1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Mittwoch, 20. Juni 2007

Martin Muno 20. Juni 2007

Die Mühen der Großen Koalition

Im Blickpunkt der Kommentatoren steht an diesem Mittwoch die Koalitionsrunde und ihre Entscheidungen zum Mindestlohn.

Dazu schreibt das BADISCHE TAGBLATT:

'Die Koalitionäre von Union und SPD haben einen gemeinsamen Nenner gefunden. Er kommt einer Niederlage für Müntefering und Co. gleich. Auch wenn diese nun von sich behaupten können, den Einstieg in ein Mindestlohnsystem geschafft zu haben. Für die CDU dagegen lässt er sich gut verkaufen: Die Politik hält sich aus dem Arbeitsmarkt weitgehend heraus und überlässt es den Arbeitgebern und Gewerkschaften, einen von ihnen ausgehandelten Mindestlohn für eine begrenzte Zahl von Branchen festzuschreiben.'

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf meint:

'Glaubt man der großen Koalition, hat sie eine besondere Regierungskunst entdeckt: Es muss etwas geschehen, aber es darf nichts passieren. Zu besichtigen ist das beim Mindestlohn: Damit etwas geschieht, sagt die SPD, wird ein Gesetzespaket angestoßen, um Mindestlöhne einzuziehen. Es passiert schon nichts, versucht die Union umgehend zu beruhigen, da seien so viele Widerhaken, Winkelzüge und Fristen eingebaut, dass kein Schaden zu befürchten sei. Demnach steht also ein Gesetz über die Einführung von Mindestlöhnen ins Haus, das so formuliert ist, dass es keine Mindestlöhne geben wird. So etwas nennt man Dialektik.'

In der STUTTGARTER ZEITUNG heißt es:

'In der Kernfrage sind Union und SPD gespalten. Einen gesetzlichen Mindestlohn will die Bundeskanzlerin nicht beschließen. Dass sie dem Drängen der SPD widersteht, ist richtig. Deutschland ist mit der Tarifautonomie gut gefahren. Es fällt zwar auf, dass in den vergangenen Jahren die Löhne in vielen Bereichen auf breiter Front sinken die Telekom ist dafür ein aktuelles Beispiel. Die Erwartung, der Staat könne den Menschen zu mehr Lohn verhelfen, ist jedoch eine Illusion. Dafür ist nicht die Politik, sondern sind die Tarifpartner zuständig.'

Da ist der Berliner TAGESSPIEGEL anderer Meinung:

'Die wichtigste Botschaft des Mindestlohn-Kompromisses könnte und müsste lauten: Ja, es gibt im Reformprozess eine Grenze nach unten und die Regierung strengt sich dafür an. Das ist das überfällige Versprechen der Politik nach den rot-grünen Hartz- und Agenda- Gesetzen, nach Rente mit 67 und Gesundheitsreform.'

Zum Schluss noch einen Blick in die FRANKFURTER RUNDSCHAU:

'Nach den Verabredungen zu Mindestlohn und Pflege ist der Koalitionsvertrag weitgehend abgearbeitet. Viel mehr ist nicht in Sicht. ... Aber für zwei Jahre des Belauerns und Dauerwahlkämpfens ist die Zeit zu schade. Gerade jetzt, da die Wirtschaftslage wieder mehr Kreativität ermöglicht. Also: Mut zur Idee oder abtreten.'

In dere FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG stoßen die Beschlüsse der Koalition auf Kritik:

'Vor die Wahl gestellt, die Koalition handlungsunfähig erscheinen oder das Bündnis platzen zu lassen, entschieden sich die Koalitionäre für den schon vertrauten dritten Weg: Sie einigten sich auf komplexe 'Lösungen' mit zweifelhaftem Nutzen, die es jeder Seite erlauben, sie an jenem Tag dem eigenen Kurs anzupassen, an dem dafür die passende Mehrheit zur Verfügung steht. So war es schon bei der Gesundheitsreform, und so wird es noch in anderen Fällen sein.'

Daraus ergibt sich für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG folgende Forderung:

'Beide Seiten mussten endgültig erkennen, dass sie ihre Überzeugungen in grundlegenden wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Fragen mit dem jeweils anderen nie werden durchsetzen können. Immerhin werden damit wieder Unterschiede zwischen den Volksparteien sichtbar, die den Bürgern bei der nächsten Wahl eine Wahl überhaupt erst ermöglichen.'

Die LANDESZEITUNG LÜNEBURG konstatiert:

'Von diesem Bündnis ist offenbar nicht mehr viel zu erwarten, obwohl der nächste Wahltag erst 2009 anberaumt ist. Schon ein Blick in die missmutigen Gesichter nach der langen Verhandlungsnacht im Kanzleramt zeigte, dass sich die Spitzen von Union und SPD allzu viel nicht mehr zu sagen haben - und wenn doch, dann eher keine Freundlichkeiten.'

Auf die Stimmung zwischen den Koalitionären gehen auch die KIELER NACHRICHTEN ein:

'Franz Münteferings Empörung und Zorn darüber, dass die Union den gesetzlichen Mindestlohn verhindert hat, bedeutet eine neue Dimension der Auseinandersetzung. Zwischen Union und SPD hat es zwar schon seit Beginn der Koalition geknirscht. Doch beschränkte sich der Zoff bisher weitgehend auf die Fraktionen. Nun hat er das Kabinett erreicht. Angela Merkel ließ Müntefering eiskalt auflaufen. Das Vertrauen zwischen Kanzlerin und Vize scheint aufgebraucht zu sein. Es fällt schwer sich vorzustellen, wie die Regierung unter diesen Umständen noch gut zwei Jahre halten soll.'

Die ABENDZEITUNG aus München bilanziert:

'Eines ist neu im großkoalitionären Ensemble: Dessen Hauptdarsteller schaffen es mittlerweile nicht einmal mehr, die schweren ideologischen Gräben zwischen beiden Lagern mit rhetorischem Zuckerguss provisorisch zuzuschütten. Was Kurt Beck, Edmund Stoiber und Volker Kauder nachts um Drei augenrollend und mit Grabesstimme vor dem Kanzleramt aufführten, erinnerte fatal an die Tragik des bürgerlichen Trauerspiels.'

Die BERLINER ZEITUNG sieht jedoch auch positive Seiten an dem Streit:

'Vize-Kanzler Müntefering und Parteichef Kurt Beck wissen natürlich, wie nützlich der grundlegende Dissens in der Frage nach dem Mindestlohn noch sein wird. Das Gute an ihm ist ja, dass man ihn über Jahre hinweg kultivieren kann. Mit ihm lassen sich sämtliche anstehenden Wahlkämpfe bestreiten, zunächst auf Länderebene und spätestens 2009 auch im Bund.'