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GesellschaftAsien

Profiteure der COVID-Katastrophe in Indien

Murali Krishnan
11. Mai 2021

Während Indien von der Pandemie überrollt wird, nutzen manche die Krise, um Profit zu machen. Die Profiteure kommen zum Teil aus dem Gesundheitssystem.

Coronavirus Indien | Jammu Mutter und Kind
Bild: Channi Anand/AP/picture alliance

Anumeha Kumar, eine Bankangestellte aus dem südindischen Hyderabad, hatte keine andere Wahl als 43.000 Rupien, umgerechnet 480 Euro, für das antivirale Medikament Remdesivir auf dem Schwarzmarkt hinzublättern. Das war kurz bevor sie ins Krankenhaus wegen schwerer COVID-Symptome eingeliefert wurde.

"Wir hatten keine Wahl", sagt ihr Bruder Pradeep der DW. "Wir benötigten das Medikament dringend, aber es war in keiner der Apotheken,  in denen wir nachgefragt haben, erhältlich." Der offizielle Preis für das Medikament in einer 100-mg-Ampulle beträgt zwischen 1000 und 5400 Rupien je nach Hersteller. Es wird von Patienten mit schweren Symptomen stark nachgefragt wegen seiner Heil- und Linderungswirkung. Ein vollständiger Behandlungszyklus besteht aus sechs Ampullen.

Glück im Unglück: Dieser Mann erhielt das Gerät von einer NGO anstatt auf dem SchwarzmarktBild: Abhishek Chinnappa/Getty Images

Verzweifelte Lage ausgenutzt

In der Millionenstadt Indore knapp tausend Kilometer weiter nördlich musste Taxichauffeur Rattanjet Lal über zehn Stunden lang durch die Gegend fahren, um für seine nach Luft ringender Frau einen Sauerstoffzylinder aufzutreiben. "Schließlich konnte ich einen 30-Liter-Zylinder für 60.000 Rupien (670 Euro) erstehen, das Dreifache des sonst üblichen Preises", berichtet Lal der DW.

Anumeha und Lal gehören zu den Tausenden verzweifelten Indern, die sich in der Pandemie auf dem schwarzen Markt versorgen müssen. Die Verkäufer profitieren von einer künstlichen Knappheit an Medikamenten und Geräten, die sie dem Markt entzogen haben. Das Angebot reicht von Oximetern bis zu Krankenwagen und Plätzen im Krankenhausbett.

Auf dem Land ist es nicht selten, dass verzweifelte Dorfbewohner ihren Viehbestand und ihr Land verpfänden, um Sauerstoff und Krankenhausbetten für ihre Angehörigen zu beschaffen. "Die Leute greifen zu verzweifelten Mitteln um ihre Nächsten am Leben zu erhalten", bestätigt der Chirurg Anil Bhan der DW. "Dabei greifen sie auf dem Schwarzmarkt auch zu unerprobten Medikamenten."

Warten auf Nachfüllung mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff vor einem Krankenhaus in Neu-DelhiBild: ADNAN ABIDI/REUTERS

Razzia im Nobelviertel

Trotz der oft zitierten Bezeichnung Indiens als "Apotheke der Welt" ist es dem größten Herstellerland von pharmazeutischen Nachahmerprodukten bislang nicht gelungen, die Nachfrage nach antiviralen Arzneistoffen wie Remdesivir und Faviparavir zu befriedigen. Bei einer Razzia in einem teuren Stadtviertel von Neu Delhi stellte die Polizei vergangene Woche über 400 Sauerstoff-Konzentratoren sicher. Bestellen konnte man die begehrten Geräte auf einem Online-Portal und bei WhatsApp-Gruppen. Die Hauptstadt leidet derweil unter einem dramatischen Mangel an medizinischem Sauerstoff.

Der Polizeipräsident von Neu Delhi, Atul Thakur, sagte nach der Razzia: "Wir haben mehrere Personen wegen Verstößen gegen Gesetze über lebensnotwendige Güter und über Ansteckungskrankheiten verhaftet. Die Fahndung nach dem Kopf des Schwarzmarktrings läuft." Es soll sich um einen bekannten Geschäftsmann mit besten Verbindungen in Politik und Sport handeln. Die Polizei geht auch mit verdeckten Operationen, gegen Betrüger und Schwarzmarkthändler vor und hat dabei bereit rund 150 Personen festgenommen.

Schwarze Schafe im Gesundheitswesen dürfen heroischen Einsatz der meisten nicht überschatten Bild: Danish Siddiqui/REUTERS

Transportdienste und Krankenhäuser sahnen ab

Zu den Profiteuren der Krise gehören auch manche private Transportdienste. Normalerweise kostet eine Fahrt zum nächsten Krankenhaus in einem mit einem Beatmungsgerät ausgestatteten Krankenwagen je nach Entfernung zwischen 5000 und 12.000 Rupien (55 - 135 Euro). Jetzt in der Krise sind die Preise hochgeschossen: "Das ist nichts anderes als Raub am hellichten Tag. Sie nutzen es aus, dass verzweifelte Familien in der derzeitigen Lage keine andere Wahl haben, als diese gewissenlosen Ausbeuter zu bezahlen", sagt Rajan Shukla, der bei einer Gesundheitsbehörde  arbeitet.

Unterdessen nehmen private Krankenhäuser wenig begüterten ländlichen Familien, die einen langen Weg zur Notfallbehandlung zurückgelegt haben, die letzten Rupien ab. In den meisten Bundesstaaten sind die heruntergesparten örtlichen Krankenhäuser und medizinischen Versorgungszentren von der aktuellen Gesundheitskrise überfordert, für die sie niemals ausgerüstet wurden.

Schmiergeld für ein Bett im Krankenhaus

Dass Familien Klinikmitarbeiter bestechen müssen, um ein Krankenbett zu erhalten, ist keine Seltenheit. Dabei müssen die Krankenhäuser laut einem Regierungserlass gewisse Bettenkontingente für Patienten in kritischem Zustand vorhalten. "Ich musste für einen Bettenplatz für meine Mutter sofort eine Vorauszahlung in bar leisten. Bei ihrer Entlassung nach einer Woche bekam ich eine Rechnung über 200.000 Rupien (2240 Euro), was einfach zu viel ist", erzählt Paneer Selvan, ein Mechaniker aus Tamil Nadu, der DW.

Als bekannt wurde, dass ein Mittelsmann von einer Familie 60.000 Rupien für einen Bett im staatlichen Mahatma Gandhi Memorial Medical College im Bundesstaat Madhya Pradesh verlangt hatte, leitete die Krankenhausleitung eine polizeiliche Untersuchung ein. Auch die Gerichte haben sich inzwischen mit den skandalösen Praktiken in manchen Kliniken beschäftigt. "Uns liegen gewissenlose Rechnungen vor, etwa 22.000 Rupien für einen Satz Schutzausrüstung. Eine schlichte Reissuppe wird mit 1300 Rupien in Rechnung gestellt. Was soll ein (normaler Bürger) machen, wenn ihm eine Rechnung von 200.000 oder gar 300.000 Rupien präsentiert wird?", so die rhetorische Frage in einer Erklärung des Obergerichts des Bundesstaates Kerala von Montag.

Trauer und Unterstützung bei einer Einäscherung in Neu-DelhiBild: Channi Anand/AP/picture alliance

Abzocke noch bei der Einäscherung

Auch mit dem Tod ist die Abzockerei noch nicht zu Ende. Aus mehreren Orten in Uttar Pradesh, darunter in der den Hindus heiligen Stadt Varanasi am Ganges, berichten Familien, dass sie massiv überteuerte Zahlungen für die Einäscherung von Angehörigen gemäß religiöser Riten auf dem dafür vorgesehenen Areal leisten mussten.     

Am Montag wurden im Distrikt Buxar im Staat Bihar Dutzende Leichen in unterschiedlichen Verwesungszuständen am Ganges-Ufer angeschwemmt. Das sei nicht das erste Mal, heißt es von der lokalen Bevölkerung. Offenbar gehen Mitarbeiter der Einäscherungsstätten dazu über, Leichname in den Fluss zu  werfen, sei es, weil sie kein Feuerholz mehr haben, sei es, weil die Angehörigen die hohen Gebühren nicht zahlen können. Ein örtlicher Verwaltungsmitarbeiter in Buxar gab zu Protokoll: "Wir haben aus verschiedenen Orten Beschwerden, dass Mitarbeiter der Krematorien zuviel für eine einzelne Einäscherung verlangen. Wir gehen der Sache nach."

Zur Einordnung der Geldbeträge im Artikel: Nach Angaben der deutschen Wirtschaftsdienstes GTAI liegt der durchschnittliche Bruttolohn in Indien geschätzt bei etwas über 9000 Rupien. Dabei ist zu berücksichtigen, dass 80 Prozent der arbeitenden Bevölkerung im informellen Sektor beschäftigt sind. Bei Ingenieuren in der Kfz-Industrie bewegen sich die Bruttolöhne zwischen 64.000 und 90.000 Rupien. (Stand 2019, 1 EUR = 90 INR)

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