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Pränataler Down-Syndrom-Test hoch umstritten

Veröffentlicht 21. März 2021Zuletzt aktualisiert 21. März 2024

Der nicht-invasive Test, mit dem werdende Eltern herausfinden können, ob ihr Kind Trisomie 21 hat, ist umstritten. Probleme haben viele aber nicht mit der Untersuchung selbst, sondern damit, wie es danach weitergeht.

Natalie Dedreux auf einer Demonstration gegen Bluttests für Schwangere auf Down-Syndrom im April 2019
Down-Syndrom Aktivistin und Bloggerin Natalie Dedreux Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Bei ihrer dritten Schwangerschaft war Susanne (Nachname ist der Redaktion bekannt) 36 Jahre alt. Zwei kleine Söhne hatten sie und ihr Mann bereits. Wie bei Schwangeren über 35 in Deutschland üblich, wurde bei Susanne ein Erst-Trimester-Screening gemacht. Ihr wurde Blut abgenommen, über Ultraschall wurde die Nackenfalte des Babys untersucht. Das Ergebnis: Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind eine Chromosom-Störung wie zum Beispiel Trisomie 21, Down-Syndrom, haben könnte.

Es folgte die Überweisung an einen Humangenetiker und weitere Tests. Hier bekam die Familie aus der Nähe von Heidelberg bestätigt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Susanne ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt bringen würde, war deutlich erhöht. Um noch mehr Gewissheit zu erlangen, gab es damals, 2008, nur die Möglichkeit invasiver Tests, beispielsweise der Fruchtwasseruntersuchung. Der Eingriff liefert zwar mehr Informationen, birgt aber auch ein 0,5 prozentiges Risiko einer Fehlgeburt. Susanne und ihr Mann verzichteten noch aus einem anderen Grund auf die Maßnahme. 

"Man muss sich vorher natürlich überlegen, was man mit dem Ergebnis macht," erzählt Susanne. "Und uns war klar, wegen Down-Syndrom würden wir die Schwangerschaft nicht abbrechen."  

Den nicht-invasiven Pränataltest, mit dem relativ sicher festgestellt werden kann, ob ein Kind Down-Syndrom haben wird, gab es während Susannes Schwangerschaft noch nicht. Ob sie ihn gemacht hätte, weiß sie nicht.Bild: picture-alliance/BSIP

Als Tochter Luise geboren wurde, war sich der entbindende Arzt, selbst kein Trisomie-Experte, nicht sicher, ob das Baby nun Down-Syndrom hatte oder nicht - für Susanne in dem Moment egal.

"Es ist halt ein Baby und es ist unser Baby," beschreibt sie ihre Gedanken nach der Entbindung.

Erst am nächsten Tag diagnostizierte der hinzugezogene Experte: Luise hat Trisomie 21.  

Mittlerweile besucht die bald 14-Jährige eine Förderschule, ein schwerer Herzfehler, der kurz vor ihrem zweiten Geburtstag operiert wurde, ist verheilt. Luise führe ein "ganz normales Schülerinnen-Leben", erzählt ihre Mutter.

Trisomie ist nicht gleich Trisomie

Seit 2012 haben Schwangere in Deutschland die Möglichkeit, eine mögliche Chromosom-Störung ihres Babys auch über einen nicht-invasiven pränatalen Test (NIPT) diagnostizieren zu lassen. Für einen NIPT wird eine Blutprobe der schwangeren Frau untersucht. Die Erkennungsrate für Trisomie 21 liegt bei rund 99%. Die Erkennungsrate für eine Trisomie 18 liegt bei 98% und die für eine Trisomie 13 bei nahezu 100%. Die beiden letzteren sind schwere Chromosom-Störungen, bei denen die Kinder teilweise schon im Mutterleib sterben, oder so schwere körperliche Fehlbildungen haben, dass sie nach der Geburt nicht lange überleben können.

Bei Menschen, die mit Trisomie 21 geboren werden, ist das Chromosom 21 dreifach statt doppelt vorhanden. Sie haben meistens eine leichte geistige Behinderung ― in wenigen Fällen ist diese auch schwer ― und motorische Störungen. 40 bis 60 Prozent haben einen angeborenen Herzfehler, auch Fehlbildungen des Magen-Darm-Trakts sind nicht ungewöhnlich. Viele der körperlichen Anomalien sind operabel, die Lebenserwartung von Menschen mit Down-Syndrom  liegt im Durchschnitt bei etwa 60 Jahren.

Menschen mit Down-Syndrom haben das Chromosom 21 dreimal

Pränataldiagnose als Kassenleistung

Seit 2019 wird der NIPT in Deutschland in begründeten Einzelfällen, bei Schwangerschaften mit einem erhöhten Risiko, nach einer ärztlichen Empfehlung von der Krankenkasse bezahlt.

Der Schritt war, wie auch schon die Einführung des Tests, umstritten. Kritiker sorgen sich, dass der NIPT als einfache Methode genutzt werden könnte, Menschen mit Behinderung noch vor ihrer Geburt auszusortieren, wenn Frauen ein Baby beispielsweise aufgrund einer hohen Wahrscheinlichkeit von Trisomie 21 abtreiben.

"Weiter fürs Down-Syndrom kämpfen"

Natalie Dedreux startete vor zwei Jahren eine Petition dagegen, dass die Krankenkassen in bestimmten Fällen die Kosten des NIPT übernehmen. 

"Ein Leben mit Down-Syndrom ist was Besonderes", sagt sie. Und die 23-jährige Bloggerin muss es wissen ― sie hat Down-Syndrom, lebt allein in einer Wohnung in Köln und gehört zum Team des Forschungsinstituts Touchdown 21, wo Menschen mit und ohne Down-Syndrom zusammenarbeiten. Außerdem schreibt sie für 'Ohrenkuss', das Magazin des Instituts. "Wichtig ist, dass wir gesehen werden, damit die Welt auch mal sieht, dass Menschen mit Down-Syndrom da sind."

Die Petition ist trotz der Entscheidung zur Kostenübernahme der Krankenkassen weiterhin offen und hat bereits fast 30.000 Unterschriften. "Ich möchte fürs Down-Syndrom weiter kämpfen", sagt Dedreux.

"Treibt uns nicht ab!"

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Dänemark: Kaum noch Babys mit Down-Syndrom

"Es ist ein Problem, wenn wir in einer Gesellschaft ein Leben wegen eines extra-Chromosoms als nicht lebenswert benennen", sagt Grete Fält-Hansen. Sie ist die Vorsitzende der Nationalen Down-Syndrom Gesellschaft in Dänemark und Mutter von Karl-Emil, einem 20-Jährigen mit Down-Syndrom.

In Dänemark gehört seit 2004 ein nicht-invasiver Test, mit dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, ob ein Kind Trisomie 13, 18 oder 21 haben wird, zum normalen Voruntersuchungspaket, das jeder Schwangeren angeboten wird. Den Frauen entstehen keine zusätzlichen Kosten, fast alle entscheiden sich dafür. Von denen, die eine Down-Syndrom-Diagnose bekommen, entscheiden sich mehr als 95 Prozent für eine Abtreibung, berichtet das US-Magazin The Atlantic.

Das hat radikale Folgen. 2019 wurden in ganz Dänemark 18 Kinder mit Down-Syndrom geboren. In den USA sind es jedes Jahr etwa 6000 Kinder, für Deutschland gibt es eine vergleichbare Statistik nicht. Aktuell leben in der Bundesrepublik schätzungsweise rund 50.000 Menschen mit Down-Syndrom.

Dedreux mit Angela Merkel bei einem Besuch der Bundeskanzlerin in Köln im Juli 2018Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Fält-Hansen sagt, die Regelung habe dazu geführt, dass Eltern, die den Pränataltest ablehnen und dann ein Kind mit Down-Syndrom bekommen, schon mal gefragt werden "Warum hast du denn den Test nicht gemacht?" 

Sie bemängelt, dass Frauen, bei denen der Test auf Trisomie 21 hindeutet, nicht genügend betreut werden. "Sie müssen eine der härtesten Entscheidungen treffen, die es gibt", sagt Fält-Hansen. "Ich finde es gut, dass die Frauen das selbst entscheiden können. Niemand hätte mir vorschreiben dürfen, ob ich abtreibe oder nicht. Aber es sollte eine gut informierte Entscheidung sein. Und daran mangelt es häufig." 

"Keine Frau treibt leichtfertig ab"

Das kritisiert auch Katja de Bragança, Leiterin des Touchdown 21 Instituts und Ohrenkuss-Chefredakteurin. Wenn die Ärzte der Schwangeren mitteilen, dass ihr Baby höchstwahrscheinlich Down-Syndrom habe, "lässt der Informationsstandard sehr zu wünschen übrig", sagt sie. 

De Bragança (mit ehem. Ohrenkuss-Mitarbeiter Achim Priester): Es ist schockierend, was Menschen mit Down-Syndrom wie selbstverständlich abgesprochen wird.Bild: Britt Schilling

"Manchmal kommt die Erstmitteilung und dann 70 Sekunden danach soll der Abbruch-Termin gemacht werden. Die Mitteilung sollte respektvoller und mit mehr Wissen passieren. Wenn es mehr Informationen gibt, steht die Entscheidung der Frau auf sichereren Füßen." 

Und es ist eine schwere Entscheidung, das erlebt Dr. Heike Makoschey-Weiß immer wieder. Die Frauenärztin und Psychotherapeutin arbeitet in der Pränatalmedizin- und Genetik-Praxis Meckenheim.

"Es ist für niemanden leicht, einen Schwangerschaftsabbruch in Anspruch zu nehmen", sagt sie.

Mattheis: NIPTs nur für Frauen, die es sich leisten können, wäre "soziale Diskriminierung"Bild: picture-allianceZB/B. Pedersen

Ein Punkt, der auch Hilde Mattheis wichtig ist. "Keine Frau treibt leichtfertig ab", sagt die SPD-Politikerin. Sie unterstützt den NIPT als Kassenleistung, weil "ich Frauen zutraue, dass sie bedacht und verantwortungsvoll damit umgehen." Makoschey-Weiß sagt dagegen, der Test werde von Ärzten zu häufig und vor allem zu unreflektiert eingesetzt.

Mehr Offenheit gegenüber Menschen mit Behinderung

Für Susanne, die Mutter der bald 14-jährigen Luise aus der Nähe von Heidelberg, ist der NIPT an sich nicht das Problem. "Der ist nun mal in der Welt und der wird auch nicht wieder verschwinden. Das ist ein Instrument. Aber die Frage 'Wie gehe ich mit dem Ergebnis um?', die hängt absolut damit zusammen, was die Eltern wahrnehmen, wie Behinderung in der Gesellschaft bewertet wird."

Es müsse gute Unterstützungsangebote für Eltern geben und Offenheit und Akzeptanz gegenüber Menschen mit Behinderung. Nur so, sagt Susanne, sei es tatsächlich möglich, "den Eltern ein Umfeld zu bieten, wo sie sich frei entscheiden können ― frei von Ängsten und Zwängen." 

 

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
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