Präsidentenwahl in Polen entscheidet über Tusk-Regierung
17. Mai 2025
Die Wähler in Polen entscheiden am 18. Mai nicht nur, ob der nächste Präsident des Landes der linksliberale Rafal Trzaskowski oder der nationalkonservative Karol Nawrocki sein wird. Es geht um viel mehr. Vom Wahlausgang hängt auch ab, ob die proeuropäische Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk die Blockade überwinden kann, die aus dem Präsidentenpalast gesteuert wird und die ihre Arbeit seit dem Amtsantritt vor anderthalb Jahren lähmt.
Denn das polnische Staatsoberhaupt hat zwar nicht so viel Macht wie der französische oder amerikanische Präsident, aber viel mehr als der deutsche Bundespräsident, der hauptsächlich repräsentative und protokollarische Funktionen hat. Mit seinem Vetorecht kann der direkt vom Volk gewählte polnische Präsident die Gesetzesvorhaben der Regierung blockieren. Außerdem hat er die Oberaufsicht über die Streitkräfte, Mitspracherecht in der Außenpolitik und kann eigene Gesetzesentwürfe einbringen.
Enttäuschte Hoffnungen auf Reformen
Als im Dezember 2023 Tusks Koalition die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski nach acht Jahren von der Macht verdrängte, war die Hoffnung auf eine schnelle demokratische Wende groß. Die liberal-konservativen Kräfte hatten im Wahlkampf die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, die Liberalisierung der Abtreibungsgesetze und mehr Rechte für Homosexuelle versprochen. Außerdem wollten sie eine Reform der öffentlichen Medien in Angriff nehmen und Politiker zur Rechenschaft ziehen, denen Korruption und Machtmissbrauch vorgeworfen wurde.
Doch schon bald stellte sich heraus, dass die meisten Reformversuche am Widerstand des nationalkonservativen Präsidenten scheitern. Andrzej Duda macht von seinem Veto-Recht Gebrauch oder verweist Gesetzesvorhaben der Regierung an das Verfassungsgericht, das aus PiS-Anhängern besteht. Entsprechend bescheiden fällt daher nach anderthalb Jahren die innenpolitische Bilanz der Tusk-Regierung aus. Enttäuschung und Unzufriedenheit machen sich im Lande breit - auch unter den Stammwählern der Koalitionsparteien.
Für Tusk geht es um Kopf und Kragen
"Präsidentenpalast oder Tod", schrieb der Publizist der Wochenzeitschrift Newsweek, Jacek Gadek, nach Beginn des Wahlkampfes im vergangenen Herbst. "Tusk weiß, dass vom Ausgang dieser Schlacht alles abhängt."
Als aussichtsreichen Kandidaten schickte der Regierungschef daher seinen linksliberalen Parteigenossen Rafal Trzaskowski in die Schlacht. Der Oberbürgermeister von Warschau war vor fünf Jahren schon einmal gegen Duda angetreten und hatte damals nur knapp verloren. In der Stichwahl unterlag er dem konservativen Kandidaten mit 48,97 zu 51,03 Prozent.
Der 53-Jährige kann trotz seines für polnische Verhältnisse relativ jungen Alters auf eine lange politische Karriere zurückblicken. Er war schon Digitalminister, saß im Europäischen Parlament und war als Staatssekretär im Außenministerium für Europa-Politik zuständig. Seit 2018 regiert er Polens Hauptstadt.
Der linksliberale Kandidat führt in Umfragen
Trzaskowski gehört zum linken Flügel der Tusk-Partei Bürgerplattform. Er befürwortet ein liberales Abtreibungsrecht, das Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Woche vorsieht, und hat die Kreuze aus den Amtsstuben im Rathaus entfernt. Als einer von wenigen Politikern in Polen verteidigt er die Klimapolitik der EU. Wenige Tage vor dem Urnengang führt er in den Umfragen, obwohl sein Vorsprung in den letzten Wochen auf einige Prozentpunkte zusammengeschmolzen ist.
Sein wichtigster Gegenspieler ist Karol Nawrocki. Der 42-jährige Historiker aus Danzig leitet das Institut für Nationales Gedenken (IPN), die polnische Version der inzwischen aufgelösten Behörde für die Stasi-Unterlagen. PiS-Chef Kaczynski hatte den parteilosen rechtsnationalen Aktivisten als "Bürgerkandidaten" ins Rennen um das Präsidentenamt geschickt. Sein Kalkül: Nawrocki werde auch rechte Wähler außerhalb des PiS-Milieus gewinnen, weil er nicht als PiS-Apparatschik wie etwa Ex-Regierungschef Mateusz Morawiecki gilt.
Kaczynskis Kandidat in Skandale verwickelt
Doch diese Rechnung scheint nicht aufzugehen - die Zustimmung zu Nawrocki bleibt geringer als die Umfragewerte der PiS, weil selbst viele Parteimitglieder den Kandidaten gar nicht kennen. Aus Journalistenrecherchen geht außerdem hervor, dass Nawrocki Kontakte zur Unterwelt hatte. Und kurz vor dem Wahltag holte ihn ein Immobilienskandal ein. Seine Gegner warfen ihm vor, eine kommunale Wohnung in Danzig erschwindelt zu haben. Nach massiver Kritik übergab er die Einzimmerwohnung inzwischen an eine karitative christliche Organisation, die sich um obdachlose Menschen kümmert. Gleichwohl bestritt er seine Schuld.
Auf den Wahlveranstaltungen teilt Nawrocki gegen Immigranten, gegen den Green Deal der EU und gegen Brüssel aus. Er fordert die Einschränkung der Hilfen für die Ukraine und pflegt das Feindbild Deutschland. "Ich werde kein Lakai, kein Kammerdiener Deutschlands sein", versichert er. Die PiS wirft Tusk vor, ein "deutscher Agent" zu sein.
Trump und Simion als Wahlhelfer
Nawrockis Wahlkampfteam nutzte seine guten Kontakte zu den Republikanern in den USA, um Anfang Mai einen Coup zu landen: ein Fototermin mit US-Präsident Donald Trump im Oval Office. "You will win" - soll Trump zu Nawrocki gesagt haben.
Auch der rechtspopulistische Sieger der ersten Runde der Präsidentenwahl in Rumänien, George Simion, reiste nach Polen, um seinem polnischen Gesinnungsgenossen zu helfen. Auf einer Kundgebung in Zabrze in Oberschlesien am Dienstag (13.05.2025) kündigten die beiden Politiker an, ein "Europa der Vaterländer" bauen zu wollen. "Wir lassen uns nicht von der EU zentralisieren und Polen sowie Rumänien zu Verwaltungsbezirken (der EU) machen", erklärte Nawrocki.
Außenseiterchancen für Kandidat der extremen Rechten?
Eine Zeitlang sah es so aus, als ob Slawomir Mentzen, der Kandidat der rechtsextremen Konfederacja, Nawrocki gefährlich werden könnte. In mehreren Erhebungen im März 2025 näherte sich Mentzen Nawrocki oder überholte ihn sogar. Inzwischen ist er auf knapp zwölf Prozent abgesunken. Der 38-jährige Steuerberater und Unternehmer tourt seit vergangenem Herbst durch Polen und rühmt sich, mehr als 340 Wahlkampftermine absolviert zu haben. Er ist besonders stark in sozialen Medien - auf TikTok hat er 1,6 Millionen Follower.
Mentzens Programm besteht aus Fundamentalkritik an der politischen Wirklichkeit, wobei er in Polen vor allem das Gesundheitswesen und das Rentensystem kritisiert, in Europa dagegen die Migrationspolitik und den "Green Deal" angreift. Auch das Recht auf Waffenbesitz und radikales Verbot von Abtreibungen, auch nach Vergewaltigung, hat Mentzen in seinem Programm. Seine radikalen Parolen ziehen vor allem junge Leute an - auf seinen Veranstaltungen sind Jugendliche im Schulalter überproportional vertreten.
Mentzen macht Kaczynskis PiS und Tusks Bürgerplattform für alle Probleme des Landes verantwortlich und spricht kritisch vom "Duopol" - der Herrschaft der Zwei. Diese Meinung teilen viele der insgesamt 13 Kandidatinnen und Kandidaten, die bei der Wahl am kommenden Sonntag antreten.
Entscheidung fällt wahrscheinlich erst in der Stichwahl
In der Tat hat die Rivalität zwischen Tusk und Kaczynski die polnische Geschichte in den vergangenen 20 Jahren geprägt. Mal regiert die eine Partei (PiS: 2005-2007 und 2015-2023) und mal die andere (Bürgerplattform: 2007-2015 und ab 2023). Für andere Gruppierungen bleibt nicht viel Platz.
Wenn nichts Unerwartetes passiert, wird das Rennen um die Präsidentschaft trotzdem nicht in der ersten Runde entschieden, sondern in der Stichwahl zwischen Trzaskowski und Nawrocki am 1. Juni. Die Umfragen sehen den linksliberalen Kandidaten vorn - doch er kann sich seines Sieges nicht sicher sein. Werden die Wähler der Parteien, die die Regierungskoalition bilden, für Trzaskowski stimmen oder zu Hause bleiben? Und was werden Mentzens Wähler in der zweiten Runde tun? Tusk wird zittern müssen, bis die letzte Stimmkarte gezählt ist.