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Politik

Pressefreiheit durch freiwillige Selbstkontrolle

Sabrina Pabst
20. November 2016

Der Presserat, das Selbstkontrollorgan deutscher Printmedien feiert Jubiläum. Auch nach 60 Jahren nimmt seine Bedeutung nicht ab. Im Gegenteil: Die eingereichten Beschwerden häufen sich, die Arbeit wird komplexer.

Deutschland Zeitungsständer in Düsseldorf
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gerten

Juni 2016: Ein Foto zeigt einen LKW. Die Windschutzscheibe ist von Schüssen durchlöchert. Leichen liegen in der Ferne auf dem Asphalt. Wurden hier die Grenzen der Sensationsberichterstattung überschritten? Werden Menschen auf diesen Bildern zu Objekten herabgewürdigt?

Juli 2016: "Wurden sie in den Tod gelockt?" fragt eine Wochenzeitung in ihrer Printausgabe. Darunter ist eine Bilderreihe von jungen Münchnern. Auf der entsprechenden Onlineseite heißt es dazu "Das sind die Opfer des Münchner Amoklaufs" - Opfer und Täter sind auf Fotos klar zu erkennen. 

Exklusive Inhalte in  Extremsituationen

Gerade in Berichterstattungen über Katastrophen wie beim Münchner Amoklauf oder dem Terrorakt von Nizza häufen sich Spekulationen und Mutmaßungen. Der Aktualitätsdruck in den Medienhäusern ist groß.  So auch nach dem Absturz des Germanwings-Flugzeugs: Es geht ein Bild in Umlauf, dass den Piloten zeigen soll, der die Maschine am Berg zerschellen ließ. Zeitungen gehen damit in den Druck, Journalisten belagern das Haus seiner Freundin. Dann wird klar: Er war es nicht. Es hagelt Kritik: 430 Beschwerden werden beim Deutschen Presserat eingereicht.

Zwischen Berufsalltag und Sensationslust

Der Deutsche Presserat beschäftigt sich seit 60 Jahren mit der Berufsethik von Journalisten. Pläne des Bundesinnenministeriums unter Kanzler Konrad Adenauer sahen ursprünglich ein Bundespressegesetz vor. Es gab schnell Assoziationen zur Presselenkung der NS-Zeit und drohender Zensur. Fünf Zeitungsverleger und fünf Journalisten ergriffen daraufhin selbst die Initiative: Zur freiwilligen Selbstkontrolle gründeten sie am 20. November 1956 den Deutschen Presserat - nach dem Vorbild des britischen "Press Council" (heute: "Press Complaints Commission"). Nach 17 Jahren Beschwerdepraxis des Rats wird ein geltender Pressekodex entworfen. Es geht um Persönlichkeitsschutz, Trennung von Werbung und Redaktion oder den Schutz vor Diskriminierung. Er gilt lediglich für Print- und Online Medien, Telemedien und Rundfunk sind ausgenommen. Doch seit der Gründung des Presserats vor 60 Jahren hat sich die Medienwelt grundlegend verändert.

Horst Pöttker würde gerne die journalistische Berufsethik auf soziale Medien übertragenBild: Universität Dortmund

Wahrung der Persönlichkeitsrechte

Drei Beschwerdeausschüsse tagen viermal im Jahr. Die härteste Sanktion ist die öffentliche Rüge, sobald Verstöße gegen die Richtlinien des vereinbarten Pressekodex vorliegen. Wie im Fall des Münchner Amoklaufs. Der zuständige Ausschuss kritisierte: Beide Veröffentlichungen zeigten Fotos, "die ohne Einwilligung der Hinterbliebenen veröffentlicht worden waren. Einige Opfer waren minderjährig." Es sei ein schwerwiegender Verstoß gegen den Pressekodex, nach dem die Identität von Opfern besonders zu schützen ist. Die Hinterbliebenen der Verstorbenen sollten nicht unvermittelt mit Fotos ihrer toten Angehörigen konfrontiert werden, heißt es darin. "Nicht alles, was in sozialen Netzwerken verfügbar ist, darf auch ohne Einschränkung veröffentlicht werden", kritisieren die Ausschussmitglieder. "Die eigene Darstellung, z. B. in einem Facebook-Profil, bedeutet nicht zwingend eine Medienöffentlichkeit", sagte deren Vorsitzende Katrin Saft.

Und was ist mit dem Foto aus Nizza? Der Ausschuss urteilt da anders: "Es handelt sich zwar um schockierende Eindrücke, Menschen werden jedoch nicht zum Objekt herabgewürdigt oder Persönlichkeitsrechte verletzt."

Die Öffentlichkeit könnte Fehlverhalten abstrafen

Keine Zeitung oder News-Website kann zur Veröffentlichung der Rüge gezwungen werden. Kritiker bemängeln daher, dem Selbstkontrollorgan fehle der Biss. Aber wie macht man Berufsethik wirksamer? Der Deutsche Presserat müsse öffentlicher arbeiten, meint der Professor für Journalistik an der Universität Dortmund, Horst Pöttker, gegenüber der DW. So könnten Sanktionen aus der Öffentlichkeit kommen, indem Zeitungen zum Beispiel nicht mehr gekauft und Onlinemedien nicht angeklickt würden.

Öffentlicher Diskurs über journalistische Berufsethik

Auch in sozialen Medien wird immer intensiver über Journalismus und Ethik diskutiert. Dort kann jeder seine Meinung öffentlich machen. Auf den Plattformen Twitter und Facebook diskutieren nicht nur Leser, Hörer und Zuschauer, sondern auch Journalisten selbst über medienethische Fragen. Privatheit und Öffentlichkeit vermischen sich. Pöttker betont gegenüber der DW, wie wichtig eine Übertragung der professionellen Ethik auf soziale Netzwerke sei. "Es ist richtig und wichtig, dass sich der Presserat um diesen Bereich kümmert", denn der Staat drohe, eine rechtliche Kontrolle auf soziale Netzwerke auszuweiten. Genau aus diesem Grund sei damals der Deutsche Presserat gegründet worden.

Pressefreiheit unter Druck

HateSpeech in sozialen Medien, schwindende Absatzzahlen, Verlust der Glaubwürdigkeit: Medien stecken in einer Krise - nicht nur in Deutschland. Die Notwendigkeit, Transparenz zu schaffen und einen Ethikcode einzuführen wird immer wichtiger, meint Andrea Nüsse. Die Leiterin des Referats "Internationales Journalisten- und Mediendialogprogramm" bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit sagt: "Der Presserat ist ein interessantes Modell besonders für Länder, die sich in der Transformation von einem autoritären Regime in eine demokratische Gesellschaft befinden."  

Dort müssten sich Journalisten und Verleger nun selber organisieren und eigene Ethikcodes aufsetzen. Doch die Einsicht ist nicht immer da: Da die Journalisten einem enormen Druck ausgesetzt sind und waren - vom autoritären Staat, der Macht der Wirtschaft und einer konservativen Gesellschaft - "sind nicht alle Journalisten überzeugt, dass sie so ein Kontrollgremium brauchen", schildert Nüsse. Einige wollten kein neues Instrument der Beschränkung, sondern die totale Freiheit der Berichterstattung. "Die freiwillige Selbstkontrolle ist ein pädagogisches und nicht ein Strafinstrument. Strafen für Journalisten hat es in der Vergangenheit genug gegeben. In Dialogen machen wir deutlich, dass mehr Freiheit auch mehr Verantwortung bedeutet und die Einhaltung eines Ethikcodes keine Zensur ist, sondern im Gegenteil die Medien-Branche als Ganzes stärkt."

 

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