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PolitikÄgypten

Präsidentschaftswahlen in Ägypten: Chance für den Wandel?

Jennifer Holleis | Mahmoud Hussein
9. Dezember 2023

Als Partner bei humanitärer Hilfe und potentieller Vermittler im Gaza-Krieg hat Machthaber al-Sisi sein internationales Image aufpoliert. Sein Wahlsieg gilt als sicher. Doch wird er die Probleme des Landes lösen können?

Wahlplakat des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi
Präsident und Präsidentschaftskandidat: Abdel Fattah al-SisiBild: Amr Nabil/AP Photo/picture alliance

Der alte Präsident Ägyptens dürfte nach Lage der Dinge auch der neue sein: Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen vom 10. bis 12. Dezember deutet praktisch alles auf einen Sieg von Amtsinhaber Abdel Fattah al-Sisi hin. 

Für die juristischen Voraussetzungen seiner wahrscheinlichen Wiederwahl hatte al-Sisi selbst gesorgt: Der 2014 und 2018 mit - offiziell - jeweils rund 97 Prozent der Stimmen ins Amt gewählte Präsident hatte 2019 auf eine Verfassungsänderung gedrängt. Diese erlaubt es ägyptischen Präsidenten fortan, statt wie bislang höchstens zwei fortan drei Legislaturperioden im Amt zu bleiben.

Beobachtern und Menschenrechtsorganisationen zufolge verteidigt al-Sisi sein Amt gegen aussichtsreiche Oppositionskandidaten mit aller Härte. So finden sich derzeit einige seiner Kritiker und Konkurrenten in Haft, wie Experten bestätigen.

"Der Aktivist Hisham Kassem sitzt derzeit wegen politischer Anklagen im Gefängnis", sagt Timothy E. Kaldas vom 'Tahrir Institute for Middle East Policy', der DW. Auch der noch bis Oktober als Präsidentschaftskandidat agierende Ahmed al-Tantawi sehe sich mehreren Anklagen gegenüber. "Dutzende seiner Unterstützer wurden bereits inhaftiert", berichtet Kaldas.

Die für die Überwachung der Wahlen zuständige Nationale Wahlbehörde (NEA) erklärte hingegen, diese seien bislang fair und gerecht verlaufen. So hätten viele im Ausland lebenden Ägypter bereits ihre Stimme abgegeben.

Angeklagt und unter Druck gesetzt: Oppositionspolitiker Ahmed al-TantawiBild: AHMED HASAN/AFP/Getty Images

Aufpoliertes Image

Auf der internationalen Bühne profitiert der autoritär regierende al-Sisi faktisch von dem derzeitigen Krieg zwischen Israel und der Hamas, auch wenn das Land angesichts der Gewalteskalation in seiner direkten Nachbarschaft zugleich um seine Stabilität fürchtet. Seit dem Angriff der von Deutschland, EU, USA und weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuften Hamas auf Israel am 7. Oktober steht dieser Konflikt im Zentrum der globalen Aufmerksamkeit. Damit sind nicht nur die katastrophale Menschenrechtslage und die schlechte wirtschaftliche Situation in Ägypten weitgehend aus dem internationalen Fokus geraten. Zudem kann sich al-Sisi der Weltöffentlichkeit auch als möglicher Vermittler, Koordinator für die Lieferung humanitärer Güter in den Gazastreifen und damit nicht zuletzt als zuverlässiger politischer Partner vor allem der USA und weiterer westlicher Länder präsentieren. Dies stärkt nicht nur sein eigenes internationales Ansehen. Es könnte sich auch positiv auf die Finanzen des Landes auswirken. 

"Die Europäische Kommission hat Investitionen in Höhe von bis zu neun Milliarden Euro angekündigt", berichtet Ägypten-Experte Kaldas. "Andere Berichte deuteten darauf hin, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) in Reaktion auf die derzeitige Situation eine Verdoppelung des Ägypten gewährten Darlehens erwägt", ergänzt der Experte. Bemerkenswert: Träte dies wirklich so ein, dann wäre es ungeachtet des Umstands, dass Ägypten seine Reformverpflichtungen im vergangenen Jahr zu weiten Teilen bisher gar nicht erfüllt habe, so Kaldas. 

Geld kann das Land auf jeden Fall gut gebrauchen, auch der innenpolitischen Stabilität wegen. Seit 2022 leidet Ägypten unter einer schweren Wirtschaftskrise. Nach Angaben der ägyptischen Zentralbank lag die Inflation im Oktober bei 38 Prozent. Seit März 2022 hat die ägyptische Währung rund 50 Prozent ihres Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren. Offiziellen Umfragen zufolge leben 30 Prozent der Bevölkerung in Armut. Auch die zur Begleichung der hohen Staatsschulden dringend nötigen Devisenreserven sind weitgehend aufgebraucht. 

Prestigeprojekt trotz klammer Kassen: die im Bau befindliche Große Ägyptische Moschee nahe KairoBild: AHMED HASAN/AFP/Getty Images

Sorge vor Turbulenzen

"Während des Wahlkampfs hat al-Sisi bisher sehr wenig darüber mitgeteilt, was er nach seiner Wiederwahl zu tun gedenkt", sagt Ägypten-Experte Christian Achrainer von der dänischen Roskilde-Universität. "Dies deutet darauf hin, dass sich seine Strategie nicht wesentlich ändern wird." Eine Entwicklung hin zu mehr Demokratie und mehr Pluralismus erwartet am Nil kaum jemand. 

Zugleich erwartet keiner der von der DW interviewten Experten nennenswerte ausländische Kritik an der derzeitigen Situation des Landes. "Schon in der Vergangenheit hat der Westen die Wahlen in Ägypten nicht allzu kritisch gesehen", so Achrainer. "Außerdem gelten al-Sisi und das Militär im Westen als die einzigen Akteure, die ein Chaos im Land verhindern können."

Hinzu kommt: Auch viele andere direkte Nachbarn und weitere Staaten der Region - etwa Sudan, Libyen und Jemen - befinden sich in schweren Krisen oder bürgerkriegsähnlichen Situationen, während das Rote Meer zum Austragungsort bewaffneter Raketenangriffe der jemenitischen Huthi-Milizen gegen Israel zu werden droht. "Für die europäischen Entscheidungsträger wäre es ein Horrorszenario, wenn Ägypten als bevölkerungsreichstes nordafrikanisches und arabisches Land ebenfalls instabil würde", so Achrainer weiter. 

Ähnlich sieht dies der Politologe Gamal Abdel Gawad von der Amerikanischen Universität in Kairo, Berater des Kairoer Think Tanks 'Al-Ahram Centre for Political and Strategic Studies': "Weder die Region noch die Welt sind darauf vorbereitet, mit den Problemen umzugehen, die ein wirtschaftlicher Kollaps (Ägyptens) schaffen könnte", so Gawad.

Der Krieg im Gazastreifen und eine mögliche Vertreibung von Palästinensern aus diesem Gebiet drohten zudem auch Ägypten selbst in den Konflikt zu ziehen, so der Forscher aus Kairo. Er meint: "Die derzeitige Sicherheitslage hat Ägypten geeint und zu einer verstärkten Unterstützung für den Präsidenten geführt."

Dies wiederum habe jedoch das Regime veranlasst, sich wirtschaftlichen und politischen Reformen weitestgehend zu verweigern, bemängelt Timothy Kaldas. Auch angesichts der zuletzt wieder milder gewordenen Haltung des Westens gegenüber den ökonomischen und juristischen Missständen in Ägypten seien baldige Reformen eher unwahrscheinlich, konstatiert der Experte.

Der Krieg im Gazastreifen hat auch Auswirkungen auf Ägypten: Blick auf den Grenzübergang RafahBild: AFP/Getty Images

Kaum Chancen für Menschenrechte

Hinsichtlich der Menschenrechte zeigen sich Experten ebenfalls verhalten. Die zu erwartende Wiederwahl al-Sisis werde selbst im besten Falle nur dazu führen, dass die Regierung ihre bisherigen, eher kosmetisch ausgerichteten Reformen fortsetzen werde, bemängelt Ahmed Mefreh, Geschäftsführer der in der Schweiz ansässigen Menschenrechtsorganisation Committee for Justice.

Zwar hat die Regierung im Rahmen eines "Nationalen Dialogs" dieses Jahr zwischen 1000 und 1500 politische Gefangene aus der Haft entlassen. Menschenrechtsgruppen erklären jedoch, dass in der gleichen Zeit mindestens dreimal so viele politische Aktivisten neu verhaftet worden seien. "Viele von ihnen werden nach wie vor ohne Gerichtsverfahren oder sogar ohne Anklage festgehalten", so Timothy E. Kaldas. Auch Ägyptens prominentester politischer Gefangener, Alaa Abdel-Fattah, bleibt weiterhin im Gefängnis. 

Nicht auszuschließen sei auch das Szenario einer erneuten direkten Repression gegen Menschenrechts-Aktivisten und -Organisationen, meint Ahmed Mefreh. 

"Entscheidend wird sein, ob sich das Regime angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise gedrängt sieht, die Menschenrechtslage zu verbessern oder nicht", so der Bürgerrechts-Aktivist. Angesichts des Kriegs zwischen Israel und der Hamas und der Rolle Ägyptens bei Vermittlungsversuchen und humanitärer Hilfe sei der internationale Druck auf den zur Wiederwahl stehenden Machthaber al-Sisi gering. Dies, befürchtet Mefreh, mache das Szenario neuer Repressionen sogar "eher wahrscheinlicher."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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