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Islamistenproteste

Matthias Sailer7. August 2013

Ägyptens Militärregierung erklärt alle Vermittlung für gescheitert und fordert die Muslimbrüder zum Abzug auf. Die aber haben ihr Lager in eine Burg verwandelt: Sie wollen ausharren, bis Mursi wieder Präsident ist.

Unterstützer von Ägyptens Ex-Präsident Mursi beten in Kairo (Foto: EPA/MOHAMMED SABER)
Bild: picture-alliance/dpa

Nach sechs Wochen Dauerprotest hat sich das größte Protestcamp der Islamisten in Kairo verändert: Der Eingang gleicht nun einer Festung. Zahlreiche massive Sandsackbarrieren und zusammengeschweißte Stahlwände dienen als Schutz vor Schüssen und motorisierten Angriffen. Über den Eingangstoren hängen Portraits des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi und bunte Protestbanner mit Sprüchen wie "Wo ist meine Wahlstimme geblieben?".

Im Inneren gleicht das Camp inzwischen einer kleinen Stadt. Tagsüber leben hier Zehntausende in selbstgebauten Zelten. Es gibt eine von Frauen betriebene Bäckerei mit Öfen, in einer Metzgerei wird Fleisch zurechtgeschnitten und in einer Moschee wurde ein Pressezentrum eingerichtet. Dort halten sich zahlreiche hohe Funktionäre der Islamisten auf. Einer von ihnen ist Ayman Abdel Ghani.

Besteht auf der Wiedereinsetzung Mursis: Ayman Abdel GhaniBild: Matthias Sailer

Er ist Mitglied des Parteipräsidiums der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei der Muslimbrüder. Trotz der zahlreichen internationalen Vermittlermissionen bleibt er bei der offiziellen Haltung der Muslimbrüder: "Wir begrüßen jede ernsthafte Initiative der EU und anderer. Aber sie sollte auf drei Dingen basieren: der Wiedereinsetzung des Präsidenten, des Parlaments und der Reaktivierung der Verfassung."

"Das Militär möchte nicht verhandeln"

Einige Beobachter gehen davon aus, dass sich die Führung der Muslimbruderschaft bewusst ist, dass Mursi nicht wiedereingesetzt werden wird und längst über Kompromisslösungen diskutiert wird. Doch die große Mehrheit der Demonstranten bezeichnet die Rückkehr des Ex-Präsidenten weiterhin als nicht verhandelbar. Bevor das nicht erreicht sei, werden sie weiter demonstrieren, meint zum Beispiel Naima, die in der Bäckerei des Camps arbeitet. Wenn sie aufhören zu demonstrieren, fügt sie von anderen Frauen umringt hinzu, würden die Sicherheitskräfte sie umbringen oder einsperren.

Protestcamp der Islamisten in KairoBild: Reuters

Tatsächlich haben die Verhaftungswellen und die Gewalt des Militärs und der Polizei in den letzten Wochen wenig dazu beigetragen, diese Angst zu entkräften. Doch es gibt auch eine Handvoll kompromissbereiterer Demonstranten, etwa den Studenten Mohammed. Er hält wenig von dem sturen Beharren auf eine Wiedereinsetzung Mursis und würde auch einen Kompromiss ohne dessen Rückkehr akzeptieren: "Es gibt eine Lösung, wenn das Militär seine Hand zu uns ausstreckt, um zu verhandeln. Aber das Militär möchte nicht mit den Muslimbrüdern und den Salafisten verhandeln. Sie nutzen die Situation, um all ihre Feinde loszuwerden, sie sehen uns als ihre Feinde."

Wenig Selbstkritik

Damit meint Mohammed jedoch nicht nur die islamistischen Parteien, sondern auch die liberalen Gruppen, die das aggressive Verhalten der Staatsmacht kritisieren. Staatsapparat und Medien hätten ein Klima geschaffen, in dem sachliche Kritik am Vorgehen von Militär und Polizei kaum möglich ist, ohne sofort als Islamist abgestempelt zu werden. Das sture Beharren vieler Demonstranten schreibt Mohammed vor allem ihren Führern zu. Die Demonstranten würden einfach auf sie hören. Deshalb glaubt Mohammed auch, dass die meisten das Protestcamp räumen würden, sofern besagte Anführer einen Kompromiss mit dem Militär aushandeln würden - notfalls auch ohne eine Rückkehr Mursis.

Für Mohammed müsste das Militär dafür erst mal guten Willen zeigen und zum Beispiel verhaftete Islamisten freilassen. Eigene Fehler ihres gestürzten Präsidenten geben die Islamisten jedoch nach wie vor kaum zu. Für den etwa 60-jährigen Mahmoud ist klar: "Präsident Mursi ist ein guter Mensch. Er hatte gute Absichten. Sein größter Fehler war, dass er Justiz, Polizei und Medien nicht rechtzeitig von Vertretern des alten Regimes gesäubert hat."

Blutbad bei gewaltsamer Auflösung

Doch Mursi versuchte, die Justiz durch ein Dekret im Grunde völlig zu entmachten. Und dort, wo es ihm nutzte, verwendete der Ex-Präsident Sicherheitsapparat und Justiz selbst, um seine Kritiker mundtot zu machen. Auch zahlreiche von den Islamisten verabschiedete Gesetze waren nicht weniger autoritär als die unter Mubarak, so zahlreiche Menschenrechtsorganisationen. Die Demonstranten fühlen sich vollständig im Recht: "Wenn sie versuchen, das Camp aufzulösen, werden wir an einen anderen Ort ziehen und dort demonstrieren. Wir werden nach Hause gehen und wieder kommen, zu vielen anderen Plätzen, um unsere Forderungen kund zu tun", legt Mahmoud nach.

Heute Huhn: Blick in die Metzgerei des ProtestcampsBild: Matthias Sailer
Die Demonstranten haben es sich inzwischen eingerichtet: Selbst eine Bäckerei gibt esBild: Matthias Sailer

Doch zuvor würde es in diesem Fall wohl zu einem Blutbad kommen. Denn das Camp ist nicht nur schwer gesichert, sondern viele Demonstranten haben den Protest längst auch mit einem Kampf für den Islam verbunden. In einem der unzähligen Zelte hält zum Beispiel ein Religionsgelehrter vor etwa 40 auf Teppichen sitzenden Zuhörern eine Vorlesung über Märtyrertum: "Das Beste, was Allah einem Menschen geben kann, ist ein Märtyrer zu sein", sagt der Gelehrte ruhig und fährt fort: "es ist der einzige Weg, sich von seinen Sünden zu befreien." Mit Bezug auf die Verteidigung des Camps sagt er schließlich: "Wenn Dich eine Kugel trifft, kommst Du ins Paradies."

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