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Prekäre Lage in Serbiens Flüchtlingslagern

Diego Cupolo, Preševo27. Oktober 2015

Immer mehr Flüchtlinge kommen über die Balkanroute nach Westeuropa. Doch die Transitländer sind überfordert. Die Situation in den Flüchtlingslagern ist extrem angespannt. Diego Cupolo berichtet aus Preševo.

Flüchtlingslager im serbischen Presevo (Foto: DW)
Bild: DW/D. Cupolo

Zmarai Muradi aus dem afghanischen Kundus hat während seiner monatelangen Flucht nach Europa schreckliche Erfahrungen gemacht: der 15-tägige Marsch durch die iranische Wüste zum Beispiel oder die gefährliche Bootsüberfahrt nach Lesbos. Die türkische Polizei habe ihn und seine Familie mit Wasserwerfern angegriffen, berichtet Muradi. "Die türkische Polizei hat erst aufgehört, als wir unsere Babys hochgehalten haben."

Doch viel schlimmer war für den Afghanen die Zeit im südserbischen Preševo an der Grenze zu Mazedonien und dem Kosovo. Bevor die Familie dort im UN-Flüchtlingslager registriert wurde, musste sie einen halben Tag im kalten Regen ausharren. "Es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens", so Muradi zur Deutschen Welle (DW). "Meine 20 Monate alte Tochter bekam Husten, sie wurde richtig krank, und meine Frau saß auf dem nassen Boden mit nichts als einer Decke, um sich vor dem Regen zu schützen."

Auch Stefan Cordez von der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" berichtet von einer extrem angespannten Lage. Am vergangenen Wochenende überquerten täglich zwischen 8600 und 10.000 Menschen die serbisch-mazedonische Grenze. Gleichzeitig gebe es in dem Lager in Preševo lediglich zwölf Toiletten und kaum Heizmöglichkeiten, erklärt der für die Region zuständige Koordinator.

Dominoeffekt

"Wir haben das Gefühl, dass die Grenzen an verschiedenen Stellen bald schließen werden und das einen Dominoeffekt auf dem gesamten Balkan erzeugen wird", prognostiziert Cordez. "Das heißt, die Flüchtlinge werden an Orten festsitzen, die viel größere Ressourcen bräuchten, Heizmöglichkeiten inklusive, um in den kommenden Monaten eine weitere Verschärfung der Situation zu vermeiden."

Tausende Flüchtlinge warten in der Kälte darauf, registriert zu werden.Bild: DW/D. Cupolo

Viele Helfer sind über den Mangel an institutioneller Unterstützung frustriert. "Die Menschen fragen uns, wieso der Aufnahmeprozess in Mazedonien so gut organisiert ist und hier die Zustände so chaotisch sind", erzählt Daniela Gabriel, eine unabhängige Helferin, die außerhalb des Lagers arbeitet. "Es muss jemanden geben, der die Koordination und Organisation übernimmt."

Kaum institutionelle Unterstützung

Es gebe eine informelle Gruppe Freiwilliger, hauptsächlich ein Mix aus albanischen Serben und Studenten aus Westeuropa, die essentielle Hilfe in dem Lager leisteten, meint Gabriel. Sie verfügten allerdings kaum über Informationsquellen geschweige denn über eine geeignete Ausbildung, um mit einer Krise solchen Ausmaßes umzugehen.

"Es sollte nicht unsere Aufgabe sein, armselige Unterkünfte in verlassenen Häusern zu finden, um die Menschen am Leben und aus dem Regen heraus zu halten", so Gabriel im DW-Gespräch. "Wir sollten Tee und zusätzliche Decken herausgeben. Wir sollten in einem etablierten Hilfssystem als Unterstützung dienen, aber stattdessen müssen wir praktisch stündlich medizinische und organisatorische Krisen bewältigen."

Zwischen sechs und zwölf Stunden Anstehen - oft ohne Lebensmittel und medizinische Versorgung.Bild: DW/D. Cupolo

Bei Kleiderspenden und Geld für Lebensmittel gibt es ebenfalls permanente Engpässe in Preševo. Zwei deutsche Gruppen haben in den vergangenen Wochen über ein Crowdfunding-Projekt versucht, Spenden zu sammeln, um davon Lebensmittel zu kaufen. Die Finanzierung brach ein, nachdem die beiden Gruppen abgereist waren. Ein dauerhaftes System hat sich noch nicht wieder etabliert.

"Immer irgendwie funktioniert"

"Bis jetzt hat es immer irgendwie funktioniert", meint der australische Freiwillige Alexander Travelle. "Viele Einheimische sind Albaner und können mit den Flüchtlingen mitfühlen, weil sie selbst vor nicht allzu langer Zeit geflohen sind."

Im Laufe des Wochenendes versorgten Gruppen ortsansässiger Albaner die Wartenden in der Registrierungsschlange mit Lieferwagen voll Brot, Erdnussbutter, Marmelade, Joghurt und Wasser.

Serbien ist für die meisten Flüchtlinge nur ein Zwischenziel: Wer Geld hat, reist weiter nach Westeuropa.Bild: DW/D. Cupolo

Weiterreisen kostet

Nachdem die Flüchtlinge ihre serbischen Registrierungspapiere erhalten haben, dürfen sie innerhalb der Landesgrenzen weiterreisen. Busshuttle vom Lager zur kroatischen Grenze kosten 35 Euro. Einige haben das Geld nicht parat und müssen daher nach anderen Lösungen suchen. Zwei marokkanische Männer versuchten zum Beispiel das Geld zusammen zu kriegen, indem sie ihre Boote am Eingang des Lagers verkauften.

"Ich kann nicht zurück"

Muradi hat Kundus verlassen, nur zehn Tage bevor die Taliban die Stadt zurückeroberten. Nun ist er einer von zahlreichen Flüchtlingen, die in Preševo festsitzen - ohne Geld für die Weiterreise. In der Zwischenzeit hilft er im Lager als Übersetzer aus.

Während er im "Chai Zelt" Tee serviert, erzählt Muradi, dass er in Afghanistan Bankangestellter war und auf einen Bachelorabschluss in Betriebswirtschaftslehre hinarbeitete. Nun hoffe er, dass er sein Studium in Schweden oder Norwegen beenden und seine Tochter gleichzeitig an einem sicheren Ort großziehen kann. Auf die Frage, ob er zurück nach Afghanistan gehen wird, antwortet Muradi: "Niemals." Über die Zukunft seiner Heimat macht er sich keine Illusionen. "Ich denke nicht, dass die Kriege innerhalb der nächsten 100 Jahre enden werden. Ich werde meinen Vater vermissen, aber er wäre innerhalb einer Woche gestorben, wenn er versucht hätte, diese Reise anzutreten."

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