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Politik

Protest nach Absetzung des Ermittlungsrichters

19. Februar 2021

Die führenden Politiker im Libanon haben ganz offensichtlich kein Interesse daran, die Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut aufzuklären. Ist die Absetzung eines Richters ein Schachzug in diese Richtung?

Libanon | Proteste in Beirut
Bild: Bilal Hussein/AP Photo/picture alliance

In der libanesischen Hauptstadt haben Angehörige von Opfern der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut gegen die Absetzung des bisherigen Ermittlungsrichters protestiert. Dutzende Menschen versammelten sich den zweiten Tag in Folge vor dem Justizministerium in Beirut. Sie hielten Bilder der im August Getöteten in den Händen und entzündeten symbolträchtig Feuer in Erinnerung an die vielen Opfer des Großbrandes.

Beschuldigte üben Druck aus

Ein libanesisches Kassationsgericht hatte am Donnerstag dem Ermittlungsrichter Fadi Sawan den Fall entzogen. Das Gericht begründete dies mit "berechtigtem Misstrauen" gegenüber Sawans Neutralität, auch weil sein Haus bei der Explosionsserie, die große Teile der Hauptstadt verwüstete, beschädigt wurde.

Sawan hatte Libanons geschäftsführenden Regierungschef Hassan Diab und drei frühere Minister als Beschuldigte angeklagt. Er wirft ihnen Fahrlässigkeit und Mitschuld an dem Explosionsgeschehen vor. Zwei der Ex-Minister beantragten daraufhin, den Fall einem anderen Ermittlungsrichter zu übertragen. Sie und Diab weigern sich schon seit Monaten, mit den Ermittlern zu kooperieren.

Die Angehörigen fühlen sich in ihrem Schmerz allein gelassenBild: Bilal Hussein/AP Photo/picture alliance

Für das Verfahren ist die Absetzung Sawans ein herber Rückschlag. Ein neuer Ermittlungsrichter muss die Untersuchungen jetzt von vorne beginnen. "Wir wollen Gerechtigkeit, wir haben kein Vertrauen in unsere Regierung", sagte Ibtisam Alaa Al-Din, die bei der Detonation ihren 26 Jahre alten Sohn verlor. Für sie ist klar, Sawan wurde der Fall entzogen, weil er kurz zuvor erklärt hatte, er werde etwas aufdecken. Angehörige der Opfer beklagen seit langem, dass die Ermittlungen auf der Stelle treten und die Hintergründe der Explosion vertuscht werden sollen.

Die brennenden Großsilos im Beiruter Hafen am 4. AugustBild: Getty Images/AFP/STR

Mohanad Hage Ali vom renommierten Carnegie Middle East Center sagte, "niemand in der politischen Klasse will eine Untersuchung wie diese". Auch der libanesische Journalist Sarkis Naoum glaubt nicht, dass eine inländische Untersuchung jemals wirkliche Ergebnisse liefern wird. "Unser Staat ist zum gescheiterten Staat geworden, was bedeutet, dass die Sicherheitsbehörden gescheitert sind, die Institutionen gescheitert sind, die Justiz gescheitert ist und alles gescheitert ist, deshalb habe ich nie geglaubt, dass Richter Sawan etwas erreichen wird", sagte Naoum. "Diejenigen, die im Gefängnis sitzen, sind die kleinen Fische", sagte Naoum.

Etwa 25 Personen, gegen die wegen der Explosion ermittelt wird, befinden sich derzeit in Haft, darunter der Chef des Beiruter Hafens und der des Zolls. Hochrangige Politiker wurden bisher nicht zur Rechenschaft gezogen.

Das ganze Ausmaß der Zerstörung und die Wucht der Explosionen, sichtbar am Tag danachBild: Reuters/A. Taher

Bei der Explosion waren am 4. August mehr als 190 Menschen getötet und rund 6000 verletzt worden. Große Teile des Hafens und der anliegenden Wohngebiete wurden massiv zerstört. Etwa 300.000 Menschen wurden obdachlos. Der Wiederaufbau geht nur schleppend voran.

Ausgelöst worden sein soll die Detonation durch große Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat, die ohne Schutzmaßnahmen im Hafen gelagert wurden. Sicherheitsexperten hatten den libanesischen Präsidenten Michel Aoun und Ministerpräsident Diab noch im Juli 2020 darüber informiert, wie gefährlich das sei und welch verheerende Folgen eine Explosion hätte. Trotzdem wurden die hochexplosiven Chemikalien nicht beseitigt.

qu/rb (rtr, dpa, ap)

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