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Pressestimmen: "Rhetorisch stark, inhaltlich halbherzig"

30. August 2018

Joachim Löw und Oliver Bierhoff präsentieren zwei Monate nach dem Vorrunden-Aus in Russland ihre WM-Analyse. Die Presse sieht die DFB-Verantwortlichen zwar auf dem richtigen Weg, zweifelt aber am echten Reformwillen.

Deutschland Präsentation der Analyse zur Fußball-WM | Joachim Löw und Oliver Bierhoff
Bild: picture-alliance/GES/M. Gilliar

DFB-Teammanager Oliver Bierhoff und Bundestrainer Joachim Löw haben mit der öffentlichen Analyse zum WM-Aus einen wichtigen Schritt bei der Aufarbeitung unternommen. Nun ist klar: Es gibt so etwas wie einen Neuanfang, der Spieler und Betreuer betrifft. Doch der von vielen erhoffte Impuls eines echten Umbruchs im DFB-Team blieb aus. Entsprechend kritisch fällt das Medienecho aus. Die Stimmen der Tages- und Fachpresse: 

Tagespresse

Süddeutsche Zeitung: Veränderungen müssen stattfinden und die größten Veränderungen muss Joachim Löw von Joachim Löw einfordern. Denn wenn der Bundestrainer die Analyse des Bundestrainers ernst nimmt, dann wird er feststellen, dass die Hauptfehler beim Bundestrainer lagen. Löw sagte: "Wir haben mit der falschen Taktik gespielt und die maximale Einsatzbereitschaft, die hatten wir auch nicht." Er sagte klipp und klar, dass er dafür verantwortlich ist, was weniger heroisch ist, als es sich liest, weil es auch schlicht nicht zu leugnen ist.

Bundestrainer Joachim LöwBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Die Welt: Zwar zeigte der Bundestrainer in der Tat dezidiert auf, was sportlich alles falsch gelaufen ist in Russland, er übte auch unerwartet drastische Selbstkritik. Aber als es an die Schlussfolgerungen ging, fehlte es ihm an der nötigen Handlungsstärke. Stattdessen präsentierte er kraftvoll klingende Phrasen, die jedes x-beliebige Motivationsseminar gefüllt hätten. Aber wenn fehlende Leidenschaft das größte Problem gewesen sein soll, dann hat die Mannschaft wirklich ein Problem. Löws Auftritt war rhetorisch stark, inhaltlich war er halbherzig. Das lässt für die nächsten Turniere eher nichts Gutes erwarten.

Spiegel Online: Fehlende Leidenschaft und ein unflexibles taktisches System - diese Defizite hatten die Medien schon wenige Tage nach dem WM-Ausscheiden als Ursachen ausgemacht. Dazu hätte es nicht unbedingt des zweimonatigen Schweigens bedurft. Vor allem, weil Löw und Bierhoff die weitergehenden Fragen, die Verwerfungen um Mesut Özil, die Entfremdung der Nationalmannschaft von ihren Anhängern, den überbordenden Kommerz-Wasserkopf um die Mannschaft nicht wirklich an sich heran ließen.

Stein des Anstoßes: Mesut Özil (l.) und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip ErdoganBild: picture-alliance/dpa/Presidential Press Service

Berliner Zeitung: Im Endeffekt ist es ein "Weiter so" mit ein paar kleinen Korrekturen. Ein "Weiter so", mit dem Löw sein eigenes Versprechen konterkariert, wonach es im Zuge der WM-Blamage doch radikale Veränderungen geben sollte. Ist er also tatsächlich der Richtige, um einen Neuanfang zu moderieren? Nach seinem Auftritt in der Münchner Arena gibt es dahingehend mehr Zweifel denn je.

Fachpresse & Fachportale

Kicker: Wie Joachim Löw bei den Spielern wieder Leidenschaft, Begeisterung und Teamgeist wecken will, ließ er im Unklaren. Dass er seinen Führungsstil grundlegend ändert, ist nicht zu erwarten. Löw setzt weiter auf Kommunikation und Vertrauen, nicht auf eine harte Linie und Kontrolle. Und auch der eher trotzig denn einsichtig wirkende Bierhoff ließ in der Frage, wie der zunehmenden Entfremdung zwischen Nationalmannschaft und Basis entgegengewirkt werden soll, keinen Kurswechsel erkennen. Es wäre angebracht, wenn Bierhoff und Löw künftig mehr auf eben diese Stimmungen und Stimmen achten. 

11 Freunde: Löw kämpfte sich durch mäßig attraktive Powerpoint-Folien, präsentierte in Stichworten Sachverhalte, die längst offensichtlich waren. Ein erstaunliches Eingeständnis war darunter, da der Bundestrainer es als seine größte Fehleinschätzung bezeichnete, gedacht zu haben, mit Ballbesitz-Fußball durch die Vorrunde zu kommen. Das sei fast schon "arrogant" gewesen. Ansonsten lieferte er wenig überraschende Erkenntnisse. 

DFB-Teammanager Oliver BierhoffBild: picture alliance/augenklick/GES/T. Eisenhuth

ESPN: Unter normalen Umständen müsste ein Teamchef, der eine falsche Taktik und fehlendes Feuer innerhalb der Mannschaft einräumt, seinen Posten räumen. Aber Joachim Löws öffentliches "mea culpa", bei dem er sich sichtlich unwohl fühlte, war der Preis, den der Weltmeister-Teamchef bezahlen musste, um weitermachen zu dürfen. Dass sich weder Bierhoff noch Löw mit den Aussagen Mesut Özils auseinandersetzten, kann nicht mit Ignoranz entschuldigt werden. Es ist der feige Weg, sich vor einer Debatte zu drücken, die in Anbetracht der EM-Bewerbung von Deutschland und der Türkei zur Unzeit kommt. 

David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion
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