Pro-Palästina-Aktivisten droht Ausweisung aus Deutschland
6. April 2025
Laut Angaben der Polizei sollen die vier Betroffenen unter anderem an der versuchten Besetzung der Freien Universität Berlin (FU Berlin) beteiligt gewesen sein. Deshalb wollen die Berliner Behörden zwei irische und einen polnischen EU-Bürger sowie einen US-Staatsangehörigen aus Deutschland ausweisen. Zuerst hatte das Nachrichtenportal "The Intercept" über den Fall berichtet.
Alle vier erhielten Mitte März Bescheide vom Berliner Landesamt für Einwanderung, die ihren Aufenthalt in Deutschland beenden. Das bestätigte die zuständige Berliner Senatsverwaltung für Inneres der Deutschen Welle. Die Bescheide stünden "im Zusammenhang mit den Vorfällen an der Freien Universität Berlin vom 17.10.2024".
An diesem Tag sei eine gewaltbereite und vermummte Personengruppe in ein Gebäude der Universität eingedrungen. "In der Folge kam es zu signifikanten Sachbeschädigungen innerhalb des Gebäudes, auch durch Graffiti mit Bezug zum 'Israel-Palästina-Komplex' sowie zu weiteren Straftaten", so die Darstellung der Berliner Senatsverwaltung.
Auf Fotos auf X, die die FU-Gebäude nach der versuchten Besetzung zeigen sollen, sieht man beispielsweise Schriftzüge wie "From the river to the sea, Palestine will be free" oder "Free Gaza". Außerdem sind rote Dreiecke an die Wände gesprüht. Die palästinensische Terrororganisation Hamas nutzt das nach unten gerichtete rote Dreieck in ihren Propagandavideos, um Ziele zu markieren. Das Bundesinnenministerium stuft es als verbotenes Kennzeichen ein.
Um die drei betroffenen EU-Bürger auszuweisen, wurde ihnen das EU-Recht auf Freizügigkeit - also der ungestörten Bewegungsfreiheit innerhalb der EU und damit auch in Deutschland - aberkannt. Das bestätigte der Anwalt von zwei der Betroffenen, Alexander Gorski, der DW. "Diese Anordnungen wurden erlassen, weil gegen unsere Klienten mehrere Strafanzeigen vorliegen. Es gibt jedoch keine strafrechtlichen Verurteilungen", betonte Gorski. Zum Vorfall an der FU habe er bisher noch nicht einmal die Strafakten erhalten.
Bereits seit Monaten Uneinigkeit über Proteste
Die vier Betroffenen sollen auch an weiteren pro-palästinensischen Kundgebungen teilgenommen haben. Seit Beginn des Israel-Gaza-Krieges nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 kommt es weltweit immer wieder zu Protesten; auch in Deutschland. Viele der Demonstrierenden wollen ihren Protest gegen das Vorgehen des israelischen Militärs zum Ausdruck bringen und auf das Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen aufmerksam machen.
Dabei kritisieren sie, dass sie gerade in Deutschland unverhältnismäßig hart behandelt würden und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten werde. Die Aktivistin und Schriftstellerin Yasmeen Daher beispielsweise beklagt in einem Interview mit der "tageszeitung", viele Medien hätten pauschal die Demonstrierenden als Antisemiten dargestellt.
Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert das Vorgehen der deutschen Behörden. Dass die Parole "From the river to the sea" und auch das rote Dreieck verboten seien und strafrechtliche Konsequenzen hätten, gehe zu weit. Beides seien Symbole, die Solidarität mit den Palästinensern ausdrückten und nicht unmittelbar in Verbindung mit der Hamas stünden, so Amnesty. Die Politik versteht die Parole "From the river to the sea" als Vernichtungswille gegenüber Israel, während Gerichte mehrfach entschieden hätten, dass es sich dabei auch um eine friedliche Solidaritätsbekundung mit dem Wunsch nach gleichen Rechten für alle in der Region handeln könne, so die Argumentation der Menschenrechtsorganisation.
Die Behörden rechtfertigen ihr Vorgehen häufig damit, dass sie den sogenannten modernen "israelbezogenen Antisemitismus" eindämmen wollten. Berlins Innensenatorin, SPD-Politikerin Iris Spranger, etwa spricht von der "Gefahr einer weiteren Radikalisierung" einer kleinen, gewaltbereiten Gruppe unter pro-palästinensischen Aktivisten.
Freie Universität spricht von einem "gewaltsamen Angriff"
Die FU Berlin bezeichnet die versuchte Besetzung am 17.10.als "gewaltsamen Angriff". Der Vorfall hatte weit über die Stadtgrenzen Berlins hinaus Aufsehen erregt. In einer öffentlichen Stellungnahme der FU heißt es: "Die Personen sind äußerst brutal aufgetreten und haben Mitarbeitende körperlich angegriffen und verbal bedroht."
Die Polizei beendete die versuchte Besetzung und nahm vier Personen fest. Sie erhielten Strafanzeigen unter anderem wegen Landfriedensbruchs. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) verurteilte den Vorfall scharf: "Die Stürmung der Freien Universität durch sogenannte pro-palästinensische Aktivisten zeigt einmal mehr, dass sie nicht an einem Dialog interessiert sind, sondern nur das kennen: Sachbeschädigung, Gewalt und Hass."
Der Allgemeine Studierendenausschuss der FU Berlin hatte kurz nach dem Vorfall eine eigene Schilderung veröffentlicht und beklagte darin mangelnde Dialogbereitschaft der Polizei und ein zu hartes Vorgehen. Woran die vier Betroffenen, die nun ausgewiesen werden sollen, an diesem Tag konkret beteiligt waren, ist gerichtlich bislang nicht bewiesen. In einem Fall gab es sogar bereits einen Freispruch. Dem Angeklagten war vorgeworfen worden, er habe einen Polizisten als "Faschist" beschimpft. Beamtenbeleidigung ist in Deutschland eine Straftat.
Wann können EU-Bürger ausgewiesen werden?
Warum könnten die drei EU-Bürger dennoch ausgewiesen werden? Seinen Mandanten, so Anwalt Gorski, werde vorgeworfen, "die Hamas mittelbar zu unterstützen und Antisemitismus zu verbreiten". "The Intercept" berichtet, dass dafür bislang allerdings konkrete Beweise fehlten. Stattdessen beziehe sich die Abschiebeanordnung offenbar in einem einmaligen Vorgang auf die sogenannte "deutsche Staatsräson". Die wird von Politikern in Deutschland formuliert, um auszudrücken, dass Israels Sicherheit und Existenz zu den elementaren Aufgaben des deutschen Staates gehörten. Legal verbindlich oder gar in der Verfassung verankert, ist der Grundsatz aber nicht.
Alle vier Betroffenen klagen vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen die angeordneten Ausweisungen, für die der Stichtag der 21. April ist. Derzeit halten sie sich weiter in Berlin auf.
EU-Freizügigkeit als hohes Rechtsgut
In der Europäischen Union gilt, dass sich jeder Bürger in einem anderen Land niederlassen darf. Durch diese Personenfreizügigkeit genießen EU-Bürger einen besonderen Schutz. Diese Freizügigkeit stößt an Grenzen, wenn eine "hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" im Gastland vorliegt. Entscheidend ist dabei das individuelle Verhalten des EU-Bürgers.
Nach EU-Recht sind die Hürden für eine Ausweisung also hoch. Das spiegele sich auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wider. Dieser lege die Gründe für eine Beendigung des Aufenthalts recht eng aus, betont Matthias Goldmann, Professor für internationales Recht an der EBS Universität in Wiesbaden, im DW-Podcast "Inside Europe". Besonders dann, wenn es um die Gefährdung der öffentlichen Ordnung gehe. "Voraussetzung dafür ist eine Verurteilung wegen einer Straftat. Eine einfache Verurteilung reicht nicht aus." Die Betroffenen sind laut ihrem Anwalt bisher aber nicht verurteilt worden.
Sind die Ausweisungen verhältnismäßig?
Innerhalb der Berliner Behörden gab es offenbar Meinungsverschiedenheiten über die Ausweisung. Darüber berichtet die Berliner Tageszeitung "Tagesspiegel". Demnach sollen leitende Mitarbeiter des zuständigen Landesamts für Einwanderung Bedenken geäußert haben: Für den Entzug der EU-Freizügigkeit reichten die Vorwürfe nicht aus.
Das sieht auch Anwalt Gorski so. Er hält die Ausweisungen "für ein grob gesetzeswidriges Verhalten" und glaubt nicht, dass sie vor Gericht Bestand haben werden. Seiner Meinung nach wird das Einwanderungsrecht in diesem Fall "als Instrument der Unterdrückung sozialer Bewegungen und insbesondere der pro-palästinensischen Bewegung eingesetzt".
Gorski zieht auch Parallelen zu den USA. Dort werden derzeit ausländischen Studierenden die Visa entzogen, die an pro-palästinensischen Aktionen beteiligt sein sollen. Besonders der Fall einer Doktorandin erregte viel Aufsehen. Sie soll wegen eines Beitrags in einer Studentenzeitung in der Nähe von Boston festgenommen worden sein.
"Kampf gegen bestimmte politische Meinungen"
Auch Rechtswissenschaftler Matthias Goldmann stellt die Ausweisungen in einen größeren Zusammenhang und übt Kritik an der Berliner Landesregierung: "Diese Regierung ist definitiv die problematischste in Deutschland, wenn es um den Kampf gegen die Solidarität mit Palästina geht. Das sieht man ja schon an der Zahl der Verhaftungen, der Verbote von Demonstrationen." Seiner Auffassung nach geht es dabei auch "um den Kampf gegen bestimmte politische Meinungen" im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg und dem Nahost-Konflikt. Der Vorwurf des Antisemitismus werde hier als Vorwand genutzt, um rechtsstaatliche Schutzmechanismen abzubauen.