Präsidentenwahl in Estland - der Amtsinhaber taktiert
30. August 2006Am Montag (28.8.2006) beginnen die Präsidentenwahlen in der baltischen Republik mit der ersten Wahlrunde im estnischen Parlament, dem Riigikogu. Wenn nach drei Wahlgängen keine Zweidrittelmehrheit auf einen Kandidaten entfällt, wird von einem Wahlgremium bestehend aus Parlament und den Regionalregierungen weiter gewählt. Der 78-jährige Amtsinhaber Arnold Rüütel konnte sich bei seiner Wahl im Jahr 2001 erst im fünften Wahlgang gegen den damaligen Parlamentspräsidenten Toomas Savi durchsetzen.
Amtsinhaber tritt "zunächst" nicht an
Arnold Rüütel muss geduldig sein. Bei der ersten Runde am Montag will der amtierende Präsident nicht kandidieren. Was nicht heißt, er steuere keine zweite fünfjährige Amtszeit an. Er taktiert und hofft erneut auf die 246 Kommunalpolitiker im Wahlgremium. Die einheimische Presse erwartet mehrheitlich, dass die 101 Abgeordneten des Riigikogu zu keiner Entscheidung mit Zweidrittelmehrheit kommen werden. Die Mehrheitspartei im Parlament, die Zentrumspartei und die viertstärkste Kraft, Rüütels Volkpartei, kündigten vor zwei Wochen an, an den ersten drei Wahlgängen nicht teilzunehmen und damit den Wahltermin am Montag platzen zu lassen. Ist dies der Fall, geht es am 23. September in Tallinn in die zweite Runde, bei der Rüütel dann auch dabei sein will.
Der Ex-Kommunist Rüütel regiert seit 2001 die Ostseerepublik und folgte damals Lennart Meri. Der erste Präsident nach Estlands Loslösung von der Sowjetunion durfte nicht mehr kandidieren, da das Amt auf zwei Amtszeiten limitiert ist. Er hatte sich damals gegen seinen Nachfolger ausgesprochen, mit der Begründung, ehemalige Kommunisten seien für das Amt des Präsidenten ungeeignet.
Ex-Außenminister als Herausforderer
Als aussichtsreichster Herausforderer gilt diesmal der ehemalige Außenminister Toomas Ilves. Der 52-Jährige macht sich daran, das politische Pendel von links nach rechts zu rücken. Während Rüütel im Parlament keine Mehrheit finden kann, fehlen dem konservativen Ilves dort lediglich drei Stimmen aus dem linken Lager. Als zweite Kandidatin geht am Montag Parlamentsvizepräsidentin Ene Ergma ins Rennen. Der "Testkandidatin" werden von Beobachtern jedoch wenig Chancen beigemessen.
Der estnische Premierminister Andrus Ansip hat sich zuletzt in Interviews wiederholt einen jüngeren, weltläufigeren Präsidenten als Rüütel gewünscht. Der Agrarexperte Rüütel ist vor allem in ländlichen Gegenden, bei sozial schwachen Bevölkerungsteilen höchst anerkannt.
Für die Stadtbevölkerung, die das moderne Estland verkörpert, bleibt der Ex-Kommunist aber ein rotes Tuch. Rüütels Frau Ingrid verwahrte sich zuletzt in einem Zeitungsinterview gegen Angriffe auf ihren Mann: "Nicht alle Präsidenten sprechen Englisch und es gibt Präsidenten in Europa, die älter als mein Mann sind", erklärte die First Lady.
Aber genau darin sieht Herausforderer Ilves seine Chance. Der in Stockholm geborene 53-Jährige war 1993 aus den USA in sein Heimatland zurückgekehrt. Zuvor hatte der studierte Psychologe und Literaturwissenschaftler das estnische Programm von Radio Free Europe geleitet. Wie auch Rüütel wirbt der ehemalige Außenminister mit den außenpolitischen Erfolgen der vergangenen Jahre: Estland hat die Vollmitgliedschaft in der NATO und EU erreicht.
In Ilves' Lager hofft man auf die ersten drei Wahlgänge: "Die Wahl ist geheim und wir hoffen auf Überläufer", heißt es aus seinem Stab. In Umfragen wünschten sich zuletzt die meisten Esten Ilves als Staatsoberhaupt, erwarteten aber Rüütel als Wahlsieger. Außerdem wird in der estnischen Öffentlichkeit neben dem aktuellen Votum auch die Einführung direkter Präsidentenwahlen diskutiert. (mit)