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Pressefreiheit: Neuer Negativ-Spitzenreiter

18. April 2019

In der Rangliste von "Reporter ohne Grenzen" für 2019 steht Turkmenistan ganz unten. Deutschland stagniert, Österreich rutscht ab. Doch es gibt auch rasante Aufsteiger, vor allem in Afrika und Asien.

Symbolbild Pressefreiheit
Bild: picture alliance/dpa/O. Berg

Christoph Dreyer (ROG): Hetze gegen Journalisten auch in Europa

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Nordkorea hat die rote Laterne abgegeben. Zum ersten Mal seit drei Jahren ist der Staat nicht mehr Schlusslicht auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen, denn ganz unten steht nun Turkmenistan.

An der Spitze der Rangliste steht wie im Vorjahr Norwegen, dahinter Finnland und Schweden. Die Niederlande sind aus der Top Drei herausgefallen - für Sylvie Ahrens-Urbanek von Reporter ohne Grenzen (ROG) ein Beleg dafür, dass es auch bei vermeintlichen Musterschülern gewisse Defizite gebe. "Dort mussten Journalisten unter Polizeischutz gestellt werden, weil sie über die organisierte Kriminalität berichtet hatten." Man müsse sehr aufpassen, dass sich dieser Negativtrend in den Ländern mit einer guten Pressefreiheit nicht weiter fortsetzt.

"Klima der Angst"

"Grundsätzlich hat sich einfach das Klima für Journalisten weltweit verschlechtert", sagt Sylvie Ahrens-Urbanek, die Leiterin des Kommunikationsteams bei ROG. "Wir reden jetzt von einem Klima der Angst." Besonders auffällig sei die zunehmende verbale Hetze gegen Journalisten - ein weltweites Phänomen, das allerdings in Europa und den USA besonders zugenommen habe.

Immer wieder bleibt es nicht bei Worten: ROG listet 22 tätliche Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten in Deutschland im vergangenen Jahr. "Wir erinnern uns noch an die Demonstrationen in Chemnitz zum Beispiel, da sind Journalisten massiv verbal angegriffen worden, aber eben auch physisch, indem ihnen beispielsweise die Kamera aus der Hand geschlagen wurde", sagt Ahrens-Urbanek. Im komplizierten Bewertungsverfahren, in das ein ausführlicher Fragebogen, aber auch Daten über derlei Angriffe einfließen, hat Deutschland erneut leicht schlechter abgeschnitten.

Ermordete Investigativ-Journalisten: Jan Kuciak aus der Slowakei und Daphne Caruana Galizia aus Malta

Deutschland steigt, weil andere fallen

Dass Deutschland in der neuen Rangliste dennoch zwei Plätze nach vorne gerutscht ist und nun auf Position 13 steht, liegt hauptsächlich am Abstieg anderer Länder. So ist Österreich um fünf Plätze auf den 16. Rang abgesackt. Dort sitzt mit der FPÖ eine rechtspopulistische Partei in der Regierung, die immer wieder Journalisten gängelt. So ging im von FPÖ-Mann Herbert Kickl geführten Innenministerium im September eine Weisung um, nach der die Kommunikation mit bestimmten regierungskritischen Medien auf ein Minimum zu beschränken sei. In Ungarn (-14, Rang 87) lässt sich Ähnliches beobachten. Als einziges EU-Land schnitt Bulgarien (+/- 0, Rang 111) noch schlechter ab.

Von Gefängnissen und Morden

In der EU ist der Abwärtstrend ansonsten bei Malta (-12, Rang 77) und der Slowakei (-8, Rang 35) sehr deutlich. In Malta kommt die Aufarbeitung des Mordes an der Journalistin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 kaum voran. Die Slowakei wurde im Februar 2018 Schauplatz eines Journalistenmordes, als der Reporter Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova ermordet wurden. Dort liegt den Ermittlern ein Mordgeständnis vor, drei weitere Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft, darunter ein einflussreicher Geschäftsmann, über dessen dubiose Praktiken Kuciak recherchiert hatte. "Aber es geht nicht richtig voran", beklagt Sylvie Ahrens-Urbanek von ROG. "So gesehen sind wir mit der Aufarbeitung nicht zufrieden."

Der zweite Journalistenmord, der im vergangenen Jahr große Aufmerksamkeit erregte, war der am saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi. Aus Furcht vor dem Regime, das er immer wieder kritisierte, lebe er im Ausland - als er in Istanbul doch einmal konsularische Dokumente abholen musste, wurde er in der saudischen Botschaft ermordet. Auch deshalb büßte Saudi-Arabien in der aktuellen Rangliste noch einmal drei Plätze ein und steht nun auf Rang 172.

Auch in der Türkei, die sich nach dem Khashoggi-Mord öffentlichkeitswirksam um Aufklärung bemühte, ist die Lage weiter schwierig. "Die Türkei ist das Land in dem nach wie vor die meisten Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen", sagt Ahrens-Urbanek. Das Land steht gleichbleibend auf Rang 157.

Die stärkste Verschlechterung (-33) verbuchte in diesem Jahr die Zentralafrikanische Republik. "Das Land ist seit dem Ende des Bürgerkriegs ein weitgehend rechtsfreier Raum", sagt Ahrens-Urbanek. "Es ist für einheimische Journalisten schwer, da zu arbeiten weil sie kaum Schutz genießen." Auch die Ermordung dreier russischer Journalisten sei negativ in die Rangliste eingeflossen - das Land steht nun auf Rang 145.

Sylvie Ahrens-Urbanek ist Leiterin der Kommunikationsabteilung von ROGBild: Reporter ohne Grenzen

Große Verbesserungen in kurzer Zeit

Das alles soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in einigen Ländern die Lage Pressefreiheit sehr positiv entwickelt hat. Der deutlichste Aufsteiger ist Äthiopien, dass sich um 40 Plätze auf Rang 110 verbessert hat. Dort regiert seit einem Jahr Ministerpräsident Abiy Ahmed, der das Land auf einen Reformkurs bringt. Er sorgte innerhalb kurzer Zeit dafür, dass alle inhaftierten Journalisten und Blogger freigelassen und blockierte Seiten wieder zugänglich gemacht wurden.

Im westafrikanischen Zwergstaat Gambia ist der Machtwechsel schon ein Jahr länger her - nach einem Aufstieg um 21 Plätze in der vorherigen Liste ist das Land weitere 30 Ränge nach oben geschnellt und belegt nun Rang 92. Unter Ministerpräsident Adama Barrow ist dort nach Einschätzung von Reporter ohne Grenzen ein plurales Mediensystem entstanden. "Wenn der politische Wille da ist, kann sich eine Situation ziemlich schnell verbessern", sagt Ahrens-Urbanek. "Das sehen wir auch bei den asiatischen Aufsteigern Malaysia und den Malediven, da ist der Hintergrund ganz ähnlich."

Allerdings, warnt Ahrens-Urbanek, führe ein Machtwechsel nicht automatisch zu Verbesserungen: "Tansania ist ein Negativbeispiel, dort hat der Präsident nach und nach den Spielraum für Journalisten immer weiter eingeschränkt." Das ostafrikanische Land fiel um 25 Ränge auf Position 118.