Leicht wird es der neue US-Präsident nicht haben. Da ist sich die internationale Presse nach dem Wahlsieg Joe Bidens einig. Die große Frage: Wird es ihm gelingen, das Land wieder zu einen?
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Tränen steigen dem CNN-Kommentator Van Jones in die Augen, als er kurz nach dem Wahlsieg Joe Bidens nach seiner Einschätzung gefragt wird. "Es ist einfacher, heute Morgen ein Elternteil zu sein", sagt Jones mit brüchiger Stimme. "Es ist einfacher, seinen Kindern zu sagen, dass es auf den Charakter ankommt."
Die Nachricht von Bidens Sieg sei eine Genugtuung für viele Menschen, die gelitten hätten, so der afroamerikanische TV-Kommentator. "Das ist eine große Sache für uns, nur um etwas Frieden finden zu können und die Chance auf einen Neustart zu haben."Ebenso wie Regierungschefs aus aller Welt reagiert auch die internationale Presse auf den Ausgang der US-Wahl überwiegend mit Erleichterung. "Die Katastrophe wurde abgewendet. Lasst uns alle auf- und tief durchatmen", schreibt die Londoner Zeitung "The Guardian". "Eine gute Wahl für Amerika und die Welt", jubelt "Die Presse" in Österreichs Hauptstadt Wien.
Trumps Niederlage "stoppt die Blutung"
Doch die knappe Wahl hat gezeigt: Die USA sind gespalten. Mehr als 70 Millionen Amerikaner haben für eine zweite Amtszeit von Donald Trump gestimmt. "Diese Menschen werden nicht verschwinden, auch nicht mit salbungsvollen Aufrufen an Einheit und Harmonie", meint der Züricher "Tages-Anzeiger." Und doch: "Eine zweite Amtszeit Trumps hätte Amerika an einen finsteren Punkt geführt. Sie hätte die Wunden vertieft und neue geschlagen. Mit Trumps Abwahl ist zumindest die Blutung gestoppt."
Besonders eine Frage dominiert das internationale Presseecho: Wird es Joe Biden und der künftigen Vizepräsidentin Kamala Harris gelingen, das tief gespaltene Land wieder zu einen, so wie es sich Biden in seiner Siegesrede zum Ziel gesetzt hat? Leicht wird diese Aufgabe nicht. "Die Demokraten besetzen das Weiße Haus und das Repräsentantenhaus, die Republikaner dominieren den Senat und in gewisser Weise auch den Obersten Gerichtshof", schreibt dazu die belgische Zeitung "De Standaard" und fürchtet: "Diese Gegensätze könnten zu einer neuen Pattsituation führen."
Zusätzlich zu den zersplitterten politischen Machtverhältnissen kommen noch die kleinen und großen Scherbenhaufen, die Bidens Vorgänger Donald Trump hinterlässt. "Am Ende von vier Jahren eines verheerenden Mandats, ein paar Monaten eines erniedrigenden Feldzugs und Tagen oder Wochen eines entsetzlichen rechtlich-politischen Guerillakriegs wird der Demokrat am Ende in das von seinem Vorgänger verlassene Trümmerfeld vorstoßen, mit der gewaltigen Aufgabe, alles oder fast alles wieder aufzubauen", kommentiert die französische Zeitung "Le Monde" aus Paris.
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Auf Joe Biden wartet ein Trümmerfeld
Um Herr über das "Trümmerfeld" seines Vorgängers zu werden, müsse Joe Biden "zunächst einmal ruhig bleiben", so "Le Monde". Und weiter: "Dies ist nicht die am weitesten verbreitete Fähigkeit unserer Zeit, aber Joe Biden ist weit davon entfernt, diese nicht zu haben, wie er in diesen Tagen der großen Spannung über die jüngsten Ergebnisse zeigt."
Die belgische Zeitung "De Tijd" ist da anderer Meinung. Sie argumentiert, Joe Biden habe wenig Zeit, um etwas zu erreichen. "Die Republikaner rücken bereits im Repräsentantenhaus vor. In zwei Jahren gibt es wieder Wahlen. Die Frage ist, ob die Demokraten dann die Kontrolle behalten werden."
Die konservative britische Zeitung "The Telegraph" kommentiert, um das Land zu einen, müsse Biden eine Politik der Mitte verfolgen. "Historiker werden wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass Joe Biden zu einem großen Teil gewonnen hat, weil er nicht Donald Trump war. Und hoffentlich wird er aus der Bandbreite seiner Koalition, zu der auch unzufriedene Republikaner gehören, schließen, dass er nun von der Mitte aus regieren muss."
Medien: Trump wird sich an sein Amt klammern
Bis es soweit ist, regiert allerdings noch Donald Trump gut zwei Monate lang das Land. Medien bezweifeln, dass er bei seinem Auszug kooperativ sein wird. "In dem Fall wäre es die Aufgabe des Secret Service, der den Präsidenten noch bis zum 20. Januar beschützen muss, ihn aus dem Weißen Haus zu entfernen", so die niederländische Zeitung "De Telegraaf” aus Amsterdam.
Auch die Pariser "Le Monde" vermutet, Donald Trump werde wahrscheinlich bis zum letzten Tag seiner Präsidentschaft weitermachen und sich dann "wie ein schwarzes Loch des Egozentrismus verhalten, das lieber die Demokratie, das ganze Land und den Planeten verschlingt, anstatt eine Niederlage oder einen Fehler zuzugeben".
So kommentieren Karikaturisten das US-Wahlergebnis
Amerika hat gewählt. Der nächste Präsident heißt Joe Biden. Karikaturisten aus aller Welt haben sich so ihre Gedanken über die US-Wahl gemacht.
Good morning, America
Endlich ein Wahlergebnis? Uncle Sam und Miss Liberty können es kaum glauben. Schließlich sind die Wahllokale seit Tagen geschlossen und seitdem brannten die Amerikaner - gemeinsam mit dem Rest der Welt - darauf zu erfahren, wer zukünftig im Weißen Haus residieren wird. Ob der Spuk jetzt endlich vorbei ist? Kann man unbehelligt auf die Straße gehen? Uncle Sam ist sich da noch nicht ganz sicher...
Kopf-An-Kopf-Rennen
"Biden führt" hieß es aus Georgia, "Trump hat die Nase vorn" aus North Carolina. Täglich änderte sich das Bild. Und während Donald Trump wütete und über Wahlbetrug wetterte, hielt sich Joe Biden vornehm zurück und verkündete - schon ganz präsidial -, er wolle das gespaltene Land wieder einen. Vor lauter Wahlkampf rund um die Uhr geriet ein dritter Protagonist ganz aus dem Fokus: das Coronavirus.
Bild: 2020 Rabe/toonpool.com
Der Marionettenspieler
Schon am Wahlabend, lange bevor die Auszählung abgeschlossen war, erklärte sich Trump zum Sieger. Der Amtsinhaber wurde nicht müde zu betonen, dass "sie" versuchen, die Wahl zu stehlen - und brachte für den Fall einer Niederlage schon im Vorfeld ein Heer von Anwälten in Stellung.
Explosive Stimmung
"Sie" - das sind auch die Briefwähler aus dem demokratischen Lager, deren Stimmen aus Trumps Sicht definitiv illegal sind. "Wenn die legalen Stimmen gezählt werden", fabulierte der Noch-Amtsinhaber, "gewinne ich locker". Und wenn das alles nichts nutzt, so regt der Brasilianer Amorim in seinem Cartoon an, kann man ja auf ganz eigene Trumpsche Weise dem Sieg nachhelfen.
Miss Liberty macht nur Ärger
In diesen Tagen hat es Miss Liberty nicht leicht... Mittlerweile haben Trumps Anwälte in den Bundesstaaten, in denen er knapp verloren hat, Klagen gegen das "Fake News"-Wahlergebnis eingereicht. Bis zum Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof, will Trump gehen. Von führenden Republikanern fühlt er sich im Stich gelassen, weil sie ihm bei seinen Verschwörungstheorien nicht beistehen.
Gut, dass es die "Proud Boys" gibt
Wenn schon auf die eigenen Parteigenossen kein Verlass ist, dann zumindest auf die treuen Anhänger. Schon lange hatte Trump sie darauf eingeschworen, dass Briefwahl nicht sicher sei. Und so protestierten Hunderte vor den Wahllokalen: "Stoppt die Auszählung, stoppt den Diebstahl!" Einige versuchten sogar, gewaltsam einzudringen. Für Trump war der Aufruhr ein Zeichen "von Liebe und Zuneigung".
Afghanistan lässt grüßen
Den Zeichner Shahid Atiq erinnert das Gebaren Trumps an die Verhältnisse in seiner afghanischen Heimat. Die Mächtigen haben das Sagen, dem Volk wird keine Luft zum Atmen gelassen. Der zu Boden gedrückten Freiheiststatue ergeht es wie dem Afroamerikaner George Floyd, der von einem Polizisten getötet wurde. Das Bild der USA als eine der ältesten Demokratien weltweit bekommt Risse.
Politisch tot - diesmal endgültig
Da kann Trump seinen angeblichen Sieg noch so oft herausposaunen, wie er will - niemand glaubt ihm mehr und der politische Sensenmann holt ihn ab. Bei der Zeichnung von Arcadio Esquivel aus Costa Rica kann man fast Mitleid mit dem scheidenden Präsidenten bekommen, der sich wie ein trotziges Kind aufführt.
"Great again" mit Joe
Und das ist er, der neue Präsident, 77 Jahre jung und der Hoffnungsträger der Demokraten. Der Karikaturist Karsten allerdings hat Bedenken, ob Joe Biden nicht vor allem die Pharmaindustrie wieder "great again" macht, weil er zahlreiche Medikamente gegen Altersdemenz schlucken muss. Hatte nicht schon Trump seinen Rivalen verächtlich mit "Sleepy Joe" tituliert?
Da hakt was ganz gewaltig
In der Ära Trump haben sich die Fronten zwischen blauen Demokraten und roten Republikanern verhärtet. Ein tiefer Riss geht durchs Land und hat sogar Familien entzweit. Ob es Joe Biden gelingen wird, die Einheit Amerikas wieder herzustellen, fragt sich nicht nur der der Cartoonist Mirco Tomicek. Zumal der jetzige Amtsinhaber angekündigt hat, das Weiße Haus nicht freiwillig zu räumen...
Bild: Mirko Tomicek/toonpool.com
Oberbefehlshaber bis zuletzt
Und da ist er schon: Schließlich verlässt ein Kapitän nie das sinkende Schiff und ein Donald Trump nicht kampflos das Weiße Haus. Es gilt, den Amtssitz gegen die Demokraten zu verteidigen, die ihm die Wahl angeblich gestohlen haben. Trumps Amtszeit läuft noch bis zum 20. Januar. Aber irgendwann ist Schluss...
Trennungsschmerz
Dann geht die Ära Trump in die Annalen der Geschichte ein. Aber niemals geht man so ganz: Der Cartoonist Pierre hat die Spuren festgehalten, die der ehemalige Präsident im Weißen Haus hinterlassen hat. Da ist es jemandem offenbar sehr schwer gefallen, sich für immer zu verabschieden...