1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Profitiert Irland vom Brexit?

Gavan Reilly, Dublin /ft6. Juli 2016

Nein, es war nicht immer eine gute Nachbarschaft zwischen Großbritannien und Irland. Ein Brexit würde die irisch-britischen Beziehungen enorm belasten. Schlimme Erinnerungen werden wach.

Irland und ein Rettungsring am Strand (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Schon jetzt ist klar, dass die britisch-irischen Beziehungen unter einem Brexit leiden würden. Ein Siebtel aller Exporte der Republik Irland gehen ins Vereinigte Königreich. Umgekehrt sieht es noch drastischer aus - rund 25 Prozent aller Waren, die Irland einführt, kommen aus Großbritannien. Der wirtschaftliche Schaden wäre immens, wenn auf diese Waren in Zukunft wieder Zölle erhoben würden. Soweit aber nur der wirtschaftliche Aspekt.

Für viele geradezu unvorstellbar wäre die Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der seit 1921 unabhängigen Republik. Es wären die ersten Kontrollen, seitdem die paramilitärischen Patrouillen in den 1990er Jahren abgeschafft wurden. "Mein Interesse ist das Wohl Irlands," sagt der irische Premierminister Enda Kenny. "Damit meine ich ganz konkret die Reisefreiheit, den Friedensprozess und die offene Grenze zu Nordirland." Autofahrer merken heutzutage allenfalls noch an den unterschiedlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen, dass sie gerade über die Grenze fahren.

Enda Kenny "Mein Interesse ist das Wohl Irlands"Bild: DW/Gavan Reilly

Ein vereinigtes Irland?

Das Votum pro Brexit hat die Verfechter einer irischen Wiedervereinigung auf den Plan gerufen. Vertreter, wie die irische Sinn Fein-Partei, wollen beide Inselteile nach 95 Jahren wieder vereint sehen und argumentieren, dass zwar ganz Großbritannien zusammengenommen für "leave" gestimmt habe, die Nordiren dagegen mit 56 Prozent für "remain". Für seinen Parteifreund, den nordirischen stellvertretenden ersten Minister Martin McGuiness, ist es schlicht ein "Disaster". Beide sprechen London das Recht ab, Nordirland in Zukunft zu repräsentieren.

Ihre Forderung nach einem Referendum wurde aber sofort von den Regierungen in London und Dublin abgeblockt. Sie sehen darin eine unnötige Diskussion, die Nordirland nicht gebrauchen kann. Der 20-jährige Friedensprozess zwischen Protestanten und Katholiken trage langsam Früchte, jetzt sollen die religiösen Grabenkämpfe auf keinen Fall durch ein Referendum wieder losgetreten werden.

Tourismussektor in Aufregung

Obwohl ein Austritt Großbritanniens aus der EU auf keinen Fall vor 2019 in Kraft tritt, hat alleine das Votum die irisch-britischen Handelsbeziehungen schon erschüttert. Das Pfund rasselte nach unten, irische Exportgüter wurden für britische Kunden über Nacht um zehn Prozent teurer. Auch der Tourismussektor Irlands zittert – immerhin kamen bislang rund 41 Prozent aller Urlauber aus Großbritannien. Denen könnte der Irlandurlaub jetzt zu teuer werden.

Und in Brüssel? Was würde sich dort verändern? Ein ehemaliger Diplomat vergleicht den Europarat im Gespräch mit der DW mit einer Schulkantine, in der sich an den einzelnen Tischen Grüppchen bilden. Die Benelux-Staaten etwa sind untereinander eng verbunden, ebenso wie die baltischen Staaten, die Skandinavier oder die Iberer. Die Briten waren auf europäischer Ebene mit den Iren immer eng verbündet. Den Iren bricht also jetzt ihr engster Verbündeter weg. Das einzige, worauf sie hoffen können, ist, dass sich bald der keltische Freund Schottland vom Königreich loslöst und der EU wieder beitritt.

Der Brexit birgt auch Chancen

Die Krise bietet aber auch neue Möglichkeiten. Die Republik Irland hat mehrere Notfallpläne für den Fall des Brexit ausgearbeitet. Einer davon lautet, dass man Firmen aus Großbritannien nach Irland locken will. Diese würden von der EU-Mitgliedschaft der Republik profitieren und könnten gleichzeitig auf viele junge, gut ausgebildete englische Muttersprachler als potentielle Arbeitnehmer zurückgreifen. "Viele multi-kulturell aufgestellte Start-Ups mit zehn oder mehr Mitarbeitern sagen uns derzeit, dass sie nach einem alternativen Standort innerhalb der EU suchen", sagt Micéal O´Kane, Chef des Head-Hunting-Portals JobsEngine.com. "Sie wollen weg aus Großbritannien, und das noch, bevor die Banken das Land verlassen und die Preise in die Höhe treiben."

Noch herrscht freie Fahrt zwischen dem britischen Nordirland und der RepublikBild: Getty Images/AFP/P. Faith

Auf den Einkaufsstraßen von Dublin fürchten sich die Leute vor allem davor, dass der Brexit die zwischenmenschlichen Beziehungen belasten könnte. Was wäre zum Beispiel mit Verwandten, die in Großbritannien leben? Würden sie ihr Aufenthaltsrecht verlieren, wenn die "Scheidung" erst vollzogen ist?

"Mein Sohn ist vor vier Jahren nach Manchester gezogen", berichtet eine Dame der DW. "Sie wohnen zwar nur eine Flugstunde entfernt und wir sehen uns regelmäßig, aber klar ist: Dort sind sie jetzt zuhause. Es würde ihre Existenz zerstören, wenn sie jetzt wieder wegziehen müssten, nur weil sie keine Engländer sind."

Ein anderer spricht aus, was viele hier wohl denken: "Ich will auf keinen Fall, dass die Uhren zurückgedreht werden. Das Töten in Nordirland darf nie wieder beginnen". Zu weit sei man in Irland gekommen - die Zeit des Mauerbauens müsse endgültig vorbei sein.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen