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GesellschaftDeutschland

Preise für Zivilcourage gehen an Lehrer aus Brandenburg

Ben Knight
23. November 2023

Laura Nickel und Max Teske engagierten sich an ihrer Schule gegen Rechtsextremismus und werden nun in Berlin dafür ausgezeichnet. Ihre Geschichte erzählt viel über den Alltag an Deutschlands Schulen.

Ein Lehrer (Max Teske) um die 30 mit Brille steht neben seiner Kollegin Laura Nickel, die ein schwarzes T-Shirt trägt
Ausgezeichnetes Team für Zivilcourage: Lehrer Max Teske und Lehrerin Laura NickelBild: Markus Schreiber/AP/picture alliance

Max Teske möchte lieber nicht sagen, wo er zurzeit arbeitet. Und dafür hat er gute Gründe. Im Juli dieses Jahres wurden der 31-jährige Lehrer und seine Kollegin Laura Nickel in der ostbrandenburgischen Stadt Burg massiv angefeindet, nachdem sie einen offenen Brief über latenten Rechtsextremismus an ihrer ehemaligen Schule veröffentlicht hatten.

Jeden Tag würden sie mit "Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie" konfrontiert, hieß es in dem Schreiben. Und weiter: "Schulmöbel werden mit Hakenkreuzen beschmiert, rechtsextreme Musik ertönt im Unterricht, und das Rufen antidemokratischer Parolen erfüllt die Schulflure. Lehrer und Schüler, die sich offen gegen rechte Schüler- und Elterngruppen stellen, fürchten um ihre Sicherheit."

Teske und Nickel kritisierten außerdem eine "Mauer des Schweigens und die fehlende Unterstützung durch Schulleitung, Schulverwaltung und Politik". Nach der Veröffentlichung des Schreibens wurde das Leben der beiden Lehrer praktisch unerträglich: An Laternenpfählen in der Stadt hingen Flugblätter, auf denen sie aufgefordert wurden, sich "nach Berlin zu verpissen".

Doppelte Auszeichnung für Zivilcourage

Vier Monate später werden die Lehrer in Berlin gleich mit zwei Preisen geehrt: Einen, der gemeinsam vom Förderkreis des "Denkmals für die ermordeten Juden Europas" und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin verliehen wird. Und einen weiteren von "GermanDream", einer Schulinitiative, mit der die beiden aktuell zusammenarbeiten.

Teske und Nickel haben sich in der Zwischenzeit ein neues Leben aufgebaut. Nicht nur mit neuen Jobs in ungenannten Städten; sondern auch als Personen des öffentlichen Lebens, die regelmäßig in Interviews und Podiumsdiskussionen auftreten. "Es hat sich viel verändert", so Teske gegenüber der DW. "Zum einen der Umzug aus Cottbus, wo ich 31 Jahre lang gelebt habe. Das Kennenlernen neuer Kollegen und Schüler. Zum anderen natürlich die Medienpräsenz, die wir durch den Versuch, diese Themen öffentlich zu machen, haben."

Das bedeutet, dass sie Seminare in Schulen leiten, in denen sie ihre Erfahrungen diskutieren und mit Lehrern und Schülern darüber sprechen, wie man sich gegen Extremismus wehren kann. "Das ist für uns sehr wichtig geworden", sagt Teske. "Wir haben gemerkt, dass wir nicht allein sind und dass das, was wir tun, richtig ist. Ich würde uns als Sprachrohr bezeichnen, eine Rolle, die ich sehr schätze. Denn es gibt viele Menschen, die in noch schwierigeren Situationen stecken, als ich es war."

Lehrer werden im Stich gelassen

Die Leiterin von "GermanDream" ist Düzen Tekkal, die die Initiative 2019 ins Leben gerufen hat. Auch mit dem Preis von "German Dream" werden die beiden Lehrer ausgezeichnet. Die Organisation bezeichnet sich selbst als Bildungsbewegung, die sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt stark macht. Konkret: Seminare - die von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten geleitet werden – können so auf die Anfragen von Lehrern zugeschnitten werden, dass damit Themen wie der Nahostkonflikt, Islamophobie oder Homosexualität an den Schulen fundierter diskutiert werden können.

"Im Grunde geht es darum, dass wir Lehrkräfte im Kampf gegen Rechtspopulismus und Antisemitismus nicht im Stich lassen", sagt Tekkal der DW. "Die Welt hat sich verändert, aber die Lehrpläne stecken immer noch in den vergangenen Jahrzehnten fest." German Dream erhalte gerade eine Flut von Anfragen, berichtet sie. "Die Lehrer sind überwältigt von dem, was in der Welt passiert. Die Kinder kommen mit einer bestimmten Mentalität in die Schule, die sie von ihren Eltern oder aus dem Internet mitbekommen haben, und die Lehrer können damit nicht allein fertig werden, egal wie gut sie es meinen."

Düzen Tekkal (rechts) kämpft auch für die Freilassung von politischen Gefangenen im IranBild: Annette Riedl/dpa/picture alliance

Die Statistik zeigt, dass die Erfahrungen von Teske und Nickel keine Einzelfälle sind. Die Brandenburger Polizei veröffentlichte im Oktober neue Zahlen, die für das vergangene Jahr 159 Fälle von so genannten "Propagandadelikten" an Schulen ausweisen - meist im Zusammenhang mit Nazi-Schmierereien. Das sind mehr als die 136, die 2018 - also vor der Pandemie - gemeldet wurden.

"Wir wussten, bevor wir den Brief geschrieben haben, dass das nicht nur unsere Schule betrifft", sagt Teske. "Ich habe es selbst erlebt, als ich eine Schule in Spremberg, einer Kleinstadt in Südbrandenburg, besucht habe und von rechten Schülern bedroht und angegriffen wurde."

Rechtsextremismus als gesellschaftliches Problem

Auch die Politik hat auf den Sturm, den Teske und Nickel ausgelöst haben, reagiert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte, er sei "zutiefst schockiert" über den Brief und die Tatsache, dass sich die Lehrer gezwungen sahen, ihn zu schreiben.

Die brandenburgische Landesregierung versprach, die von Teske und Nickel gemeldeten Vorfälle zu untersuchen, während Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) die Vorwürfe der Lehrer zurückwies, ihnen sei damals keine Unterstützung angeboten worden. "Wir haben alles getan, was der Staatsapparat tun kann, und noch mehr, um diese beiden Kollegen zu schützen."

Teske und Nickel bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus vor dem Schulamt in CottbusBild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Die Aktionspläne für den Umgang mit Gewalt an Schulen sollen als Konsequenz verbessert werden. Doch auch Bildungsminister Freiberg muss einräumen, dass die Gesellschaft insgesamt ein Problem mit dem Rechtsextremismus habe. "Es wirkt sich aus, wenn es in einzelnen Familien inzwischen eine zweite Generation mit rechtsextremen Einstellungen gibt", sagt er.

Veränderungen in den Lehrplänen überfällig

Teske und Tekkal sind der Meinung, dass es vor allem tiefgreifende Veränderungen in den Schulen geben muss. "Ich denke, Fächer wie politische Bildung müssen viel mehr Raum im Unterricht bekommen. Es muss mehr als einmal pro Woche stattfinden", so Teske. "Ich denke auch, dass es verpflichtende Fortbildungen für Lehrer zum Thema Demokratieerziehung geben muss."

Ein Thema nicht nur für Ostdeutschland, sondern auch für Bayern. Auch die Landesregierung in München ist besorgt über die Zunahme rechtsextremer Einstellungen in den Schulen. Bei einer kürzlich durchgeführten Scheinwahl für unter 18-Jährige im Bundesland erhielt die rechtspopulistische bis rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) mit knapp 15 Prozent genauso viele Stimmen wie bei der Landtagswahl im Oktober. Als Reaktion darauf schlug der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine wöchentliche "Verfassungs-Viertelstunde" vor, in der Schulklassen einen Aspekt der deutschen Verfassung diskutieren.

Solche Ideen seien ein guter Anfang, sagt Düzen Tekkal von "GermanDream"; aber sie könnten noch weiter gehen. "Wir brauchen neue Schulfächer. Wir brauchen die Erkenntnis, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind. Wir haben ganz neue Probleme, ganz neue Themen, aber auch ganz neue Chancen."