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Folter-Skandal

Interview: Ruth Wittwer, Washington28. April 2014

Er hat den Folterskandal in Abu Ghraib ans Licht gebracht. Der US-Investigativjournalist Seymour Hersh macht sich 10 Jahre nach seinen Enthüllungen nichts vor: Die USA hätten ihre Lektion daraus nicht gelernt.

Seymour Hersch
Bild: picture-alliance/AP Photo

Seine Stimme zittert zuweilen ein wenig, er lacht manchmal auf, um das zu überspielen. Seymour Hersh ist immer noch tief betroffen über die Misshandlungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib, die vor 10 Jahren auf Fotos zu sehen waren: Irakische Gefangene, nackt, sexuell erniedrigt, gefoltert und an einer Hundeleine vorgeführt. Daneben amerikanische Soldaten, die sich darüber amüsierten. Der preisgekrönte Journalist spricht nicht mehr gerne über Abu Ghraib, für die Deutsche Welle mache er aber eine Ausnahme, sagte er. Er hatte als Erster ausführlich beschrieben, was im Gefängnis von Abu Ghraib im Irak passiert war. Hersh zitierte aus dem Taguba-Bericht, eine geheime, interne Untersuchung der US-Armee über Misshandlungen an mehreren Häftlingen. Der Bericht ist nach Generalmajor Antonio Taguba benannt, der die Untersuchung leitete.

DW: Waren Sie überrascht über den Folter-Skandal?

Seymour Hersh: Nein, denn das war alles ja eigentlich nicht neu. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie "Amnesty International" oder "Human Rights Watch" hatten seit Monaten auf die katastrophalen Zustände in den Gefängnissen im Irak hingewiesen. Diese Berichte wurden von den Medien weitgehend ignoriert. Warum? Weil Medien Beweise brauchen, Fotos, Dokumente, und die waren nicht vorhanden.

Wie gelang es Ihnen, an Beweise heranzukommen?

Ich konnte eine Kopie des Taguba-Berichts bekommen. Generalmajor Taguba ist ein sehr ehrbahrer, wundervoller Mann, dessen Karriere danach zu Ende war. Dabei hatte er die Wahrheit über Abu Ghraib herausgefunden.

Sie befassen sich seit Jahrzehnten mit Kriegsverbrechen. Hat die US-Armee, die Regierung, etwas gelernt aus Abu Ghraib? Wurden Verbesserungen vorgenommen, ist die politische Aufsicht verstärkt worden zum Beispiel?

Es geht gar nicht um Verbesserungen. Wir alle wissen, dass in Kriegen schreckliche Dinge passieren. Das Gerede darüber ändert nichts an der Realität. Hinter uns liegen Tausende von Jahren mit brutalen Kriegen. Der einzige Weg, Misshandlungen und Kriegsverbrechen zu stoppen, ist, dass die Kriege aufhören. Aber es sieht ja nicht gerade danach aus, als ob dies passieren würde.

Sie meinen, die USA haben wirklich nichts gelernt aus Abu Ghraib?

Nein, das sage ich nicht, ich sage nur, dass das ganze Kriegskonzept zu solchen Misshandlungen führt. Ich war auch in der Armee, du kämpfst nicht für dein Land, du kämpfst für deinen Kumpel. Wenn er verletzt oder getötet wird, willst du ihn rächen. Es geht um Liebe und Krieg. Und da sind dir alle Regeln und Vorschriften egal, du rächst dich an dem, den du kriegen kannst. Das ist die Natur des Krieges. Punkt.

Also könnte Abu Ghraib heute wieder passieren?

Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Aber sicher ist das möglich, Vorgänge wie in Abu Ghraib kommen in allen Kriegen vor. Nicht die Nacktheit, die sexuellen Erniedrigungen, die schienen ziemlich ungewöhnlich zu sein. Aber Misshandlungen passieren ständig, es gibt viele Kriegsverbrechen. Das trainiert man im Krieg, man lernt, seinen Gegner nicht mehr als menschliches Wesen zu betrachten.

Auch unter Präsident Barack Obama sehen Sie keine Veränderung?

Er ist zwar viel klüger und besser informiert als Präsident George W. Bush, aber die Aussenpolitik ist dieselbe. Amerika wäre heute viel besser dran, wenn es vor 30 Jahren die Russen den Krieg in Afghanistan hätte weiterführen lassen. Der Fehler passierte am Ende der Carter-Ära [1976-1980, Anm. d. Red.], als die USA die Invasion der Russen in Afghanistan stoppten. Obama führt den Krieg gegen den Terror weiter. Ich verstehe nicht, warum Amerika weiterhin hinterrücks Menschen töten lässt durch Drohnen, wenn man doch weiss, dass die USA sich damit nur noch mehr Feinde schaffen.

Nach dem Folterskandal in Abu Ghraib vor 10 Jahren wurden die USA massiv angegriffen und geschmäht. Interessieren sich die Amerikanerinnen und Amerikaner heute noch für dieses einschneidende Ereignis?

Das ist vorbei. Gerade die jungen Menschen wissen ja kaum über den Irakkrieg Bescheid und dessen Ende ist erst ein paar Jahre her. Natürlich, es wird ein paar Berichte geben zu Abu Ghraib, aber in punkto 'Lehren daraus gezogen' ist zu sagen: Wenig gelernt.

Viel Aufsehen erregt hat hingegen der über 6000-seitige CIA-Folterbericht, den Präsident Obama demnächst veröffentlichen soll. Aus dem noch geheimen Bericht wurde bekannt, dass die Armee illegale Verhör- und Foltermethoden anwendet. Wird diese Publikation etwas verändern?

Das bezweifle ich ernsthaft. Der Bericht ist sicher nützlich, um die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, aber es wird nicht viel Neues publik werden. Dazu kommt, dass die CIA Zugang zu den Computern des Kongresskomitees hatte, welches den Bericht anfertigte. Ich bin nicht sehr optimistisch, dass diese Papiere die amerikanische Kriegsphilosophie verändern werden. Das Problem sind nicht die Verhöre, das Problem ist der Krieg.

Wird der Bericht zumindest die öffentliche Debatte über die Folter der US-Regierung beeinflussen?

Kurzfristig wird er viel Ächzen und Stöhnen auslösen und der Kongress wird betonen, wie schrecklich das alles sei, aber es wird weder zu Strafverfolgungen führen noch zu einer Änderung der Sichtweise, wie Amerika handeln soll. Ich bin lange genug auf der Welt, um zu wissen, die Natur des Krieges kann man nicht ändern. Wir definieren Folter, wie wir wollen. Es gibt immer noch CIA-Leute, die sagen, dass die Übergriffe in Abu Ghraib keine Folterungen waren.

Erst kürzlich berichtete die Zeitung "The New York Times", dass die irakische Regierung das Gefängnis Abu Ghraib geschlossen habe. Weiss man heute alles über die Vorgänge dort, jetzt nach 10 Jahren?

Nein, es gibt immer noch Rätsel, die ich nie ganz lösen konnte. Wieviel die Leute an der Spitze wussten, ob ihnen die Taktiken in Abu Ghraib bekannt waren, kann ich immer noch nicht genau sagen.

Seymour Hersh ist einer der bekanntesten US-Investigativjournalisten. Schon während des Vietnamkrieges 1969 enthüllte er Kriegsverbrechen der US-Armee. Vor 10 Jahren schockierte sein Bericht über den Folterskandal im irakischen Gefängnis Abu Ghraib. Die Bilder von nackten, erniedrigten Gefangenen, die von einer US-Soldatin an der Leine geführt wurden, gingen um die Welt. Seymour Hersh hat mehrere Bücher geschrieben. Der Pulitzer-Preisträger gräbt auch mit 77 Jahren unermüdlich weiter Skandale aus.

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