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Vor Stichwahl: Polens Präsidentschaftskandidaten gleichauf

Jacek Lepiarz (Warschau)
26. Mai 2025

Wer bringt mehr Menschen auf die Straße? Vor der Stichwahl um das Präsidentenamt werben Rafal Trzaskowski und Karol Nawrocki bei Märschen durch Warschau um Wähler.

Frauen und Männer laufen eine Straße entlang, einige tragen weiß-rote Fahnen, ein Mann trägt ein Plakat mit dem Bild eines Mannes darauf, darunter steht "Trzaskowski  - ganz Polen vorwärts"
Anhänger von Rafal Trzaskowski bei der Wahlkampfkundgebung für den liberalen Präsidentschaftskandidaten in Warschau am 25.05.2025 Bild: Sergei Gapon/AFP/Getty Images

Eine Woche vor der Stichwahl liegen die beiden Kandidaten für das Präsidentenamt in Polen gleichauf. Die neueste Umfrage des Instituts IBRIS von diesem Montag gibt dem liberalkonservativen, proeuropäischen Rafal Trzaskowski 45,7 Prozent und seinem nationalkonservativen, europaskeptischen Konkurrenten Karol Nawrocki 44,9 Prozent. 7,8 Prozent der Befragten sollen danach noch unentschieden sein. Ein anderes Institut ermittelte am vergangenen Freitag jeweils 47 Prozent für beide Kandidaten.

Um die Stimmen der Unentschiedenen kämpfen nun mit harten Bandagen zwei verfeindete politische Lager: die Mitte-Links-Regierungskoalition um Premier Donald Tusk von der Partei Bürgerplattform (PO) und die Nationalkonservativen um den Vorsitzenden der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski.

Die erste Runde der Präsidentenwahl am 18. Mai hatte Trzaskowski mit 31,36 Prozent vor Nawrocki mit 29,54 Prozent der Stimmen gewonnen - ein Vorsprung, der viel geringer ausfiel als erwartet.

"Marsch der Patrioten" für Trzaskowski

Auf der Suche nach neuen Anhängern hatte Trzaskowski, seit 2018 Bürgermeister von Warschau, zum "Marsch der Patrioten" in die polnische Hauptstadt eingeladen. Auf der Großkundgebung sicherten ihm am Sonntag (25.05.2025) die Chefs aller demokratischen Kräfte, die Tusks Regierungskoalition bilden, ihre Unterstützung zu.

Trzaskowski-Anhänger beim "Marsch der Patrioten" in WarschauBild: Leszek Szymanski/PAP/dpa/picture alliance

"Rafal, gewinne diese Wahl für uns und verändere Polen", sagte der Sejm-Vorsitzende Szymon Holownia von der christdemokratischen Partei Polska2050. "Wir wählen zwischen einem braunem und einem buntem Polen", betonte Magdalena Biejat von der Neuen Linken und rief zur Wahl von Trzaskowski auf. Beim ersten Wahlgang hatten sich Holownia und Biejat selbst erfolglos um das Amt des Präsidenten beworben.

Dass der Ton im Wahlkampf rauer wird, bewies Tusk. Er warnte vor "einfachen Gangstern", die an die Macht strebten, und bezog sich damit auf die Vergangenheit von Nawrocki. Der Ex-Boxer, der früher auch als Türsteher sein Geld verdiente, unterhielt Kontakte zur Unterwelt und zur Hooliganszene. Vor Kurzem wurde bekannt, dass er an einer verabredeten Massen-Prügelei zwischen militanten Fans zweier Fußballvereine teilgenommen hatte. Auch Trzaskowski warnte davor, Polens Staatsbürger einem "Kraftprotz" auszuliefern.

Wiederholt sich in Polen das rumänische Drehbuch?

Als ausländischer Ehrengast marschierte mit Trzaskowski Nicusor Dan, der künftige Präsident Rumäniens. "Vor einer Woche hat Rumänien gewonnen. In einer Woche wird Polen gewinnen", sagte er auf Polnisch und erntete lauten Beifall. Dan bot Trzaskowski eine enge Zusammenarbeit beider Länder in der EU an.

Nicusor Dan nach seinem Sieg bei der Stichwahl um das Amt des Präsidenten Rumäniens am 18.05.2025Bild: Andreea Alexandru/AP Photo/picture alliance

Bei der Abschlusskundgebung versicherte Trzaskowski, dass er die Regierung zu schnelleren Reformen "antreiben" werde. Er sagte, Polen brauche jetzt einen neuen "Flug zum Mond". Sein Plan sei, die stärksten Länder in Europa zu überholen. Nach der gewonnenen Parlamentswahl im Oktober 2023 wandten sich viele Wähler von der proeuropäischen Regierung ab, weil Tusk die meisten seiner Wahlversprechen nicht einlösen konnte. Der amtierende nationalkonservative Präsident Andrzej Duda hatte die entsprechenden Gesetze blockiert. Nach Angaben der Stadtbehörden von Warschau nahmen am Trzaskowski-Marsch ca. 140.000 Menschen teil. Sein Wahlstab sprach von einer halben Million.

Nawrocki kündigt "großes Polen" an

Nawrockis "Marsch für Polen", konzipiert als Konkurrenzveranstaltung zu Trzaskowskis Kundgebung, verlief zur gleichen Zeit und nur wenige hundert Meter entfernt. Nawrocki, Kaczynski und andere PiS-Politiker zogen durch die Stadt unter der Parole "Polen zuerst".

Der nationalkonservative Präsidentschaftskandidat Karol Nawrocki bei der Kundgebung in Warschau am 25.05.2025Bild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Der Historiker Nawrocki, seit Juli 2021 Leiter des "Institut für Nationales Gedenken", griff in seiner Abschlussrede auf nationalistische Parolen zurück. "Es kommt ein großes, starkes Polen", rief er in die Menge vor dem Warschauer Königsschloss. Er beschwor die "nationale Gemeinschaft", deren Merkmal eine "christliche Identität" sei, und versprach ein "sicheres Polen" ohne illegale Immigranten. "Ich bin einer von Euch, einer wie ihr, ich bin eure Stimme", rief er. Am Nawrocki-Marsch beteiligten sich etwa 50.000 Anhänger des nationalkonservativen Präsidentschaftskandidaten.

Systemsprenger nutzt seine Chance

Während Trzaskowski und Nawrocki sich ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, genießt der ultrarechte Slawomir Mentzen, der als Dritter mit fast 15 Prozent ausschied, seine Rolle als Zünglein an der Waage. Der libertäre Systemsprenger bekam knapp drei Millionen Stimmen vor allem von jungen Wählern. Jetzt versucht Mentzen, aus seinem unerwarteten Erfolg politisches Kapital zu schlagen. Er zielt auf ein gutes Abschneiden seiner Partei Konfederacja bei der Parlamentswahl 2027.

Der ultrarechte polnische Politiker Slawomir Mentzen im Wahlkampf um das Präsidentenamt im Mai 2025Bild: Attila Husejnow/Zumapress/picture alliance

Mentzen lud die beiden Hauptrivalen in der Stichwahl einzeln zum Gespräch auf seinem YouTube-Kanal ein, wobei als Grundlage ein von ihm formulierter "Acht-Punkte-Plan" diente. Dabei ging es um Verbote, die Steuern zu erhöhen, den Euro in Polen einzuführen, der EU neue Kompetenzen zu übertragen oder die Ukraine in die NATO aufzunehmen.

Nawrocki warb um die Gunst Mentzens und unterschrieb vorbehaltlos das Papier. Trzaskowski dagegen verweigerte am Samstag nach einer Diskussion, in der er gut argumentierte und seine Souveränität unter Beweis stellte, seine Unterschrift. Trotzdem hofft er, durch selbstsicheres Auftreten wenigstens einen Teil der Mentzen-Wähler für sich zu gewinnen. Bis Sonntag sahen knapp 4,5 Millionen Menschen die Diskussion.

Für Verwirrung unter den rechten Wählern sorgte die Nachricht, dass Trzaskowski und Mentzen sowie Außenminister Radoslaw Sikorski nach der Debatte in einem Pub zusammen Bier tranken. Manche sprachen von Verrat.

Gut abgeschnitten hat Trzaskowski auch beim direkten Fernsehduell am Freitag (23.05.2025) im öffentlich-rechtlichen Sender TVP. Dabei unterlief Nawrocki ein weiterer Fauxpax: Während der Diskussion schob er sich hinter vorgehaltener Hand etwas in den Mund. Zunächst behauptete er, Kaugummi benutzt zu haben. Später erklärte sein Wahlkampfteam, es habe sich um einen Nikotinbeutel ("Snus") gehandelt - ein Aufputschmittel.

Die Politologin Anna Materska-Sosnowska meint, die Ereignisse am Wochenende würden den Ausgang der Stichwahl wesentlich beeinflussen. "Jene, die eine feste Meinung haben, wird man nicht überzeugen können. Aber es geht um jene, die unentschieden sind und jene, die am 18. Mai [der ersten Runde der Präsidentschaftswahl] zu Hause geblieben sind", sagte sie der Polnischen Nachrichtenagentur PAP.

"Diese Kraftprobe endete unentschieden. Beide Seiten haben gezeigt, dass sie viele Menschen mobilisieren können", bewertete der Politologe Olgierd Annusewicz die Märsche. "Das Duell dauert an. Man kann nicht sagen, dass einer der Beiden im Moment führt."

"Der Bürgermeister von Warschau kann mit dem Endspurt im Wahlkampf zufrieden sein. Ob er auch mit dem Endergebnis der Stichwahl zufrieden sein wird, wird sich am kommenden Sonntag zeigen", kommentiert die Zeitung Rzeczpospolita.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.