs Frauen andere Jobs. "Hannah und ich schreiben auch aktiv. Jede Person, die über Gleichberechtigung schreiben möchte, kann uns Themen per E-Mail oder auf Telegram schicken", so Hellina. 

Hellina Hailu hat Addis Powerhouse mitgegründetBild: Addis Powerhouse

Für viele Frauen in dem multiethnischen Staat stellt die Sprache indes noch eine Barriere bei der Lektüre dar. Mit Ausnahme eines Artikels auf Amharisch sind alle Beiträge auf Englisch verfasst. Dies soll sich bald ändern. "Für die Zukunft planen wir, inklusiver zu sein und unseren Fokus mehr auf amharische Inhalte zu richten", sagt Hannah. "Wenn es eben geht, wollen wir zudem weiteren Sprachen eine Plattform bieten."

Sprache ist jedoch nicht die einzige Herausforderung beim Thema freie Meinungsäußerung in Äthiopien - auf der Straße oder im digitalen Raum. Laut dem (weltweit erhobenen) "Digital 2021"-Bericht haben gerade einmal 20 Prozent der äthiopischen Bevölkerung einen Internetzugang. Nur knapp sieben Millionen Menschen nutzen soziale Medien. Die Tendenz ist jedoch steigend, und Äthiopien hat gerade seinen Telekommunikationsmarkt für ausländische Anbieter geöffnet. Für das Team vom"Addis Powerhouse" bedeutet das die Hoffnung auf zusätzliche Leserinnen und Leser jenseits der eigenen Grenzen.

Konservativ und politisiert 

Für die April-Ausgabe "Frauen in der Politik" haben Hannah, Hellina und ihre Mitstreiterinnen eine Online-Umfrage durchgeführt. Zwei Dittel der Teilnehmer haben demnach angegeben, bei den bevorstehenden Wahlen Ende Juni nicht zur Urne gehen zu wollen. Als Gründe nannten sie das Gefühl, "nicht angemessen vertreten zu sein", und "zu wenige Informationen erhalten zu haben". "Unser Ziel ist es, die Leute dazu zu bringen, über das Thema Wahl zu diskutieren", betont Hellina. Keinesfalls wollten sie das Abstimmungsverhalten beeinflussen. 

Startseite des äthiopischen Digitalmagazins "Addis Powerhouse"Bild: Addis Powerhouse

Diskutiert wird bei Addis Powerhouse auch über die weithin berichteten Vergewaltigungen von Frauen in Tigray. Der äthiopischen Regierung wird vorgeworfen, in der Konfliktregion im Norden Äthiopiens sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe zu benutzen. In ihrer Mai-Ausgabe machte das Magazin nun auf das Thema aufmerksam. "Wenn man sich für Frauen einsetzt, hat man unweigerlich Berührungen mit der Politik", sagt Hannah. Die ist in Äthiopien allgegenwärtig - und mitunter gefährlich. Aber solange das Thema Frauen betrifft, scheuen die "Power"-Frauen nicht davor zurück. 

"Wir wissen, dass Vergewaltigung ein besonders schwieriges Thema ist. Deshalb veröffentlichen wir Inhalte über diese Vorfälle nur, wenn wir vertrauenswürdige Beweise vorliegen haben", so Hannah. Nach den zahlreichen belegten Vorwürfen hat die äthiopische Generalstaatsanwaltschaft bestätigt, dass Soldaten und Polizisten in Tigray an Vergewaltigungsfällen beteiligt waren. Anfang Juni teilte das Büro des Premierministers mit, 25 verdächtigte Soldaten seien wegen Vergewaltigung angeklagt worden und stünden vor einem Militärgericht. 

Hannah Lemma: keine Berührungsängste mit der PolitikBild: Addis Powerhouse

Religion - ein weiteres heißes Eisen

Die März-Ausgabe von Addis Powerhouse widmete sich der Frage von Weiblichkeit und Religion. "Wenn man über die Gleichstellung der Geschlechter spricht, wird die Rolle der Religion meist nicht angesprochen", sagt Hannah. Nach wie vor geben in Äthiopien religiöse Traditionen die Rollen für Frauen in der Gesellschaft vor. Das wollen die Aktivistinnen ändern. Sie wollen allen Religionsgruppen die Möglichkeit bieten, sich untereinander auszutauschen. 

Es gebe viel Redebedarf, um frauenspezifische Probleme zu besprechen und so einen Wandel anzuregen. "Wir haben uns deswegen zum Beispiel mit Redakteur*Innen vom Journal 'Women in Islam' über entsprechende Themen ausgetauscht", erklären die Herausgeberinnen. Das Journal setze sich in vorbildlicher Weise kritisch mit den widersprüchlichen Vorstellungen des Islam in Bezug auf Frauenrechte und Gleichstellung auseinander. 

"Wir haben ganz andere Sorgen" 

Ein Thema, das Redaktionen feministischer Publikationen in Europa und den USA beschäftigt, ist in Äthiopien - und damit auch bei Addis Powerhouse - dagegen noch keines: die Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen. "Wie groß der Gehaltsunterschied ist, ist uns gar nicht bekannt. Wir haben ganz andere Sorgen hier", sagt Hellina. Doch selbst im wertekonservativen Äthiopien gibt es Bewegung: Die Redakteurinnen geben an, von Feministinnen im Land gehört zu haben, dass das Thema "Pay Gap" bei den politischen Debatten der anstehenden Wahlen aufgerufen werden soll. Das Kraftwerk "Addis Powerhouse" arbeitet geräuschvoll weiter.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen