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"Verfassungsklage nur Spektakel"

Volker Wagener18. Januar 2016

Die Bundeskanzlerin soll die Außengrenzen wieder kontrollieren lassen, fordert die CSU. Sonst werde Bayern vor das Verfassungsgericht ziehen. Ein politischer Showdown, urteilt Jurist und Journalist Heribert Prantl.

Wildbad Kreuth: CSU-Klausur mit Seehofer und Merkel, 06.01.2016 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/M. Rehle

DW: Herr Prantl, wie ernst ist die Verfassungsklage gegen den Bund zu nehmen, die die CSU sich als Option offenhält? Ist das nur ein populistisches Druckmittel?

Heribert Prantl: Ich habe es immer für ein politisches Spektakel gehalten und daran ändert die Zeit, die seit der ersten Ankündigung Anfang Oktober vergangen ist, wenig. Es ist juristisch hochproblematisch, was die CSU hier vorschlägt. Meines Erachtens fehlt dieser angekündigten Klage schon das Rechtsschutzbedürfnis, denn Horst Seehofer und seine CSU sind ja Koalitionspartner der Regierung in Berlin, also müssten Seehofer und die CSU erst einmal versuchen, ihre Politik dort durchzusetzen.

Als Grundlage einer solchen Klage dient ein Gutachten, dass die CSU beim ehemaligen Verfassungsrechtler Udo Di Fabio in Auftrag gegeben hat. Darin heißt es, der Bund sei verpflichtet, wieder wirksame Kontrollen der Außengrenzen einzuführen. Wie groß wären die Erfolgschancen einer solchen Klage?

Ich halte sie für wenig aussichtsreich. Ein anderer ehemaliger Kollege von Di Fabio, der frühere Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, vertritt auch eine kritische Haltung zur Flüchtlingspolitik. Und er sagt, er erkenne alle möglichen Fehler, aber der juristische Weg sei der falsche. Es sei ganz klar eine hochpolitische Angelegenheit, aber nicht eine, die in Karlsruhe zu entscheiden ist.

Politische und juristische Aspekte trennen: Heribert PrantlBild: imago/Müller-Stauffenberg

Di Fabio spricht in seinem Gutachten von einer "Integrationsverantwortung" des Bundes. Das klingt nach: Wir können schon längst nicht mehr verantworten, was wir tun. Teilen Sie diese Sicht?

Ich teile die Einschätzung nicht, ich teile sie politisch überhaupt nicht, aber es geht ja hier nicht um politische Einschätzungen. Es geht hier um juristische Relevanzen und verfassungsrechtliche Dinge. Wenn man das Gutachten Di Fabios genau liest, dann liest man viele Wenns und viele Abers, wenn es darum geht, tatsächlich die Erfolgsaussichten einer Verfassungsklage in Karlsruhe zu beurteilen. Die Verfassungsklage ist auch bei Di Fabio, dem von der CSU beauftragten Gutachter, nicht so beschrieben, dass er sagt: "Leute, geht nach Karlsruhe, Eure Siegeschancen sind groß." Di Fabio teilt seine politischen und verfassungspolitischen und verfassungsjuristischen Bedenken mit, aber mit vielen weichen Formulierungen. Die werden natürlich von Seehofer und vom bayerischen Innenminister Joachim Herrmann und von den CSU-Funktionären nicht allzu deutlich herausgestellt.

Wenn Deutschland, Österreich und Slowenien nun gemeinsam die südöstliche Schengen-Außengrenze bewachen wollen, wie angekündigt, wäre dann eine CSU-Klage in Karlsruhe hinfällig?

Das sind lauter politische Beurteilungen. Ich denke, was die CSU hier veranstaltet, ist ein politischer Showdown, der in Karlsruhe nur minimalste Erfolgsaussichten hat. Aber es geht Seehofer darum, mit dieser Klage zu drohen und eine Drohkulisse aufzubauen. Das macht er jetzt seit Anfang Oktober, bislang hat er noch keine Konsequenzen gezogen. Wer dauernd bellt und nur bellt, wird auch nicht mehr sehr ernst genommen. Ich nehme Seehofer in der Angelegenheit nicht sehr ernst.

Eine Klage vor dem Verfassungsgericht gegen den Bund, die aus den eigenen Reihen der Bundesregierung käme, das wäre eine Premiere. Was sagt uns das über den politischen Zustand im Land?

Man kann natürlich sagen, warum bildet diese Partei eine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU, wenn die politischen Gemeinsamkeiten so gering sind? Warum ist diese Partei in der Koalition, wenn Sie in einer Fundamentalfrage europäischer und deutscher Politik eine komplett andere Ansicht vertritt? All dies lässt mich den Kopf schütteln, was die Intensität und die Art und Weise und Tonalität der Forderungen betrifft. Da wird ganz offensichtlich die Ankündigung einer Verfassungsklage missbraucht, um Politik zu machen. Aber, mein Gott, Verfassungsklagen - ob aussichtsreich oder nicht aussichtsreich - waren und sind immer Teil der Politik.

Prof. Heribert Prantl ist Journalist und Leiter des Innenressorts der "Süddeutschen Zeitung". Er gehört der Chefredaktion des Blattes an. Der promovierte Jurist war vor seiner journalistischen Karriere auch als Richter und Staatsanwalt tätig.

Das Interview führte Volker Wagener.

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