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Politik

Präsident als Heilsbringer verzweifelt gesucht

Roman Goncharenko
30. März 2019

Die Präsidentenwahl in der Ukraine ist erneut eine Zäsur. Favorit bei den krisengeplagten Bürgern ist ein Fernsehkomiker. Doch sein Sieg ist nicht vorbestimmt. Ein Überblick.

Wahlen in der Ukraine
Seit dem Morgen sind die Wahllokale geöffnetBild: Reuters/V. Fedosenko

Selten war der Ausgang einer Präsidentenwahl in der Ukraine so offen wie an diesem Sonntag. Es ist die erste reguläre Wahl eines Staatsoberhaupts seit der vorgezogenen Abstimmung im Mai 2014, ausgelöst durch die Flucht von Präsidenten Viktor Janukowitsch nach Russland wegen der zunehmenden Proteste in Kiew. Damals siegte der überraschend zum Politiker aufgestiegene Geschäftsmann Petro Poroschenko bereits im ersten Wahlgang. Diesmal muss er um seine Wiederwahl bangen und ein anderer Außenseiter steigt ähnlich rasant auf.

Amtssitz des Präsidenten in KiewBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Drei Favoriten mit besten Chancen

Rund 36 Millionen Wahlberechtigte können sich zwischen 38 Kandidaten entscheiden, von denen die allermeisten jedoch keine Chance haben. Umfragen zufolge können drei Bewerber mit dem Einzug in die Stichwahl am 21. April rechnen. Als Top-Favorit gilt der beliebte Fernsehkomiker Wolodymyr Selenskyj. Die Zustimmung für den 41-Jährigen liegt je nach Umfrage zwischen 20 und fast 30 Prozent. Er hat damit einen deutlichen Vorsprung vor Amtsinhaber Poroschenko und der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko, die mit knapp 17 Prozent beide etwa gleichauf sind.

Wolodymyr Selenskyj führt in den UmfragenBild: picture-alliance/Pacific Press/A. Gusev

Selenskyj ist bekannt durch mehrere Satireshows und die Comedyserie "Diener des Volkes", in der er einen Schullehrer spielt, der Präsident wird. Die dritte Staffel ist wenige Tage vor der Wahl angelaufen. Er profitiert von seinem Image eines unverbrauchten Quereinsteigers und punktet bei jungen Wählern. Poroschenko und Tymoschenko dagegen gelten als Vertreter des alten, als ineffektiv wahrgenommenen politischen Systems. Im Kern bedient Selenskyj die Nachfrage nach neuen Gesichtern und bündelt Erwartungen an eine Art Heilsbringer, der die vielen Probleme des Landes lösen soll.

Der Amtsinhaber dagegen ist bei vielen unbeliebt bis verhasst. Der 53-jährige Poroschenko wirkt auch wegen jüngster Enthüllungen über Korruption in der staatlichen Waffenindustrie angeschlagen. Seine außenpolitischen Erfolge, wie etwa Visafreiheit mit der EU, haben nicht die Enttäuschung über steigende Preise und Vetternwirtschaft ausgleichen können.

Julia Tymoschenko war schon PremierministerinBild: Reuters/V. Ogirenko

Die 58-jährige Tymoschenko hat die besten Chancen in ihrer Karriere, erste Präsidentin der Ukraine zu werden. Doch sie polarisiert stark, gilt als skrupellos und machtbesessen. Tymoschenkos wohl größter Nachteil: Sie ist seit über 20 Jahren in der ukrainischen Politik und damit alles andere als neu. 

Ein Sieg Selenskyjs ist jedenfalls nicht sicher. Sein Wählerpotenzial scheint auf die russischsprachige Ost- und Südukraine begrenzt. Außerdem werfen ihm Kritiker vor, eine "Puppe" des Oligarchen Ihor Kolomojskyj zu sein. Beide bestreiten das, sind aber geschäftlich verbunden. Kolomojskyj führt gegen Poroschenko eine Art persönliche Fehde wegen früherer Konflikte, etwa im Bankensektor. Schließlich polarisiert auch Selenskyj stark und gilt als latent prorussisch, was Wähler in der Westukraine abschrecken dürfte.

Den Wahlkampf bestimmende Themen

Petro Poroschenko strebt eine zweite Amtszeit anBild: Reuters/V. Ogirenko

Poroschenko appelliert vor allem an patriotisch gesinnte Ukrainer. Der Präsident präsentiert sich als Oberbefehlshaber im Krieg gegen prorussische Separatisten in der Ostukraine und unterstellt seinen wichtigsten Herausforderern, die fünfte Kolonne Moskaus zu sein. Er setzt auf seine außenpolitischen Erfolge und will die Abwendung der Ukraine von Russland und die Anbindung an den Westen vorantreiben.

Tymoschenko setzt eher auf Innenpolitik, verspricht einen Neuanfang und will die Verfassung zugunsten einer rein parlamentarischen Demokratie ändern. Mit einem Versprechen niedrigerer Gaspreise für Haushalte will sie bei ärmeren Wählerschichten punkten. Auch Tymoschenko will die Ukraine in die EU und die NATO führen.

Selenskyj bleibt in seinem Wahlprogramm meist bei vagen Versprechen, die populistisch anmuten. Er will unter anderem mehr direkte Demokratie durch Volksabstimmungen einführen und legt den Finger in die Wunden, was die hohe Korruption, niedrigen Löhne und Renten oder steigende Arbeitsmigration angeht.

Wie groß ist die Gefahr von Fälschungen?

Früher überschatteten oft Fälschungs- und Manipulationsvorwürfe Wahlen in der Ukraine und führten 2004 zu der "Revolution in Orange". Zuletzt attestierten Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vergleichsweise faire Wahlen, doch diesmal gibt es wieder viele Warnungen vor Manipulationen. In einem Zwischenbericht der OSZE-Wahlbeobachter heißt es, man habe "viele Vorwürfe von Stimmkauf im ganzen Land" erhalten.

Vor diesem Hintergrund steigt die Bedeutung sogenannter Exit-Polls, Wählerbefragungen beim Verlassen der Wahllokale. Die wohl wichtigste solche Befragung wird durch drei führende Meinungsforschungsinstitute durchgeführt, finanziert unter anderem durch die USA und die EU.

Herausforderungen für das künftige Staatsoberhaupt

Abgesehen von dem Krieg im Kohlerevier Donbass und der damit verbundenen Notwendigkeit der Armeemodernisierung, warten auf den neuen Staatschef jede Menge anderer Herkulesaufgaben, vor allem der lange halbherzig geführte Kampf gegen Korruption. In fast allen wichtigen Lebensbereichen müssen Reformen fortgesetzt werden, ob Justiz, Polizei oder Gesundheitswesen.

Der künftige Präsident beziehungsweise die künftige Präsidentin wird außerdem mit den Folgen eines möglichen Stopps des russischen Gastransits nach Europa ab 2020 konfrontiert, was die Ukraine finanziell schwächer und schutzloser bei Destabilisierungsversuchen durch Russland machen dürfte. Letztlich ist unklar, wie sich die Gründung Ende 2018 einer neuen, von Moskau anhängigen orthodoxen Landeskirche auf die Gesellschaft auswirkt.

In den kommenden Monaten dürfte der Gewinner der Präsidentenwahl jedoch keine großen Reformen beginnen, um keine Fehler zu machen. Denn im Herbst wird ein neues Parlament gewählt und eine neue Regierungskoalition gebildet. Erst dann wird klar sein, wer im Land das Sagen hat.

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