Protestantisches Glaubensfest
29. April 2013Kirchentagspräsident Gerhard Robbers findet es "wichtig", dass Menschen zusammenkommen, auch und gerade in Zeiten von Smartphone und Internet. "Es braucht die Begegnung der Menschen, das Erleben des Gemeinsamen", stellt er fest, "dafür ist der Kirchentag eine ganz moderne, unverzichtbare Form!" Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack weiß: "Viele Besucher sehen sich in ihrer Spiritualität und Religiosität durch andere Teilnehmer bestätigt." Die Menschen wollten das "Gefühl haben, dass sie in ihrer Art, den Glauben zu leben, nicht allein stehen."
So heißt es Beten, Feiern, Diskutieren. Fünf Tage lang werden Protestanten die Elbmetropole bevölkern. Über die Hansestadt verteilt gibt es rund 2500 Einzelveranstaltungen – von Gottesdiensten über Bibelarbeit und politische Diskussionen bis hin zu Kulturevents. Das Programmheft umfasst 620 Seiten. Der interreligiöse Dialog, verantwortungsvolles Wirtschaften und die Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben – das sind die großen Themen des Protestantentreffens.
Viel Politik, viel Kultur
Etliche Prominente haben sich angesagt, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, der zu DDR-Zeiten als evangelischer Pastor in Rostock selbst schon Protestantentreffen veranstaltete. Sein Vortragsthema hier: "Wie sieht eine starke Gesellschaft aus?" Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), gleichfalls Protestantin, wird zu den Kirchentagsbesuchern über die "Schöpfung in einer globalisierten Welt" sprechen. "Wer regiert das Geld?", fragt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) will "Wege zu mehr Demokratie" aufzeigen. Die Bundestagswahl im September wirft eben ihre Schatten voraus, Vorwahlkampf inbegriffen.
Was Rang und Namen hat, gibt sich ein Stelldichein in Hamburg, so auch die frühere evangelische Bischöfin Margot Käßmann, die als Luther-Botschafterin für das 500-jährige Reformationsjubiläum im Jahr 2017 wirbt. Posaunenchöre legen einen musikalischen Teppich über die Hansestadt. Die Kölner A-Capella-Band-Band "Wise Guys" gibt ein Großkonzert im Stadtpark. Als musikalischer Höhepunkt aber gilt die Premiere der Bonhoeffer-Oper "Vom Ende der Unschuld" des Komponisten Stephan Peiffer. Sie widmet sich Motiven aus dem Leben und Denken des deutschen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer, der 1945 von den Nazis ermordet wurde.
Problem der Kirchen bleibt
Viel Politik, viel Kultur – doch ist die Kirche gesellschaftspolitisch so relevant, wie sie auch in Hamburg wieder erscheinen möchte? Der Religionssoziologe Pollack glaubt, vor allem führende Kirchenvertreter seien es, "die auf große Themen aufspringen, um ihre Relevanz deutlich zu machen." Die Menschen jedoch erwarteten von der Kirche "nicht unbedingt" politische Stellungnahmen, "sondern dass sie ihre Botschaft zeitnah und lebensnah, modern verkündet." Dazu zählten vor allem Gottesdienste und Gespräche über Geistliches. Kirche müsse da sein für die Armen, Schwachen und Ausgegrenzten. Sie müsse karitativ und diakonisch tätig sein und Rituale für die Menschen anbieten. "Wenn es darum geht, dass die Kirche sich politisch einmischt", so Pollack, "da trauen die Menschen anderen Institutionen - den Parteien, den Parlamenten - mehr zu als den Kirchen."
Auch in Deutschland hat sich Religion zum großen Medienthema gemausert. Im Westen Deutschlands sind noch acht von zehn Menschen Mitglied in einer der großen Kirchen, im Osten deutlich weniger. 70 bis 80 Prozent der Westdeutschen halten das Christentum für das Fundament unserer Kultur, im Osten immerhin noch die Hälfte der Bevölkerung. "Die deutsche Gesellschaft ist nicht entchristlicht oder entkirchlicht", bilanziert Pollack, "aber die Menschen haben ein zunehmend distanziertes Verhältnis zum Christentum. Und das ist das Problem der Kirchen." Zwar rücken Religionsthemen ins Blickfeld. Doch die Kirchen profitieren davon nicht.
Losung "Soviel Du brauchst"
"Ob Kirchentage helfen? Nein, weiß der Kirchenexperte, "ein Umkehrtrend kommt durch Großevents nicht in Gang." Durch kirchliche Großereignisse fänden nicht mehr Menschen zur Kirche, nicht mehr nähmen danach am Gottesdienst teil. Kirchen sollten sich auf ihr "christliches Kerngeschäft" besinnen, empfiehlt Pollack, also auf ihre karitative und seelsorgerische Arbeit und Verkündigung. Selbst wenn Religion und Kirche weiter an Bedeutung verlören, sei Deutschland von einem moralischen Notstand weit entfernt: "Ich gehe nicht davon aus, dass das moralische Kapital der Gesellschaft allein am Christentum hängt", so Pollack.
Soviel du brauchst" - der Leitspruch des Kirchentages entstammt dem hebräischen Teil der Bibel, dem 2. Buch Mose. Der Text handelt vom Auszug des Volkes Israel aus der Versklavung in Ägypten.Gott lässt Brot ("Manna") regnen. Weil das Manna leicht verderblich ist, sollte sich jeder soviel nehmen, wie er zum Essen braucht. "Das ist der Zuspruch, dass es schon reichen wird," sagt Kirchentagspräsident Robbers, "mit Gottvertrauen, mit Initiative wird schon genug da sein. Gott gibt das tägliche Brot." Auch beim Evangelischen Kirchentag.
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