Der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 erschütterte die USA zutiefst. Am ersten Jahrestag ruft Präsident Biden eindringlich zur Bewahrung der Demokratie auf. Seinen Vorgänger macht er für die Gewalt verantwortlich.
Anzeige
Die Amerikaner müssten entscheiden, "was für eine Nation wir sein wollen", sagte US-Präsident Joe Biden in seiner Ansprache zum ersten Jahrestag der Kapitol-Erstürmung. "Werden wir eine Nation sein, die politische Gewalt als Norm akzeptiert?" Der Präsident mahnte: "Wir können es uns nicht erlauben, eine solche Nation zu sein." Und weiter betonte er: "Wir sind ein Volk, die Vereinigten Staaten von Amerika."
Hunderte radikale Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump hatten am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington, in dem Senat und Repräsentantenhaus ihren Sitz haben, gestürmt, als dort Bidens Sieg bei der Präsidentschaftswahl vom November 2020 zertifiziert werden sollte. Bei dem Angriff wurden fünf Menschen getötet, darunter ein Polizist. Die Attacke auf das "Herz der US-Demokratie", bei der viele Abgeordnete und Senatoren um ihr Leben fürchteten, sorgte weltweit für Entsetzen.
Kritiker werfen dem Republikaner Trump vor, seine Anhänger in einer Ansprache vor der Erstürmung des Parlamentsgebäudes zu der Tat angestachelt zu haben. Trump erkennt seine Wahlniederlage bis heute nicht an. Dutzende Klagen gegen das Wahlergebnis scheiterten vor Gerichten.
Sturm auf das Kapitol - Das Trauma der USA
Tränengas, Schüsse und Tote: Vor einem Jahr stürmen Anhänger des bereits abgewählten Präsidenten Donald Trump den US-Kongress. Die Ereignisse waren beispiellos in der US-amerikanischen Geschichte. Ein Rückblick.
Bild: Allison Bailey/NurPhoto/picture alliance
Hell erleuchtet - ein schwarzer Tag
Tausende Anhänger von Donald Trump drängen sich rund um das Kapitol in Washington. Sie schwenken Fahnen und fordern, dass ihnen eine vermeintlich gestohlene Wahl zurückgegeben wird. 800 von ihnen gelingt es, mit Gewalt ins Kapitol einzudringen. Sie machen Jagd auf Politiker, verprügeln Polizisten und hinterlassen eine Schneise der Verwüstung. Fünf Menschen sterben, Dutzende werden verletzt.
Bild: Leah Millis/REUTERS
Donald Trump: "Protest gegen manipulierte Wahlen"
Für viele war es ein Aufstand oder gar Putschversuch, der von Donald Trump angeheizt oder sogar orchestriert worden war. Derzeit ermittelt ein Sonderausschuss im US-Kongress zur Rolle des Ex-Präsidenten beim Sturm. Trump selbst pflegt weiterhin seine Interpretation der Geschichte: "Am 6. Januar fand ein vollkommen unbewaffneter Protest gegen die manipulierten Wahlen statt", erklärte er kürzlich.
Bild: Jacquelyn Martin/AP Photo/picture alliance
Alles nur ein legitimer Protest?
Der Sturm auf das Kapitol sorgte weltweit für Entsetzen. Für viele Republikaner dagegen ist er bis heute ein legitimer Protest gegen angeblich manipulierte Wahlen. Sie organisieren sogar Veranstaltungen vor Gefängnissen, in denen Verdächtige festsitzen. Aufklärung oder Verklärung - wer die Deutungshoheit über den Sturm gewinnt, hat beste Chancen für die Zwischenwahlen am 8. November.
Bild: Brent Stirton/Getty Images
Mehr als 720 Angeklagte
Die Erstürmung des Kapitols hat für die Angreifer juristische Konsequenzen. Mehr als 50 von ihnen wurden bislang verurteilt. Die stärksten Beweise kommen oftmals von den Beschuldigten selbst, die sich in den sozialen Medien mit ihren Taten brüsten. Diejenigen, die einem "Plea Deal" zustimmen, können auf Bewährung hoffen: indem sich die Angeklagten für schuldig erklären, winkt eine milde Strafe.
Bild: Brent Stirton/Getty Images
"Proud Boys" im Fadenkreuz der Ermittler
Die US-Hauptstadt Washington hat die rechtsradikale Gruppierung auf Schadensersatz verklagt. Sie gilt als eine der loyalsten Unterstützer von Donald Trump. Ihre Anführer sollen sich laut der Zivilklage verschworen haben, Washington zu "terrorisieren", in einer "koordinierten Aktion von inländischem Terrorismus". Gegen einige Mitglieder der "Proud Boys" wird bereits strafrechtlich ermittelt.
Bild: Alex Edelman/AFP/Getty Images
Der Einpeitscher Alex Jones
Der Radiomoderator und Verschwörungstheoretiker Alex Jones zählt zu den Strippenziehern der Unruhen. Er rührte die Werbetrommel für den Pro-Trump-Protestmarsch in Washington und rief energisch dazu auf, dass eine Million Menschen für Donald Trump und gegen korrupte Demokraten demonstrieren sollten. Laut Untersuchungsausschuss soll Jones auch bei der Finanzierung der Veranstaltung geholfen haben.
Bild: Jon Cherry/Getty Images
Gefängnis für den "QAnon-Schamanen"
Sein Gesicht, der tätowierte Oberkörper und die Fellmütze mit Büffelhörnern gingen um die Welt und machten ihn zur Symbolfigur für den Sturm auf das Kapitol: Jacob Chansley. Der selbst ernannte Schamane und Anhänger der QAnon-Verschwörungstheorie aus Phoenix im Bundesstaat Arizona bekannte sich schuldig. Das Urteil wegen Behinderung eines offiziellen Vorgangs: knapp dreieinhalb Jahre Gefängnis.
Bild: Win McNamee/Getty Images
Das Trauma der Polizisten
Beim Anblick eines Videos über die Ereignisse vom 6. Januar 2021 kann Aquilino Gonell von der Kapitol-Polizei seine Tränen nicht mehr zurückhalten. "Ich hätte
sterben können an jenem Tag. Nicht ein Mal, sondern viele Male", gibt der Polizist bei der Anhörung vor dem Kongress zu Protokoll. Ein Polizist starb bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen, vier weitere nahmen sich später das Leben.
Bild: Chip Somodevilla/Getty Images
Jetzt mehr Sicherheit am Kapitol
Dass die Trump-Anhänger ins Kapitol vordringen konnten, lag auch am Versagen der Sicherheitsbehörden. Untersuchungsergebnis des US-Senats: Trotz der Hinweise auf einen möglicherweise bevorstehenden Angriff erteilte die Polizeiführung keine Anweisungen. Das Eingreifen der Nationalgarde wurde lange verzögert, die Bundespolizei FBI und das Heimatschutzministerium spielten Onlinedrohungen herunter.
Bild: Al Drago/Getty Images
Kehrt Trump nach Washington zurück?
Für die Gegner von Donald Trump wäre es der absolute Albtraum, für seine Anhänger indes eine triumphale Rückkehr. Viele Politikexperten rechnen fest damit, dass der Ex-Präsident 2024 ins Rennen um das Weiße Haus einsteigen wird. Bisher konnte Trump noch kein Skandal wirklich etwas anhaben. Und auch sein Beitrag zu den Geschehnissen vom 6. Januar scheinen einem Comeback nicht im Wege zu stehen.
Bild: Allison Bailey/NurPhoto/picture alliance
10 Bilder1 | 10
Biden macht Trump verantwortlich
Biden Rede zielte darauf ab, darzulegen, welche direkte Verantwortung Trump für "das Chaos und Gemetzel" trägt. Der damalige Amtsinhaber habe stundenlang im Fernsehen verfolgt, wie der Mob getobt habe, sagte Biden. Er konterte zugleich den "Lügen, die der damalige Präsident verbreitet hat, um die US-Bevölkerung in die Irre zu führen und von seiner Rolle bei den Geschehnissen abzulenken". "Er hat ein Netz von Lügen geschaffen." Trumps Namen nannte Biden nicht direkt.
Die Lügen, die "die Wut und den Wahnsinn" vor einem Jahr angetrieben hätten, seien nicht verschwunden, so der US-Präsident weiter. Darum müsse man sich ihnen entgegenstellen. So etwas wie vor einem Jahr dürfe nie wieder passieren. Er werde diese Nation verteidigen. "Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand der Demokratie einen Dolch an die Kehle setzt."
Vizepräsidentin Kamala Harris rief die Amerikaner dazu auf, sich zur Verteidigung der Demokratie zu vereinen. "Der amerikanische Geist wird auf die Probe gestellt", sagte Harris bei der feierlichen Zeremonie im Kapitol.
Anzeige
Schweigeminute in den Kongresskammern
Mit einer Schweigeminute erinnerten Senat und Repräsentantenhaus an den Angriff. Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, würdigte Polizisten und Sicherheitskräfte, die sich dem Mob in den Weg stellten.
Im Zusammenhang mit der Erstürmung des Parlamentsgebäudes sind nach Angaben des Justizministeriums bisher 727 Verdächtige festgenommen und angeklagt worden. Die Strafverfolgungsbehörden seien entschlossen, alle Täter zur Rechenschaft zu ziehen, unabhängig davon, "ob sie an jenem Tag präsent oder auf andere Weise strafrechtlich verantwortlich waren für den Angriff auf unsere Demokratie", machte Justizminister Merrick Garland im Vorfeld der Gedenkfeiern deutlich.