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Politik

Vom Laienspieler zum Staatsmann

5. September 2019

Vor eineinhalb Jahren war er noch unbekannter Jura-Professor, jetzt ist er Italiens Polit-Star: Die erstaunliche Karriere des Giuseppe Conte - überzeugend, aber ohne Überzeugung? Ein Porträt von Bernd Riegert.

Giuseppe Conte
Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS.com/V. Portelli

Beim G7-Gipfel in Biarritz Ende August ging der Jura-Professor Giuseppe Conte noch davon aus, dass seine zweite Karriere als Politiker, die erst vor 15 Monaten begonnen hatte, schon wieder zu Ende sein könnte. "Ich werde wohl nicht wiederkommen" murmelte Conte auf entsprechende Fragen. In Rom war die Regierungskrise in vollem Gange. Die Bewegung der Fünf Sterne, der Conte nahesteht, aber nicht angehört, rang mit den Sozialdemokraten um die Bildung einer bislang für unmöglich gehaltenen Koalition. Giuseppe Conte telefonierte mehrfach mit dem sozialdemokratischen Parteichef Zingaretti und überzeugte ihn wohl, es mit ihm als Regierungschef zu versuchen.

Der gelernte Anwalt kann mit seiner ruhigen Art und sachlichen Argumenten beeindrucken. Auch zum italienischen Präsidenten Sergio Mattarella soll er einen guten Draht haben. Die Italiener lieben den 55 Jahren alten Quereinsteiger aus Apulien. Laut Umfragen ist Giuseppe Conte mit 58 Prozent Zustimmung der zweitbeliebteste Politiker Italiens nach Staatspräsident Mattarella. Der "Anwalt des Volkes" (Conte über Conte) erscheint im Vergleich mit den populistischen Heißspornen Matteo Salvini (Lega) und Luigi Di Maio (Fünf Sterne) vernünftig, ruhig und erwachsen, meinen die Kommentatoren in Italien. Seit Juni 2018 war Conte das Gesicht der populistischen Regierung, vertrat eher als Notar der Regierung, nicht als "Präsident des Ministerrates" die zum Teil recht schrillen politischen Vorhaben der beiden Parteien.

Bruch mit Lega-Chef Salvini (l.): Conte kanzelt den Rechtsradikalen in seiner Rücktrittsrede im italienischen Senat abBild: picture-alliance/AP Photo/G. Borgia

"Ich bin keine Marionette"

Er wurde als "Stellvertreter" seiner stellvertretenden Premierminister Salvini und Di Maio verspottet. Im Europäischen Parlament wehrte sich Giuseppe Conte im Februar aber: "Ich bin keine Marionette. Ich vertrete mein Volk", hielt er Kritikern in Straßburg entgegen. In Italien blieb er jedoch auffallend still. Oft hatte man den Eindruck, der eigentliche Ministerpräsident war der im Dauer-Wahlkampf-Modus agierende Innenminister, Lega-Chef Matteo Salvini. Giuseppe Conte ließ den rechtsradikalen Minister gewähren, Häfen blockieren und die EU-Migrationspolitik lahmlegen. Conte selbst warf der EU "Heuchelei" vor und strapazierte mit seinen Monologen zur ungerechten Behandlung Italiens auf diversen EU-Gipfeln die Nerven der übrigen Staats- und Regierungschefs.

Giuseppe Conte emanzipierte sich erst, als seine erste Regierung schon gescheitert war. In seiner Rede zum Rücktritt kritisierte er Innenminister Matteo Salvini, der neben ihm saß, scharf und warf ihm "eine Obsession in der Migrationspolitik" vor. Er warf  Salvini Verantwortungslosigkeit vor, weil das wirtschaftlich labile Italien eine stabile Regierung brauche - ein bisschen zu spät, um noch etwas zu ändern. Dann geschah Erstaunliches, notierte die italienische Zeitung "Corriere della Sera". Praktisch von Null entwickelte der smarte Anwalt Conte innerhalb weniger Tage eine Beziehung zum Chef der Sozialdemokraten, Nicola Zingaretti, und überzeugte ihn, eine Koalition mit der Bewegung der Fünf Sterne zu versuchen. Die beiden entwickelten die Formel, die Conte so zusammenfasst: "Ich werde sicherstellen, dass Fünf Sterne und Sozialdemokraten nicht nur die Summe ihrer Teile sind, sondern eine Legierung, ein Synthese, eine echte Koalition."

Bisher Vermittler zwischen den Populisten Di Maio (l.) und Salvini (r.). "Ich bin keine Marionette"Bild: Imago

Müheloser Schwenk

Ohne langes Zögern schwenkte der plötzlich Charme entwickelnde Giuseppe Conte von einer eher rechtsradikalen Politik auf ein Linksbündnis um. Der Gründer der Fünf Sterne, der Komiker Beppe Grillo, gab dem neuen Ansatz per Blog-Eintrag seinen Segen. Die neue Koalition werde "eine Regierung ohne Politiker" sein, schrieb Beppe Grillo. Der Anwalt Conte interpretiert diese Weisung Grillos so, dass er allein, der "Nicht-Politiker", der Garant für eine neue Phase in der italienischen Politik sein werde.

Schon in den letzten Monaten hatte Giuseppe Conte seine EU-skeptischen Aussagen zurückgefahren. In Gesprächen mit der EU-Kommission, Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gelang es Conte, ein Defizitverfahren gegen das hochverschuldete Italien zu verhindern. Er weiß, dass er diesen Pfad weitergehen muss und kündigte schon an, "das wichtigste Projekt der nächsten Regierung wird der Haushalt 2020 sein", der Italien auf den Wachstumspfad zurückführen, Arbeitsplätze und Investitionen bringen soll.

Geschickt im Kreis der mächtigen Kolleginnnen Kollegen: Conte (2.v.r.) beim G7-Gipfel in BiarritzBild: Reuters/C. Hartmann

Bella Figura

Das ist eine Korrektur der Finanz- und Ausgabenpolitik der bisherigen populistischen Regierung, der er ja auch selbst vorstand. Conte gelang es in den letzten Tagen, sich elegant von sich selbst zu distanzieren. "Er legt eine große Flexibilität an den Tag. In G7 tat er sich mit EU-konformen Aussagen hervor", berichtet ein EU-Diplomat. Selbst die kritischen Finanzmärkte haben ein gewisses Vertrauen in Conte entwickelt. Nachdem er den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hatte, fielen die Kosten für italienische Staatsanleihen auf ein rekordverdächtiges Tief.

Bedenkliche Nähe: Conte und Russlands Präsident Putin wollen EU-Sanktionen loswerdenBild: picture-alliance/dpa/Tass/M. Klimentyev

Der amerikanische Präsident Donald Trump adelte Conte mit der Bemerkung, er sei der richtige Mann an der Spitze Italiens. Giuseppe Conte erzählt gerne, dass er das Vertrauen Trumps ganz einfach gewonnen habe. "Trump hat mich eines Tages gefragt, wo ich meine schicken Anzüge herbekomme. Ich habe ihm meinen neapolitanischen Schneider Paolo Di Fabio empfohlen. Seither haben wir eine gute Beziehung."

Eine für EU-Kollegen verdächtig gute Beziehung hat Giuseppe Conte auch zum russischen Präsidenten Wladimir Putin entwickelt. Der war im Juli Staatsgast in Rom. Conte sagte ihm, die europäischen Sanktionen gegen Russland wegen der Annexion der Krim machten ihn "traurig". Conte wollte sich damals ganz im Sinne rechter und linker Populisten für ein Ende der Sanktionen einsetzen, scheute aber vor einem italienischen Veto in Brüssel in dieser Frage zurück. Welche Politik die Regierung "Conte II" mit neuer politischer Ausrichtung verfolgen wird, ist noch unklar. Conte wird flexibel bleiben.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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