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Propaganda-Zielscheibe Merkel

Ingo Mannteufel, Naser Shrouf8. Juli 2016

In Deutschland wird endlich das Thema von Desinformation im Internet verstärkt diskutiert. An einem konkreten Beispiel zeigen Ingo Mannteufel und Naser Shrouf, wie so etwas funktioniert.

Merkels Selfie mit Flüchtling (Foto: Anas Modamani )
Bild: Anas Modamani

Dass im Internet Propaganda und Desinformation lauern, dürfte als Allgemeinplatz mittlerweile bekannt sein. Aber vielen ist nicht klar, wie solche Desinformationskampagnen funktionieren und wie schnell jeder in die Irre geleitet werden kann. Wer sich in Deutschland zum Beispiel zum Ende des bedeutenden muslimischen Fastenmonats informieren will, wie Angela Merkel zum Ramadan steht, könnte bei Google die Begriffe "Angela Merkel Ramadan" eingeben.

Desinformation nur einen Klick entfernt

Gleich auf der ersten Seite der Suchergebnisse findet sich recht weit vorne ein Link zu einer Nachricht mit der Überschrift "Steuerbefreiung wegen Ramadan?". Diese Meldung stammt von einer deutschsprachigen Website mit dem Titel "Politically Incorrect", die sich als News-Medium "gegen den Mainstream" positioniert und damit gerade auch die anziehen dürfte, die mit der Flüchtlingspolitik der deutschen Bundesregierung unzufrieden sind. Dass die Website im weitesten Sinne die Aktionen der islamkritischen Pegida-Bewegung und deren regionale Ableger unterstützt, wird bei einem Blick auf die Online-Banner auch schnell deutlich. Wer genau hinter der Website steht, lässt sich nicht eindeutig sagen. Die Nähe der Website zu islamfeindlichen, rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Strömungen ist aber unverkennbar.

Der Leser erfährt nun in dieser kurzen Nachricht, dass Angela Merkel am 4. Juni "Restaurantbesitzer von einer Steuer" befreit habe, "damit den Muslimen während des Ramadans günstigeres Essen angeboten werden" könne. Diese eigentlich an sich schon abstruse Nachricht fällt bei vielen Lesern der Website anscheinend auf fruchtbaren Boden: In den User-Kommentaren hagelt es an Kritik und Beschimpfungen gegen Angela Merkel und die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Das von der Desinformationskampagne beabsichtigte Bild einer angeblich viel zu großzügigen Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzlerin findet in den Augen der Leser dieser Website eine anscheinend "erneute" Bestätigung. Damit war die Desinformation erfolgreich.

Denn an der angeblichen "Steuerbefreiung" ist nichts Wahres dran. Eine derartige Regelung vor, während oder nach dem Ramadan hat es durch die Bundesregierung oder gar persönlich durch die Bundeskanzlerin nie gegeben.

Desinformation wird weiß gewaschen

Interessant ist nun die Frage, wie diese Nachricht entstanden ist und wie die Verbreitung erfolgte. Denn selbst die anonymen Autoren der deutschen Website ahnen, dass diese Geschichte nicht ganz stimmen kann. Sie schreiben daher wohlweislich: "Um welche Steuern es dezidiert geht, wird nicht berichtet, auch weitere Einzelheiten fehlen in dem Bericht. Eigentlich ist es kaum vorstellbar, dass eine deutsche Bundeskanzlerin für eine Partikulargruppe eigenmächtig Sonderrechte einräumt." Und dann fahren sie im verschwörungstheoretischen Duktus fort: "Eigentlich. Da sich Merkel aber beim Hereinholen ihrer Wunsch- und Neubürger selbstherrlich über das Grundgesetz hinweggesetzt hat, muss man ihr wohl auch eine solche Maßnahme zutrauen. Wir geben die Meldung deshalb hier mit der gebotenen Vorsicht und Zurückhaltung wieder."

Um die Lügengeschichte glaubhaft zu machen, verlinkt Politically Incorrect auf einen Bericht der englischsprachigen Website MoroccoWorldNews und verweist auf die arabische Website des russischen Staatssenders RT (Russia Today). Anstatt also die Echtheit der Nachricht vor einer Veröffentlichung zu prüfen, wie es die journalistische Sorgfaltspflicht absolut verlangt, oder nach Veröffentlichung einer Falschmeldung einen Fehler einzugestehen, versteckt sich die Website Politically Incorrect hinter einer Meldung des russischen Staatssenders Russia Today auf Arabisch.

Viele fühlen sich bestätigt: Pegida-Demonstranten in DresdenBild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Nun ist die arabische Nachricht von Russia Today den meisten deutschen Internet-Usern sprachlich nicht auf Anhieb zugänglich. Doch selbst wer sich die Mühe macht, mit Google Translate eine ungefähre Übersetzung der RT-Nachricht zu bekommen, muss feststellen, dass auch RT Arabic keine Primärquelle für die Nachricht angibt, sondern sich auf die saudische Zeitung Al-Riyadh beruft, die dem saudischen Königshaus nahesteht.

Es sollte schon skeptisch stimmen, dass eine saudische Zeitung über deutsche Steuerfragen angeblich besser Bescheid weiß als deutsche Medien. Doch wer sich nun die Mühe macht, die arabische Website von Al-Riyadh zu durchsuchen, muss auch nach längerem Bemühen feststellen, dass es diese Nachricht über die angebliche Steuerbefreiung auf der Website gar nicht gibt.

Doppelte Desinformationskampagne

Als zentraler Verbreiter der Lügengeschichte muss daher die arabische Website des russischen Staatssenders RT betrachtet werden. Das Ziel dieser Desinformationskampagne sind letztendlich sowohl arabische Leser als auch über einen Umweg deutsche Internet-User. Den arabischen Lesern wird fälschlicherweise der Eindruck vermittelt, dass Deutschland übermäßig großherzig gegenüber Muslimen sei, wodurch die Fluchtbereitschaft nach Deutschland eher gefördert wird. Und zugleich werden mit derselben Lügengeschichte die islamkritischen Deutschen gegen die Bundeskanzlerin aufgehetzt.

Das wahrscheinliche Kalkül hinter dieser Desinformationsstrategie: Sollte Bundeskanzlerin Merkel über die Flüchtlingskrise stürzen, würde Deutschland in Europa erheblich geschwächt. Und ganz konkret würde der Zusammenhalt in der EU für die Sanktionen gegen den Kreml starke Risse erhalten.

Das Beispiel zeigt damit hervorragend, wie Propaganda und Desinformation funktionieren: Eine in diesem Fall unwahre, aber in anderen Fällen auch halbwahre oder stark verzerrte Information wird zwischen Websites unterschiedlicher Spielarten und Sprachen "weiß gewaschen", bis die eigentliche "Quelle" für die Nachricht aus dem Blickfeld gerät.

Beim deutschen End-User kommt dann die Desinformationsnachricht mit Bezug auf vermeintlich glaubwürdige "internationale" Medien an. Wer der Vorstellung anhängt, dass die führenden deutschen privaten und öffentlich-rechtlichen Medien nicht die Wahrheit sagen, dürfte sogar eine Bestätigung darin sehen, dass nur dort die abstruse Geschichte einer angeblichen Steuerbefreiung in Gutsherrenart durch die Bundeskanzlerin Erwähnung findet.

Doch letztendlich sollte sich niemand in Sicherheit wiegen, dass er nicht auf eine solche Desinformationskampagne hereinfallen kann. Zur Erinnerung: Die Nachricht war nur einen Klick von den Top-10-Suchergebnissen der in Deutschland meist benutzten Suchmaschine Google entfernt. Es bleibt die Binsenweisheit: Informationen und ihre Quellen müssen kritisch hinterfragt werden.

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