Merkel gegen Pax Russia
18. August 2008"Gazeta Wyborcza" aus Warschau
"Georgien wird ein Mitglied der NATO, wenn es will und eben das will Georgien. (...) Dies ist die stärkste Erklärung, die in dieser Frage ein Politiker der alten EU bislang abgegeben hat. Merkels Worte haben umso mehr Bedeutung, als sich bisher eben Deutschland und Frankreich dem NATO-Beitritt von Georgien und der Ukraine widersetzten, um die Russen nicht zu reizen. (...) Berlin setzt Moskau stark unter Druck, hat allerdings immer noch die Hoffnung, dass es gelingen würde, Kontakte auf hohem Stand zu erhalten. Deshalb bemüht sich Deutschland darum, Vergeltungsstimmungen in einigen EU-Länder zu bremsen. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier widersetzte sich in einem Interview für die "Welt am Sonntag" einer Einstellung der Verhandlungen über das Partnerschaftsabkommen EU-Russland."
"La Stampa" aus Turin
"Seit gestern ist die Entfernung zwischen Brüssel und Tiflis kleiner geworden. Um dieses geografische Wunder zu vollbringen, bedurfte es der Kanonenschüsse der Roten Armee und des Durchbruchs von Angela Merkel. Die deutsche Kanzlerin ist gestern nach Tiflis gereist, nachdem sie zuvor bereits (...) in Sotschi Dmitri Medwedew zurechtgewiesen hatte. Neben Michail Saakaschwili hat sie erklärt: "Georgien wird Mitglied der NATO." (...) Die Konsequenzen des Kriegs um Ossetien haben bereits die Berge des Kaukasus überschritten und zwingen die westlichen Politiker, sich in eine Reihe zu stellen, sich anzupassen, die Stimme zu heben und die Erwartungen zu senken."
"Der Standard" aus Wien
"Zwei Flugstunden von Wien entfernt lassen sich in diesen Tagen die Grundrisse einer neuen Friedensordnung betrachten. Am Ostrand Europas ist die Pax russa aufgetaucht. Der Diktatfrieden, den Moskau nun seiner früheren Sowjetrepublik Georgien aufdrückt, könnte ihr erster Teil sein. Pax russa war bisher ein Begriff, den vor Jahren allenfalls Kritiker von Russlands Vernichtungsfeldzug gegen die Tschetschenen und deren Rebellen verwendeten. Seit der Besetzung Georgiens vor mehr als einer Woche ist der russische Frieden aber eine Drohung für Europa und die USA geworden: allumfassend, Gaslieferungen ebenso infrage stellend wie demokratische Wahlen, Justizermittlungen wie im Fall des in London ermordeten Ex-Agenten Litwinenko oder das Recht auf souveräne außenpolitische Entscheidungen."
"El Periódico de Catalunya" aus Barcelona
"Russland hat bewiesen, dass es im Kaukasus-Konflikt Herr der Lage ist. Mit dem Abzug seiner Truppen aus Georgien lässt Moskau sich Zeit, bis es ihm genehm ist. Damit bestätigt sich der Eindruck, dass die Doktrin der Einflusszonen aus der Zeit des Kalten Kriegs wieder neu in Kraft tritt. Russland lässt keinen Zweifel daran, dass es in der Krise nach eigenem Gutdünken agiert. Der NATO übermittelt es damit die Botschaft: Russlands kaukasischer Hinterhof ist allein eine Angelegenheit Moskaus. Die Europäer wurden von Moskau als Vermittler akzeptiert, aber sie
spielten nur eine untergeordnete Rolle."
"La Croix" aus Paris
"Man kann sich vorstellen, dass die russischen Führer Dmitri Medwedew und Wladimir Putin zufrieden über all diese diplomatischen Bemühungen sind, Georgien wieder zur Ruhe zu bringen. Zum überwältigenden russischen Sieg über die georgischen Streitkräfte kommt die Gewissheit, den Schlüssel zu einer Lösung im Kaukasus zu besitzen und damit die Bemühungen der Staaten des Ostens um eine diplomatische Emanzipation zu verhöhnen. (...) Selbst wenn jetzt wirklich ein Waffenstillstand eintritt, der von einer internationalen Friedenstruppe garantiert wird, und selbst wenn die humanitäre Hilfe Ossetien erreichen kann, so bleiben doch die Demütigung der Niederlage und ein immer radikalerer Rückzug auf die ethnischen Identitäten. Demütigung und ethnischer Hass sind ein fruchtbarer Boden für den Krieg, in Europa wie anderswo. Das sollte Russland bei allem Stolz auf seine so spürbar wiedergewonnene internationale Autorität nicht vergessen."
"The Times" aus London
"Der Aufschub der NATO-Mitgliedschaft für Georgien und die Ukraine war richtig. Er erfolgte nicht aufgrund russischer Drohungen, sondern weil keines der beiden Länder die Mitgliedschaft bislang verdient hat. Beide müssen ihre demokratischen Reformen erst noch konsolidieren. Unterdessen muss die NATO Fehler in ihrer Operation in Afghanistan beheben. Die Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen, während man zugleich fanatische Aufständische bekämpft ist mit einer vielsprachigen Truppe mit Soldaten aus 40 Ländern sehr schwierig. In Brüssel muss die NATO sich am Dienstag nicht nur mit der aktuellen Krise im Kaukasus befassen, sondern auch mit der Notwendigkeit, ihre Kontroll- und Kommandostrukturen in Konfliktzonen effektiver zu gestalten. Nur dann können Garantien für die territoriale Integrität neuer Mitgliedsländer tatsächlich als Abschreckung vor Aggressionen wirken." (jbi)