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Politik

Russlands Zukunft nach Putin

Mikhail Bushuev
21. Februar 2020

Was könnte 2024 passieren, wenn Wladimir Putins reguläre Amtszeit als russischer Präsident ausläuft? Internationale Experten haben mögliche Varianten skizziert. Die DW stellt sie vor.

Russland Moskau im Winter
Bild: picture-alliance/dpa/Sputnik/N. Seliverstova

Die erfolgreiche Gouverneurin der sibirischen Region Krasnojarsk, Yekaterina Nadezhnaya, wird "zur ersten Frau seit Katharina der Großen an der Spitze Russlands". Ihre Regierung muss das krisengeschüttelte Land stabilisieren. Sie bittet den Westen um Hilfe und bekommt sie auch. Angesichts der Gefahr einer innenpolitischen Eskalation wollen die russischen Eliten keine außenpolitischen Spannungen.

So sehen die ersten Zeilen des Szenarios "Der verwundete Adler" aus (gemeint ist das doppelköpfige russische Wappentier): ein instabiles Land strebt nach Kooperation mit dem Westen. Dies ist einer von vier Entwürfen einer möglichen nahen Zukunft Russlands, die in der englischsprachigen Publikation "Thinking ahead: Russia beyond 2024" beschrieben werden.

Gedankenspiele namhafter internationaler Politologen

Diese Gedankenspiele wurden von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin initiiert. Die Autoren sind namhafte Politologen aus europäischen, US-amerikanischen und russischen Universitäten und Forschungszentren. 

Experten glauben nicht, dass der neue Regierungschef Mischustin nach 2024 eine wichtige Rolle spielen wirdBild: Reuters/Sputnik/E. Shtukina

Zukunftsszenarien sind naturgemäß keine streng wissenschaftlichen Studien. Sie stützen sich zwar auf reale Gegebenheiten und Entwicklungen, geben aber auch Raum für Phantasie und lassen sogar fiktive Personen wie Nadezhnaya zu, deren Name vom russischen Wort "zuverlässig" abgeleitet ist. Oder wie Petr Preobrazhensky, der neugewählte russische Präsident in dem Szenario "Der goldene Adler".

"Der goldene Adler": Stabiles Russland und gute Beziehungen zum Westen

Gemeinsam mit den Spitzenpolitikern Frankreichs, der USA, Deutschlands und Polens nimmt Petr Preobrazhensky am 9. Mai 2025 auf dem Roten Platz in Moskau eine Militärparade ab, bei der russische Soldaten Schulter an Schulter mit französischen und amerikanischen Kampfverbänden zum 80. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland marschieren.

Dies ist das Ergebnis einer grundlegenden Neuorientierung Russlands im Zuge von schmerzhaften, aber überfälligen Reformen, die nach den Protesten und den Parlamentswahlen des Jahres 2021 einsetzen. Dank der Verfassungsreform hat die Duma, das Parlament, größere Vollmachten bekommen. Sie drängt den Einfluss von Militär und Geheimdienst etwas zurück und gibt den Regionen der Russischen Föderation mehr Selbständigkeit.

Da im unmittelbaren Umfeld von Wladimir Putin kein aussichtsreicher Nachfolger für das Präsidentenamt gefunden werden konnte, unterstützt der Kreml den "unabhängigen" Banker und Milliardär Preobrazhensky, der zwar loyal ist, sich aber Sorgen wegen der Zunahme von Korruption und Nationalismus macht. Er setzt neue Prioritäten in der russischen Politik: Investitionen in Infrastruktur, mehr Umweltschutz, weniger Militärausgaben, eine klare Trennung von Staatsmacht und Geschäftswelt.

Kann der Konflikt im Donbass bis 2024 gelöst werden?Bild: The Presidential Administration of Ukraine

Zusammen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj gelingt es Präsident Preobrazhensky, den Krieg in der Ostukraine zu beenden und eine Reintegration der abtrünnigen Region Donbass in das Staatsgebiet der Ukraine einzuleiten. Daraufhin werden die EU-Sanktionen gegen Russland zurückgefahren, was der Belebung der russischen Wirtschaft einen zusätzlichen Schub gibt. Das Problem der von Russland annektierten Krim bleibt zwar ungelöst, aber es gibt eine eindeutige Verbesserung der Beziehungen mit dem Westen, auch wegen russischer Sorgen angesichts des wachsenden globalen Einflusses Chinas.

"Der gestresste Adler": innen stabil, nach außen auf Konfrontationskurs

Neben diesen beiden hauptsächlich positiven Szenarien beschreiben die Autoren der Publikation von FES und ZOiS auch zwei negative Varianten der künftigen Entwicklung Russlands. In einem Fall gehen sie unter dem Titel "Der gestresste Adler" von einer anhaltenden Konfrontation mit dem Westen bei relativer innenpolitischer Stabilität aus. In diesem Fall heißt der fiktive Präsident Maxim Troitsky und ist ein Oberst mit großer Kampferfahrung in Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens. Putin ernennt ihn bereits 2022 zum stellvertretenden Ministerpräsidenten, um ihn auf das künftige Amt vorzubereiten.

In seiner zweiten Amtszeit als US-Präsident setzt Donald Trump den ökonomischen und politischen Kampf gegen China fort, was zu einer weltweiten Rezession führt. Doch Russlands Wirtschaft übersteht sie jedoch relativ glimpflich, weil der Ölpreis wegen schwerer innenpolitischer Konflikte in Saudi-Arabien hoch bleibt. Die Probleme des Westens, verschärft durch die fortwährende Migrationskrise in Europa, spielen der Kremlpropaganda in die Hände: Die Russen sind über die Lage im Land nicht besonders glücklich, haben sich aber mit ihr arrangiert. Zumal der Kreml medienwirksam einen entschiedenen Kampf gegen die Korruption inszeniert.

Troitsky weckt zwar Hoffnungen, ist aber unerfahren und hat noch keine Antworten auf die brennendsten Fragen: Wie sollen die Wirtschaft modernisiert, der Donbass-Konflikt gelöst, die Beziehungen mit dem Westen verbessert werden? Es sind oft gerade Hoffnungen und nicht Verzweiflung, die Revolutionen befeuern, merken die Autoren dieses Szenarios an.

"Der schreiende Adler": Die Stunde des nationalistischen Hardliners

Eine Kombination von sozialer Instabilität und außenpolitischer Konfrontation mit dem Westen wird unter dem Titel "Der schreiende Adler" beschrieben. In diesem Szenario führt die globale Wirtschaftskrise zu einem Ölpreisverfall mit verheerenden Folgen für die russischen Staatsfinanzen. Das schwächt die Zentralmacht in Moskau und stärkt die Nationalisten im Land. Der zweite entscheidende Faktor, der ihnen Auftrieb verleiht, ist die immer näher rückende NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens. Dieser Prozess wird von der US-Präsidentin Elizabeth Warren vorangetrieben.

Sergej Schoigu als Putins Nachfolger? Kann auch sein, glauben die Autoren der Zukunftsszenarien für RusslandBild: picture-alliance/dpa/TASS/A. Novoderezhkin

Angesichts seiner stark gefallenen Popularitätswerte entscheidet sich Putin 2023, den heutigen Verteidigungsminister Sergej Schoigu zu seinem Nachfolger wählen zu lassen. Doch der wird als Präsident mit den zahlreichen Problemen des Landes im Zuge der Wirtschaftskrise und großer außenpolitischer Spannungen nicht fertig. Im Dezember 2025 muss Schoigu "aus gesundheitlichen Gründen" zurücktreten.

Nun kommt die große Stunde des Innenministers Igor Streltsovsky, der die Partei russischer Patrioten anführt und noch von Putin ernannt wurde. Die Figur ist zwar fiktiv, doch die Parallele zu dem ehemaligen Geheimdienstman Igor Girkin, der unter dem Pseudonym Igor Strelkow 2014 der militärischen Chef der Separatisten im ostukrainischen Gebiet Donezk war und seither in Russland in nationalistischen Kreisen viele Anhänger hat, ist offensichtlich und gewollt.

Streltsovsky, der bereits im Sommer 2025 hart gegen Massenproteste im Land vorging, wird nach Schoigus Rücktritt amtierender Präsident Russlands. Zu seinen allerersten Amtshandlungen gehört die Verlegung zahlreicher zusätzlicher Truppen an die Grenzen zur Ukraine und zu Georgien, wo bereits NATO-Soldaten stationiert sind.

Mütter in Russland kämpfen um ihre Söhne

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