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Politik

"Afghanistan ist nicht sicher"

24. Januar 2018

Kurz nach dem Terroranschlag in Kabul haben am Düsseldorfer Flughafen viele Menschen gegen die 9. Sammelabschiebung nach Afghanistan demonstriert - auch Hadisa (11) aus Afghanistan. Andrea Grunau aus Düsseldorf.

Deutschland Düsseldorf Protest gegen Sammelabschiebungen nach Afghanistan
Die 11-jährige Hadisa lebt mit ihrer Mutter Maryam seit zwei Jahren in DeutschlandBild: DW/A. Grunau

"In Afghanistan ist Krieg, da werden viele Bomben geworfen", mit diesen Worten tritt die 11-jährige Schülerin Hadisa Bakhshe aus Wuppertal auf der Kundgebung am Düsseldorfer Flughafen auf. "Viele Menschen sterben in Afghanistan", sagt sie: "Ihr sollt die Leute nicht zurückschicken. Keine Abschiebung nach Afghanistan!" Die 200 bis 300 Demonstranten in der Abflughalle nahmen den Ruf auf: "Keine Abschiebung nach Afghanistan!"

"Air de Maizière" - die Demonstranten prangerten die Politik des deutschen Innenministers Thomas de Maizière anBild: DW/A. Grunau

Zahlreiche Initiativen und Organisationen aus Nordrhein-Westfalen haben sich dem Düsseldorfer Bündnis "Afghanischer Aufschrei" angeschlossen, um gegen die Sammelabschiebung an diesem Tag zu demonstrieren - gemeinsam "mit Geflüchteten jeglicher Herkunft". Es ist die 9. Abschiebung nach Afghanistan. Bis Dezember 2017 waren schon 155 Menschen ausgeflogen worden nach Kabul. Die Demonstranten nennen die Abschiebung eine Verletzung des Völkerrechts. Sie prangern an, dass Menschen dorthin abgeschoben werden, wo die radikalislamischen Taliban und die Terrormiliz "Islamischer Staat" Gewalt ausübten. Wirklich sichere Gebiete, von denen etwa der deutsche Innenminister Thomas de Maizière spricht, gibt es nach ihrer Ansicht nicht.

Angst vor der Abholung in der Nacht

Hadisas Familie lebt seit zwei Jahren in Deutschland, erzählt Mutter Maryam. Sie sei mit ihrer Tochter zu dieser Demonstration gekommen, "damit die Leute sehen, dass in Afghanistan keine Sicherheit ist". Auch sie mache sich Sorgen, weil sie nicht wolle, dass ihre drei Kinder "oder andere" in einer solchen Situation wie in Afghanistan leben müssen. "Man weiß nicht, ob man morgen noch lebt oder nicht." Im Moment allerdings dürfe ihre Familie bleiben. Ein anderer Demonstrationsteilnehmer erzählt mit leiser Stimme, dass er selbst eine Abschiebung fürchtet: "Ich habe Angst, dass man morgen oder übermorgen nachts kommt und ich muss zurück nach Afghanistan... Ich kann nicht schlafen."

Auch viele Flüchtlinge demonstrierten in Düsseldorf gegen die Abschiebung nach AfghanistanBild: DW/A. Grunau

Dalia Höhne, Abschiebebeobachterin am Düsseldorfer Flughafen, hat zu diesem Zeitpunkt schon die afghanischen Männer getroffen, die diesmal aus Deutschland abgeschoben werden. Zahlen darf sie nicht nennen, auch die Bundespolizei bestätigte nur den Flug der Maschine. Klar ist, dass weit weniger als die 80 Menschen, von denen im Vorfeld die Rede war, nach Düsseldorf gebracht wurden. Höhne kennt das schon von der ersten Abschiebung aus Nordrhein-Westfalen im Oktober 2017. Im Herbst war ursprünglich die Rede von 24 Personen, am Ende stiegen 12 Männer in die Chartermaschine. Krankheiten, Einsprüche und Eilentscheide von Gerichten verhinderten in anderen Fällen die Zwangsmaßnahme. Manche Menschen wurden nicht in ihrer Wohnung angetroffen.

Dalia Höhne ist Abschiebebeobachterin am Düsseldorfer FlughafenBild: Diakonie RWL/Hans-Jürgen Bauer

Eilentscheide gegen die Abschiebung bis kurz vor dem Abflug

Auch diesmal können viele vorerst in Deutschland bleiben, mindestens einer entgeht der Abschiebung noch kurz vor dem Start. Als die Maschine gegen 18.30 Uhr abhebt, sitzen nach DW-Informationen nur 19 Männer darin, darunter auch Straftäter - eine Zahl, die später nach Landung der Maschine in Kabul auch von der Internationalen Organisation für Migration bestätigt wird. Höhne sagt, die Männer hätten im Wartebereich einen ruhigen Eindruck gemacht. Einer habe sich noch ihr Telefon ausleihen wollen. Das erlebt sie oft bei Abschiebungen, viele wollen noch Angehörige oder Freunde in Deutschland oder im Zielland anrufen, denn die Männer müssen im Wartebereich ihre Handys vorübergehend abgeben. 

Die Demonstranten zeigten in Düsseldorf Bilder von Menschen, die schon nach Afghanistan abgeschoben wurdenBild: DW/A. Grunau

Erst am Wochenende hatte es einen schweren Anschlag auf das Hotel Intercontinental in Kabul mit mehr als 30 Toten gegeben. Höhne sagt der DW, sie sei überrascht und sich vorher nicht sicher gewesen, dass die Abschiebung so kurz nach dem Anschlag wirklich stattfindet. Die Behörden aber setzen ihre Pläne um. Offenbar gab es durchaus Hindernisse, denn die Gewerkschaft der Polizei beklagte in einem Interview, dass der Bundespolizei Personal für solche Rückführungen fehle. Auch für den Flug aus Düsseldorf nach Kabul hätten sich zunächst nicht genug Freiwillige bei der Bundespolizei gefunden.

Unterschiedliche Maßstäbe der Bundesländer

Offiziell gilt seit 2016 eine Einschränkung für die Menschen, die abgeschoben werden dürfen. Frauen und Kinder sind ausgenommen. Bei Männern gibt es offiziell drei Kategorien: "Straftäter, Identitätstäuscher oder -verweigerer, Gefährder", zählt Höhne auf. Demonstrantin Judith Welkmann, die viele Afghanen persönlich kennt, überzeugen die drei Kategorien nicht. "Jede Abschiebung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung", sagt sie. Die deutschen Bundesländer legen bei der Abschiebung unterschiedliche Maßstäbe an, darauf weisen Flüchtlingshilfsorganisationen immer wieder hin.

Aus vergangenen Abschiebungen wisse man, dass vor allem aus Bayern schon gut integrierte Personen abgeschoben wurden, die keinerlei Bedrohung darstellten, die "vielleicht mal schwarzgefahren sind" oder "ihre Geburtsurkunde ein paar Wochen später" vorlegten, das sei keine Identitätsverschleierung, meint Judith Welkmann. Sie hat an diesem Tag fünf bis sechs kleinere Polizeifahrzeuge und einen großen Polizeibus mit bayerischem Kennzeichen beobachtet, die die Männer an das kleine Terminal abseits des Publikumsverkehrs gebracht haben. Für sie entscheidend sei, argumentiert sie, dass Afghanistan zu gefährlich sei, dahin könne man auch keine Straftäter abschieben.

"Afghanistan ist nicht sicher" - Hasamddin Ansari verlor bei einem Bombenanschlag beide BeineBild: DW/A. Grunau

"Die Afghanen sind alle Opfer von Terroristen", sagt Hasamddin Ansari, der im Rollstuhl zur Demonstration gekommen ist. "Ich weiß das besser als gesunde Leute: Ich habe zwei Beine verloren in Afghanistan." Bei einem Bombenanschlag in Herat sei er verletzt worden. "Afghanistan ist nicht sicher", betont er. Seit drei Jahren wohne er jetzt in Deutschland. Aus Dortmund ist er zu der Demonstration angereist. Er darf in Deutschland bleiben, ist anerkannt als Flüchtling. "Jetzt mache ich Abitur", erzählt er stolz.

Auch die 11-jährige Hadisa geht in Deutschland zur Schule. "Wir sind hierher geflüchtet, damit wir hier zur Schule gehen können", sagt sie bei ihrem Auftritt auf der Kundgebung. Hadisa ist in der 5. Klasse, berichtet sie später der DW und auf Nachfrage: Ja, sie sei gut in der Schule. Ihr Wunsch für die Zukunft: "Ärztin werden". Als die Kundgebung sich auflöst, sind die Abgeschobenen schon auf dem Weg nach Kabul. Es war die erste Abschiebung nach Afghanistan in diesem Jahr. "Sicher nicht die letzte", seufzt eine Demonstrantin.

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