Propaganda-Vorwürfe gegen World Press Photo Award
8. April 2025
Als die Liste der ersten, regionalen Gewinner des World Press Photo Award (WPPA) 2025 am 27. März veröffentlicht wurde, war die Empörung groß. Der Grund: Unter den Preisträgern des wohl renommiertesten Preises im Bereich Fotojournalismus befand sich Mikhail Tereshchenko, seit 2017 Reporter bei Russlands staatlicher Nachrichtenagentur TASS.
Im Auftrag seines Arbeitgebers fotografierte Tereshchenko Massenproteste in Georgien. Sie richten sich gegen die prorussische Regierung, vermeintlichen Wahlbetrug und fordern einen pro-europäischen Kurs. Dass ausgerechnet ein TASS-Fotograf ausgezeichnet wurde, während Fotografen aus Georgien unter Repressionen leiden, sorgt für Unverständnis. Zumal Tereshchenko in einem Interview die Erstürmung der ukrainischen Stadt Mariupol als "Befreiung" bezeichnete - ganz im Sinne der russischen Propaganda.
Der Jury wurde Verantwortungslosigkeit und fehlende Sensibilität vorgeworfen.
Die Welt in Bildern
Der World Press Photo Award wird seit 1955 von der gleichnamigen Stiftung mit Sitz in Amsterdam vergeben. 2025 wurden genau 59.320 Bilder von 3778 Fotografinnen und Fotografen aus 141 Ländern eingereicht.
Auch aus Russland und anderen unfreien Ländern und von Fotojournalisten, die für staatliche Medien arbeiten: "Wir schließen keine Fotografen aus irgendeinem Land aus", heißt es auf der Homepage der Amsterdamer Stiftung. "Wir sind uns der Realität staatlicher Propaganda bewusst, glauben aber, dass auch Fotografen, die in Ländern mit wenig Pressefreiheit arbeiten, sinnvolle Werke schaffen können."
Die Bilderflut wird von den Fachjurys aus sechs Regionen gesichtet. In der ersten Runde anonym: "Damit soll sichergestellt werden, dass die Beiträge, die in die nächste Runde kommen, ausschließlich nach ihrer visuellen Qualität ausgewählt werden", so die Idee. "Da jede Fachjury ihre Region gut kennt, fließen in ihre Entscheidungen auch ihre politischen, sozialen und kulturellen Kenntnisse ein", heißt es auf der Website des Preises.
Ab der zweiten Runde weiß man aber mehr - etwa die Namen der Urheber und Urheberinnen, und in der vierten, finalen Runde gibt es auch Angaben zur "Motivation, Art des Projekts (ob Auftrag oder persönliches Projekt) und Finanzierung".
Pro Region werden sieben Preisträger bestimmt - je drei in den Kategorien "Einzelfoto", "Story" und eins für "Long Term Project (Langzeit-Projekt)". Insgesamt sind es also 42 Gewinner. Es sind, wie jedes Jahr, einige lyrische, intime Bilder dabei. Vor allem aber sind es die Konflikte und Tragödien dieser Welt, auf die die Fotojournalistinnen und-Journalisten ihre Kameras richten.
Der Fall Tereshchenko
Man kann wohl ausschließen, dass die Juroren nicht darüber im Bilde waren, wen sie in der Kategorie "Story" für die Region Europa ausgezeichnet haben: eben den Moskauer Fotografen Mikhail Tereshchenko, tätig für die TASS und nicht nur in Russland für seine expressive, drastische Bildsprache bekannt. Die "Telegrafenagentur der Sowjetunion", so der volle Name der "TASS", beliefert die Welt seit nunmehr über 100 Jahren mit hochqualitativem Bildmaterial, das allerdings oft alles andere als journalistisch neutral ist.
"Ich fotografiere gerne Sport, politische Ereignisse und sogar die Fashion Week", gibt er bei der TASS zu Protokoll. "Aber am interessantesten sind für mich komplexe Herausforderungen und Drehs - Notfälle, militärische Konflikte."
Bereits seit 2015 berichtet Tereshchenko aus der Ostukraine, auch als "embedded" Korrespondent der russischen Streifkräfte (ein "embedded" Journalist ist einer militärischen Einheit zugeordnet und begleitet die Truppe, Anm. d. Red.). Bei der Erstürmung von Mariupol war Tereshchenko dabei und reichte schon damals seine Bilder für den World Press Photo Award ein.
Diesmal war Tereshchenko aber nicht an der ukrainisch-russischen Front, sondern in Georgien unterwegs. Hier dokumentierte er im Auftrag von TASS die Zusammenstöße vor allem junger, pro-europäisch gesinnter Georgier mit der Polizei.
Bei den Protesten sei es auf beiden Seiten zu Gewalt gekommen, und genau das habe er fotografisch eingefangen, sagte Tereshchenko der TASS. "Es war ziemlich hartes Filmmaterial. Sowohl die Regierung als auch die Polizei und die Demonstranten selbst griffen häufig zu verschiedenen Mitteln." Bei dem Auftrag in Tiflis handelte es sich um eine Dienstreise, vorab musste der Korrespondent ein Sicherheitstraining absolvieren.
Seine düsteren, nächtlichen Bilder lesen sich nicht eindeutig, sie lassen eine Bandbreite von Interpretationen zu. Angesichts der Tatsache, dass Russland mit allen Mitteln versucht, Georgien als ehemalige Teilrepublik der Sowjetunion an sich zu binden, stellt sich allerdings die Frage, ob ein TASS-Korrespondent die ideale Besetzung für einen Bericht über den Konflikt in Georgien ist.
"Für mich sind es vor allem starke Bilder", so ein angesehener bayerischer Landschaftsfotograf gegenüber der DW, der seinerzeit in der Jury des WPPA tätig war und hier nicht namentlich genannt werden möchte. "Die Besonderheit von guten Bildern ist eben dies: Sie emanzipieren sich vom Autor uns sprechen für sich." Die ukrainische Kunsthistorikerin Lyudmila Bereznitsky, die als eine der ersten das Werk des renommierten ukrainischen Fotografen Boris Mikhailov im westlichen Ausland präsentierte, sieht das anders.
"Es ist, als ob man mitten im Zweiten Weltkrieg Leni Riefenstahl für ihre tolle Olympia-Bilder auszeichnen würde", zieht sie den gewagten Vergleich.
In einem Statement lässt die Jury des WPPA wissen, man nehme Kritik und die Beschwerden über die journalistische Unabhängigkeit von Mikhail Tereshchenko ernst und würde diese "nach dem in unseren Verfahren dargelegten Prozess prüfen. Bis diese Prüfung abgeschlossen ist, bleiben wir bei der Entscheidung der Jury, sein Projekt 'Proteste in Georgien' auszuzeichnen, und ermutigen jeden, sich diese Arbeit selbst anzusehen." Auf weitere Anfragen der DW ist die WPPA nicht eingegangen.
"Nicht als Paar präsentieren"
Nicht nur die Auszeichnung des Fotografen im Dienst der TASS sorgte für Kritik, sondern auch die Gegenüberstellung von zwei Bildern, die in der Kategorie "Einzelfoto" in der Region Europa ausgezeichnet wurden: Das eine zeigt ein vom Krieg traumatisiertes Kind, das andere einen verwundeten Soldaten. Die Arbeiten stammen von der deutschen Fotografin Nanna Heitmann und ihrem Foto-Kollegen Florian Bachmeier.
Beide arbeiten eigenständig; keiner von beiden ahnte, dass man ihre Fotos nebeneinander stellen würde. Die Jury hingegen sah in der Kombination einen "tieferen, nuancierteren Blick auf einen Konflikt mit weitreichenden globalen Auswirkungen".
Bachmeier, der zwischen dem Schliersee in Bayern, Madrid und dem Rest der Welt pendelt, hat in der Ukraine in unmittelbarer Frontnähe eine Organisation freiwilliger Helfer begleitet. Im Dorf Borschivka fotografierte er die sechsjährige Anhelina. Das Mädchen reagiert mit Panikattacken und Apathie auf die Kriegserlebnisse. Von der renommierten Auszeichnung erhofft er sich die Möglichkeit, weitere Projekte dieser Art umsetzen zu können, um gerade vergessenen Opfern zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen.
Nanna Heitmann, Magnum-Fotografin und Finalistin des Pulitzer-Preises für Fotografie 2024, arbeitet u.a. in Moskau für Medien auf der ganzen Welt. Ihre prämierte Aufnahme zeigt einen schwer verwundeten Soldaten in einem improvisierten Untergrund-Lazarett. Sie ziehe eine visuelle Analogie zum sterbenden Christus, lautete der Vorwurf - in dem geschundenen Körper glaubte man einen russischen Soldaten zu erkennen.
Diese Kritik war der "New York Times", in dessen Auftrag Heitmann das Bild geschossen hat, eine Erklärung zur Verteidigung der Fotografin wert: Der Soldat auf dem Bild sei nicht russisch, sondern ukrainisch, präzisiert die US-amerikanische Zeitung. "Nanna Heitmanns Arbeit in Russland seit Beginn des Ukraine-Krieges war ein wichtiges Fenster in ein Land, in dem die Berichterstattung immer gefährlicher geworden ist."
Der DW liegt auch eine Erklärung der Fotografin selbst vor. Mit ihren Arbeiten auf beiden Seiten der Front versuche sie, "Historie aufzuzeichnen, indem sie die brutalen Realitäten des Krieges in der Ukraine mit den verzerrten Wahrnehmungen in der russischen Gesellschaft kontrastiert". Sie fange Themen wie Verlust, nationalistische Inbrunst, Trauer und Wahnvorstellungen ein und porträtiere eine Gesellschaft, die durch fast 25 Jahre Herrschaft Putins geprägt wurde.
Die Juryvorsitzende des WPPA, Lucy Conticello, erklärte später in einem Pressestatement: "Wir hätten diese beiden Fotos nicht als Paar präsentieren sollen, da dies suggeriert, sie sollten nur im Dialog miteinander betrachtet und verstanden werden."
"Irgendwann bleiben nur Stereotypen"
Auch die Prämierung der aus Sibirien stammenden und seit 2017 in Deutschland lebenden Fotokünstlerin Aliona Kardash ist in die Kritik geraten. Die 34-Jährige liefert mit Ihrer Serie "It smells of smoke at home" eine Langzeitbeobachtung über ihre eigene Familie im russischen Hinterland, ein präzises wie dystopisches Portrait ihrer Heimat. Die ukrainische Fotojournalistin Oksana Parafeniuk fragte allerdings in der "FAZ", wie Aliona vom Verlust des Zuhauses sprechen könne. Hier lebe man einfach weiter, während Russland die Ukraine zerstöre.
Die Serie sei als ihre persönliche Reflexion auf den Überfall Russlands auf Ukraine entstanden, sagte Aliona Kardash im DW-Gespräch. Der Titel wäre sowohl eine Hommage an den süßen Geruch der Holzöfen im sibirischen Winter, als auch ein Warnsignal: Ja, es brennt da was an in Russland.
Besonders mit Blick auf die Unterdrückung der freien Presse und die immer geringere Anzahl westlicher Journalisten, die aus dem Land berichten können, sieht Kardash in der Fotografie eine Chance: "Sonst verliert man jedes Gefühl für das Land. Irgendwann bleiben nur Stereotypen."
Am 17. April wird der Hauptgewinner des World Press Photo Award bekanntgegeben.