Presseschau zum Brinkhaus-Sieg
26. September 2018Die "Neue Zürcher Zeitung" schreibt:
"Später einmal, wenn Angela Merkel nicht mehr Kanzlerin ist, wird man sich an diesen 25. September 2018 erinnern: als Tag, an dem die Abgeordneten von CDU und CSU der Frau ihre Gefolgschaft aufgekündigt haben und einen von Merkels engsten Vertrauten fallen ließen. Wie viel Zeit zwischen diesem Datum und dem tatsächlichen Ende der Ära Merkel liegen wird, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Aber das Ende ist in Sicht. (...) Ihre oft als pragmatisch bezeichnete, in Wahrheit aber von der veröffentlichten Meinung mal hierhin, mal dorthin und zu oft nach links getriebene Politik hat eine Partei rechts von der CDU groß werden lassen, die sich anschickt, die politische Kultur des Landes nachhaltig zu beschädigen."
Der ebenfalls in der Schweiz herausgegebene "Tages-Anzeiger" bemerkt:
"Merkel hatte zuletzt selbst gespürt, wie heikel die Abstimmung werden könnte. Noch am Vortag hatte sie in einem für sie außergewöhnlichen Schritt Fehler beim Umgang mit Hans-Georg Maaßen zugegeben, dem umstrittenen Chef des Verfassungsschutzes, und eine künftig wieder bessere Arbeit der Koalition versprochen. Die Demutsgeste sollte auch bei den eigenen Abgeordneten den Ärger über das desaströse Bild besänftigen, das die von ihr geführte Regierung in den letzten Monaten abgegeben hatte. Am Ende nutzte es nichts. Der Autoritätsverlust von Merkel (und Seehofer) schreitet in immer
schnellerem Tempo voran. Im Oktober werden bei den Landtagswahlen in Bayern und in Hessen schwere Verluste für CSU und CDU erwartet. Im Dezember steht Merkels Wiederwahl als Vorsitzende der CDU an. Auf die traditionelle Disziplin ihrer Partei kann die Kanzlerin in der Spätphase ihrer Herrschaft offenkundig nicht mehr zählen."
Und "Die Presse" aus Wien konstatiert:
"Schon im Asylstreit, als CSU-Chef Seehofer vor der Sommerpause eine Koalitionskrise provozierte, rumorte es auch in der CDU. Jetzt reichte nicht einmal Merkels Eingeständnis, die Causa Maaßen falsch eingeschätzt zu haben, den Unmut zu übertünchen und einzudämmen. Darum manifestiert sich im Votum gegen Kauder - einem Bauernopfer des Systems Merkel - auch ein Misstrauensvotum gegen die Kanzlerin. Es ist ein Zeichen des Autoritätsverlusts und ein Warnsignal für Merkel, ihren Abgang vorzubereiten und rechtzeitig die Nachfolge zu bestellen."
In der niederländischen Zeitung "NRC Handelsblad" lesen wir:
"Mit dem Sturz von Kauder hat die Fraktion nicht nur gezeigt, dass sie sich unabhängiger von Merkel aufstellen will. Zugleich ließen die Abgeordneten erkennen, dass sie bereits in die Zukunft schauen wollen, in die Ära nach Merkel. Deren vierte Regierung ist ein halbes Jahr im Amt und versteht es immer noch nicht, den Eindruck von Selbstbewusstsein zu vermitteln. Nachdem die Koalition von CDU, CSU und SPD in einer äußerst schwierigen Regierungsbildung zustande kam, stand sie in den vergangenen drei Monaten bereits zwei Mal kurz vor dem Aus."
Nicht nur im Ausland wird die Wahl als Kontrollverlust der Kanzlerin angesehen, sondern auch in den deutschen Zeitungen. So heißt es in der "Stuttgarter Zeitung":
"Kauder ist nicht das eigentlich Ziel dieser Protestwahl. Die Bundeskanzlerin und der CSU-Chef hatten in der Sitzung vehement für die Wiederwahl Kauders plädiert. Dass die Mehrheit eine andere Entscheidung traf, macht deutlich: Abgestraft wurde Kauder, gemeint sind Angela Merkel und Horst Seehofer. Die Fraktion hat ihren Spitzen in der Regierung offen das Misstrauen ausgesprochen. Die Kanzlerschaft hat kein Fundament mehr."
Der "Wiesbadener Kurier" sieht das genauso:
"Volker Kauder hat für andere Prügel bezogen. Angela Merkel und Horst Seehofer hatten sich als Parteivorsitzende für den getreuen Vasallen ausgesprochen, der die Fraktion 13 Jahre lang niederhielt. Nun steckte er als Bauernopfer ein, was Merkel und Seehofer galt."
Die "Süddeutsche Zeitung" fordert, dass Merkel die Vertrauensfrage im Bundestag stellt:
"Brinkhaus' Sieg könnte eine schwer kalkulierbare Dynamik in Gang setzen. Merkel wird mit ihm nicht einfach weiter regieren können, als sei nichts geschehen, auch wenn sie vermutlich nun die Eigenständigkeit der Fraktion betonen wird. Aber diese Entscheidung war viel zu sehr auch eine Entscheidung gegen sie. (...) Merkel wird nicht zurücktreten. Aber sie muss überlegen, ob sie der Fraktion oder dem Bundestag insgesamt die Vertrauensfrage stellt. Seit diesem Dienstag kann die Kanzlerin sich des Rückhalts der eigenen Leute nicht mehr sicher sein. Das ist zu wenig, um kraftvoll zu regieren, wie sie es sich nur einen Tag zuvor selbst noch einmal vorgenommen hat."
Der Berliner "Tagesspiegel" geht nicht davon aus, dass Merkel rasch zurücktritt:
"Dass Merkel die Abwahl ihres Kandidaten an der Spitze der Fraktion zum Anlass nimmt, aus dem Amt zu scheiden: Das entspräche ihrem Charakter nicht. (...) Sie wird zu Ende bringen wollen, zumindest in Teilen, was ihr wichtig ist. "
Die "Frankfurter Rundschau" sieht in der Wahl von Ralph Brinkhaus auch einen Rechtsruck:
"In der Mehrheit für Brinkhaus dürften sich nicht nur jene wiederfinden, die das Land noch radikaler gegen Flüchtlinge abschotten, noch weniger europäische Solidarität, noch weniger Reformbereitschaft wollen. Auch ein Überdruss, der mit inhaltlichen Fragen wenig zu tun hat, drückt sich in diesem Ergebnis aus. Merkel weiß jetzt endgültig, dass sie eine Kanzlerin auf Abruf ist. Und vielleicht ist es schon zu spät, um darauf zu reagieren - nicht nur für sie. Vielleicht zeigt sich auch bald, was für ein großer Fehler es von SPD, Grünen und Linken war, dem Merkelismus keine mehrheitsfähige Alternative entgegenzusetzen. Wenn es schlecht läuft, geht mit der Ära Merkel auch die Chance auf diese Alternative verloren. Und der Weg nach rechts ist endgültig geebnet."