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Prügel und sexueller Missbrauch

17. März 2004

- Häusliche Gewalt in Serbien

Bonn, den 16.3.2004, DW-RADIO/Serbisch, Dinko Gruhonjic

Untersuchungen von Fachleuten zufolge wird jede dritte, im günstigsten Fall jede vierte Frau in Serbien misshandelt. Die Gewalttäter sind in 95 Prozent der Fälle Männer. Dies wurde auf einer Podiumsdiskussion in Novi Sad unter dem Motto "Gewalt in der Familie" mitgeteilt.

Vesna Stanojevic von der Organisation "Aufnahmezentrum – Sicheres Frauenhaus" aus Belgrad erklärte, diese Organisation habe etwa 3 000 Anrufe wegen Gewalt in der Familie, ausgeübt von Ehemännern, Söhnen, Vätern und anderen männlichen Verwandten, erhalten. Das "Sichere Frauenhaus" in Belgrad haben bislang 250 Frauen und etwa 200 Kinder aufgesucht. Es handelt sich überwiegend um Frauen, die von ihren Ehemännern aus dem Haus geworfen worden oder die sich sogar in Lebensgefahr befinden.

Vesna Stanojevic erklärte, warum Frauen Gewalt dulden und mit welchen Vorurteilen sie sich belasten: "Frauen dulden Gewalt just deswegen, weil sie glauben, dass es besser wird. So warten sie jahrelang auf eine Besserung, und wenn sie sich dann bei uns im Beratungszentrum melden, stellt sich heraus, dass sie etwa zwanzig Jahre Gewalt ertragen haben. Im Aufnahmezentrum versuchen wir, sie davon zu überzeugen, dass sie es auch alleine schaffen, dass sie nicht an den Gewalttäter in dem Sinne gebunden sind, dass sie ohne ihn nicht funktionieren können oder dass es keine Schande ist, geschieden zu sein – was bei uns landläufige Meinung ist. Die Frauen kommen mit einem ganzen Haufen von Vorurteilen zu uns, wie beispielsweise dem, dass eine Ehescheidung viel Geld kostet, dass die Wohnung oder sämtliche Immobilien dem Mann zugesprochen werden, was ebenfalls falsch ist. Die Frauen fürchten sich vor dem Gewalttäter und seiner Rache".

Am schlimmsten daran sei, dass bei Kindern, die in solchen familiären Verhältnissen aufwachsen, die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, selbst zum Gewalttäter oder Opfer zu werden: "Wenn ein Junge in einer Familie aufgewachsen ist, in der Gewalt herrscht, wird er häufig später in der eigenen Familie selbst zu Gewalttäter. Das gleiche trifft für ein Mädchen zu, das zugesehen hat, wie seine Mutter der Gewalt ausgesetzt war: sie wird dies fortsetzen und später selbst Gewalt ertragen," so Vesna Stanojevic.

Dusica Popadic vom Belgrader "Inzest-Trauma-Zentrum" sagte, drei von vier sexuell missbrauchten Kindern seien Mädchen. Kindesmissbrauch wird in 80 Prozent der Fälle von Männern verübt. Die Täter seien in den meisten Fällen den Kindern bekannte Personen. Daher bestehe das größte Problem darin, den Kindern zu erklären, dass ihnen auch von dieser Seite Gefahr drohe und nicht nur von Unbekannten.

Biljana Kovacevic-Vuco vom Juristen-Komitee für Menschenrechte sagte, ins serbische Strafgesetz sei vor zwei Jahren der Artikel 118a aufgenommen worden. Dadurch sei erstmals Gewalt in der Familie in Serbien beim Namen genannt worden. Allerdings sei dies nicht viel mehr als blanke Theorie, denn es gebe noch kein rechtskräftiges Urteil zu dieser Straftat.

Bei der Podiumsdiskussion waren auch Stimmen zu vernehmen, wonach das gesellschaftliche Milieu traditionell und patriarchalisch geprägt ist, was einen sehr fruchtbaren Boden für das Wuchern von Gewalt in der Familie bereite. Sozialarbeiter, die Polizei und die Gerichtsbarkeit unterdessen lehnen die Rolle ab, die sie beim Umgang mit dieser Problematik spielen sollten. So haben Vertreter der Polizei trotz Einladung nicht an der Podiumsdiskussion teilgenommen, mit der Begründung in Novi Sad existiere keine fachkundige Dienststelle der Polizei, die sich ausschließlich mit häuslicher Gewalt befasse. (md)