1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Präsidentin als Sündenbock der Nation

Jan D. Walter7. August 2015

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat extrem schlechte Umfragewerte. Sogar Ex-Präsident Collor de Melo war beliebter, als er abgesetzt wurde. Dabei stellt sie gerade jetzt die Weichen für Brasiliens Zukunft.

Dilma Rousseff (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/U. Marcelino

Steigende Preise, sinkende Wirtschaftsleistung und der Dauerbrenner Korruption - für brasilianische Wähler gibt es viele Gründe, frustriert zu sein. Verantwortlich dafür machen offenbar immer mehr Menschen Präsidentin Dilma Rousseff.

In der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Datafolha waren nur noch acht Prozent der Brasilianer mit Rousseffs Politik zufrieden. 71 Prozent beurteilten diese als schlecht oder sehr schlecht.

Das sind die negativsten Umfragewerte für einen Präsidenten, seit das Institut 1990 mit den nationalen Erhebungen begonnen hat. Sogar Ex-Präsident Fernando Collor de Melo war beliebter, als er im September 1992 durch ein verfassungsgemäßes Verfahren seines Amtes enthoben wurde.

Genau dies ist das Ziel von Rousseffs Gegnern. Sie fordern ein Impeachment der Präsidentin. Und laut Meinungsforschungsinstitut Datafolha würden das zwei Drittel der Brasilianer sogar begrüßen.

Versäumnisse der Vergangenheit

Ganz unschuldig ist Rousseff nicht an ihrer Situation. Während ihrer ersten Amtszeit (2011-2014) setzte sie die Wirtschaftspolitik ihres Vorgängers Lula da Silva fort, die auf staatliche Konkunturprogramme setzte. So wurden unter anderem mit den Einnahmen aus dem Rohstoffboom der 2000er Jahre Sozialprogramme finanziert.

Strukturelle Wirtschaftsreformen suchte man lange Zeit vergeblich auf Rousseffs Agenda. Vor allem die schier unüberschaubare Bürokratie vertrieb selbst wohlwollende Investoren. Im "Doing Business"-Ranking der Weltbank lag Brasilien 2014 auf Rang 123 - 81 Plätze hinter Mexiko, der zweitgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas.

Schwere Lasten

Die Folge ist eine seit Jahren stagnierende Wirtschaft. Für 2015 rechnen Experten sogar mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von bis zu zwei Prozent. Sowohl Arbeitslosigkeit, als auch Inflation steuern auf die Zehn-Prozent-Marke zu.

Alle gegen Rousseff: Auch treue Wähler der Arbeiterpartei kehren der Präsidentin den RückenBild: Agência brasil/Marcelo Camargo

Um so frustrierender ist es für die Brasilianer zu sehen, wie Politiker aller größeren Parteien sich und ihren Getreuen jahrelang die Taschen mit Steuergeldern und Erdölerlösen vollgestopft haben. 2012 kam heraus, dass Rousseffs Arbeiterpartei zu Lulas Zeiten systematisch Parlamentarier bestach.

Nun kommen fast täglich neue Fakten über illegale Geldflüsse aus dem halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras ans Licht. Auch in diesem Zusammenhang muss sich Rousseff Kritik gefallen lassen, schließlich war sie Ministerin in Lulas Kabinett, und von 2003 bis 2010 saß sie im Aufsichtsrat der Petrobras.

Verkannte Ehrlichkeit?

Dass die Brasilianer nun vor allem sie für all das abstraften, erklärte die Präsidentin in einem DW-Interview Anfang Juni so: "Das Undankbare an der Korruptionsbekämpfung ist, dass die Leute denken, wir würden die Korruption selbst betreiben."

Tatsächlich ist es unter anderem Rousseffs Politik zu verdanken ist, dass die Affären nun nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden. Zudem hat sie - im Gegensatz etwa zu Aécio Neves, ihrem Herausforderer bei den letztjährigen Präsidenschaftswahlen - nie auf der Ermittlungsliste des zuständigen Untersuchungsausschusses stand.

Selbst Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso, einer ihrer prominentesten Kritiker, brach kürzlich eine Lanze für die Präsidentin: "Dilma Rousseff ist eine ehrenwerte Person und nicht in Korruption verstrickt", sagte der international angesehene Soziologe.

Späte Einsicht

Mit Beginn ihrer zweiten Amtszeit hat Rousseff Wirtschaftsreformen in Angriff genommen. Ein hoher Leitzins und sinkende Staatsausgaben wirken nun der Inflation entgegen. Per Dekret erlaubte sie Unternehmen, Zeitarbeit einzuführen, um die schlechte Auftragslage ohne Entlassungen durchzustehen.

Handelsabkommen mit den USA? In ihrer zweiten Amtszeit wendet sich Rousseff der Marktwirtschaft zuBild: Getty Images/C. Somodevilla

"Wir sehen eine 180-Grad-Wende hin zu mehr Marktwirtschaft", sagt Ingo Plöger, brasilianischer Präsident des Lateinamerikanischen Unternehmerverbandes CEAL. Schon 2016, meint der Unternehmer, könnte es unter diesen Bedingungen wieder aufwärts gehen. Die Weltbank hat Brasilien bereits 2015 um drei Ränge hochgestuft.

"Die wirtschaftliche Vernunft macht Rousseff das Leben politisch noch schwerer", meint Plöger: "Diese Maßnahmen sind höchst unpopulär, weil sie erst mittelfristig wirken. Im ersten Moment kosten sie Arbeitsplätze und machen Importwaren noch teurer."

Zudem können Rousseffs Wähler ihr zu Recht Wahlbetrug vorwerfen, denn sie setzt in weiten Teilen das Wirtschaftsprogramm der Opposition um. Diese könne das allerdings nur zähneknirschend anerkennen, so Plöger. Fremde Wählerstimmen werde Rousseff so wohl kaum gewinnen. Dafür sind die politischen Fronten in Brasilien zu verhärtet.

Schon in den nächsten Tagen soll es weitere Anti-Rousseff-Proteste geben. Auch dann dürften die Demonstranten wieder ihre Amtsenthebung fordern. Doch unzufriedene Wähler reichen dafür nicht aus. Wenn Rousseffs keine handfesten Vergehen zulast gelegt werden können, wird sie wohl bis Ende 2018 Präsidentin bleiben. Vielleicht geht es dem Land dann schon wieder besser. Und Rousseffs Umfragewerten auch.