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Proteste gegen Abtreibung nach US-Vorbild

Helen Whittle
8. März 2023

In Deutschland finden immer mehr Proteste vor Abtreibungskliniken und Beratungszentren statt. Wie stark ist der Einfluss der Abtreibungsgegner aus den USA?

Protestveranstaltung gegen Abtreibungen in München (2021)
Protestveranstaltung gegen Abtreibungen in München (2021)Bild: Sachelle Babbar/ZUMA/picture alliance

Am frühen Nachmittag eines grauen und windigen Tages taucht langsam ein Dutzend Demonstranten von "EuroProLife" gegenüber der Familienberatungsstelle Pro Familia im Frankfurter Stadtteil Westend auf. Mit Gesangbüchern und Rosenkränzen in der Hand singen sie das Ave Maria. Einige halten Plakate mit Bildern von lächelnden Babys oder einer winzigen geballten Faust mit den Slogans "Ungeborene Leben sind wichtig" und "Abtreibung ist keine Lösung".

Die Demonstration wurde von "40 Tage für das Leben" organisiert, einer Bewegung, die 2004 im US-Bundesstaat Texas entstand. Sie ruft dazu auf, 40 Tage lang, beginnend am Aschermittwoch, der die Fastenzeit einläutet, sogenannte "Mahnwachen" vor Abtreibungseinrichtungen abzuhalten. Die Demonstranten sagen, dass sie nicht mit den Medien sprechen wollen. Sie würden von der Presse unfair dargestellt. Ihre Worte würden falsch wiedergegeben und gegen sie verwendet. Sie wollen einfach nur in Frieden beten, betonen sie.

Die Abtreibungsgegner in Frankfurt sagen, sie wollen beten - und weigern sich, mit den Medien zu sprechenBild: Helen Whittle/DW

Claudia Hohmann leitet seit neun Jahren Pro Familia in Frankfurt am Main. Sie erinnert sich an den Tag im Jahr 2017, als zum ersten Mal Demonstranten auf dem sonst ruhigen Platz in der Nähe des Botanischen Gartens der Stadt auftauchten. "Das war ein echter Schock", sagt Hohmann. "Es gibt sicher Frauen, die sich dadurch nicht so beeinträchtigt fühlen, aber es geht um diejenigen, die das mit in die Beratung nehmen und dann weniger offen sind für das Gespräch. Die Situation draußen schürt Scham- und Schuldgefühle."

Paragraf 218 regelt in Deutschland den Schwangerschaftsabbruch

Nach § 218 des deutschen Strafgesetzbuches ist ein Schwangerschaftsabbruch zwar grundsätzlich verboten, bleibt aber bis zu zwölf Wochen nach der Empfängnis straffrei - wenn mindestens drei Tage vor dem Eingriff ein Beratungsschein vorgelegt wird. Ohne diese Bescheinigung macht sich die Frau durch eine Abtreibung strafbar, ebenso wie der Arzt, der den Eingriff vornimmt. Erlaubt ist ein Abbruch nach einer Vergewaltigung oder wenn das Leben der Mutter gefährdet ist.

Pro Familia hat Niederlassungen in ganz Deutschland und ist zertifiziert, die erforderliche Bescheinigung nach Beratung auszustellen. Die Geschäftsstelle in Frankfurt berät jährlich rund 1700 Schwangere. Hohmann sagt, dass die Proteste nicht nur psychologische Auswirkungen auf die Besucher von Pro Familia haben - wo die Gesänge und Gebete der Demonstranten im Inneren des Gebäudes zu hören sind - sondern dass Menschen auch zu sehr eingeschüchtert würden, um sich überhaupt beraten zu lassen.

Claudia Hohmann leitet die Pro Familia-Beratungsstelle in Frankfurt am MainBild: Helen Whittle/DW

"Meinungsfreiheit ist okay, aber halt nicht hier", sagt Hohmann der DW. "Das ist sehr gezielt, das ist das Perfide daran." Die Aktivisten vor der Beratungsstelle nennen die Proteste "Mahnwachen" und sind laut Hohmann darauf bedacht, sich als friedliche Demonstranten darzustellen, die lediglich ihre Meinung kundtun. "Natürlich sind wir froh, dass sie uns nicht anschreien oder mit Sachen bewerfen, aber darum geht es nicht. Es ist eine Freundlichkeit, hinter der sich sehr viel Aggressivität gegen Menschen verbirgt", sagt Hohmann.

Weniger Abtreibungskliniken in Deutschland

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden in Deutschland jährlich etwa 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, 1996 waren es noch knapp 131.000. In einigen Teilen Deutschlands kann es für Abtreibungswillige schwierig sein, eine Klinik zu finden - in manchen Städten gibt es gar keine.

Nicht an allen medizinischen Fakultäten wird das Verfahren gelehrt und immer weniger Absolventen wollen in diesem Bereich der Gesundheitsversorgung arbeiten. Gleichzeitig sind Ärzte, die diesen Dienst anbieten, oft älter und gehen in den Ruhestand. Zwischen 2003 und 2020 ist die Zahl der Kliniken, die Abtreibungen anbieten, um 50 Prozent auf nur noch 1109 gesunken.

Dringend gesucht: Abtreibungsärzte

08:22

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Die niederländische Gynäkologin Gabie Raven beobachtete eine zunehmende Zahl von Deutschen, die in die Niederlande kommen, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Sie dagegen eröffnete 2022 eine Klinik in der westdeutschen Stadt Dortmund. Raven erzählt, sie sei von Abtreibungsgegnern angegriffen worden, die sie als "Babymörderin" bezeichneten. Ihre Adresse und Telefonnummer seien auf Anti-Abtreibungs-Websites veröffentlicht worden.

"Ich habe an einer Fernsehsendung über die Geschichte der Abtreibung teilgenommen, und ich denke, die 'Pro-Life'-Gruppen haben das gesehen und gesagt, dass ich die böseste Ärztin in Deutschland bin", sagt Raven der DW. "Sie sagen, dass sie keine Probleme mit Abtreibung haben - aber wir alle wissen, dass das nicht stimmt. Ich glaube, es war schwer für uns, Räumlichkeiten zur Miete zu finden, weil wir Abtreibungen durchführen wollten", sagt Raven.

In München protestieren schon länger christliche Fundamentalisten vor der Beratungsstelle von Pro Familia (2020)Bild: Sachelle Babbar/ZUMA/picture alliance

Verbindungen zu Gruppen in den USA

Proteste vor Abtreibungskliniken und Familienplanungszentren sind in den USA, wo Abtreibung ein sehr kontroverses und dominierendes politisches Thema ist, an der Tagesordnung. Die Organisation "Planned Parenthood", die in ihren Zentren in den gesamten USA reproduktive Gesundheitsfürsorge und Beratung anbietet, hat auf ihrer Website Hinweise für Patienten veröffentlicht, wie sie mit Demonstranten vor den Zentren umgehen sollen.

Obwohl solche Proteste von Abtreibungsgegnern vor Beratungsstellen und Abtreibungskliniken in Deutschland nicht so weit verbreitet sind wie in den USA, sind sie kein neues Phänomen. Sie haben jedoch an Umfang und Intensität zugenommen.

Ulli Jentsch ist Mitarbeiter beim Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) in Berlin. Er beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der extremen Rechten, christlichem Fundamentalismus und der "Pro-Life"-Bewegung in Deutschland. Er sagt, die Anti-Abtreibungsbewegung in den USA sei spätestens seit den 1990er-Jahren ein Vorbild für Aktivisten und Aktivistinnen in Deutschland und Europa. "Neben dem Versuch, die Taktik der USA zu kopieren, sind es auch die Kontakte", erläutert Jentsch der DW.

Washington 2022: Direkte Konfrontation zwischen Abtreibungsgegnern und Befürwortern des Rechts auf AbtreibungBild: Evelyn Hockstein/REUTERS

Er verweist auf Terrisa Bukovinac, eine prominente US-Abtreibungsgegnerin, die im September 2022 als Gastrednerin bei der jährlichen Anti-Abtreibungsdemo "Marsch für das Leben" in Berlin auftrat. In ihrer Rede bezeichnete Bukovinac, die sich selbst als Atheistin und linksgerichtete Progressive bezeichnet, Abtreibung als "globalen Völkermord". Und weiter: "Es ist wunderbar, heute hier zu sein, um mit Ihnen allen und mit den ungeborenen Opfern des globalen Abtreibungsindustriekomplexes solidarisch zu sein."

Strategie der Abtreibungsgegner: Präzedenzfall vor Gericht schaffen

Jentsch sagt, rechtskonservative Denkfabriken in den USA steckten Geld und Fachwissen in den Ausbau von ideologisch ausgerichteten Organisationen in Europa und auf der ganzen Welt. Ziel sei es, das erfolgreiche US-amerikanische "Litigation-Modell" zu importieren: Dabei werden mit viel juristischem Know-how und finanzieller Unterstützung strittige Fälle vor Gericht gebracht - in der Hoffnung, einen rechtlichen Präzedenzfall zu schaffen, der weit restriktiver ist als rechtlich vorgesehen.

"Diese Arbeit wäre ohne die Finanzierung aus den USA nicht möglich", sagt Jentsch. "Sie verwenden das Geld, um bestimmte Fälle zu unterstützen, zum Beispiel vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie haben auch Fälle im Zusammenhang mit 'Mahnwachen' unterstützt. Sie sind in Straßburg (dem Sitz des Europäischen Parlaments, Red.) und in Brüssel (dem Hauptsitz der EU, Red.), an der Schnittstelle, wo Politik gemacht wird."

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Die "Alliance Defending Freedom" (ADF) ist eine konservative christliche Rechtsorganisation, die 1993 in den USA gegründet wurde. Anwälte des internationalen Arms der ADF unterstützten die Organisatorin der "40 Tage für das Leben"-Protestgruppe, Pavica Vojnovic, in ihrem Verfahren gegen die Stadt Pforzheim. Diese hatte den Demonstranten verboten, sich vor dem dortigen Pro Familia-Zentrum zu versammeln. Vojnovic hatte gegen das Verbot geklagt.

Als die Proteste 2017 erstmals vor Pro Familia in Frankfurt begannen, reagierte das hessische Innenministerium mit Richtlinien, die den Demonstranten vorschrieben, sich außerhalb der Sicht- und Hörweite der Beratungsstelle zu versammeln. Ein Jahr lang verlagerten die Demonstranten ihre Proteste auf die Hauptstraße, etwa 100 Meter entfernt.

Die Anti-Abtreibungsgruppe "EuroProLife" aber klagte gegen die Anordnung mit dem Argument, dass das Grundgesetz das Recht auf öffentliche Versammlung, Meinungs- und Religionsfreiheit garantiere. Die Anordnung wurde 2022 vor Gericht mit der Begründung gekippt, dass sie einen "ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit" darstelle. Die Demonstranten kehrten auf den Platz direkt vor dem Zentrum zurück.

Pläne der Regierung gegen "Mahnwachen"

Familienministerin Lisa Paus hat zugesagt, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das Proteste von Abtreibungsgegnern vor Abtreibungskliniken und Beratungsstellen verhindern soll. "Frauen müssen ungehinderten Zugang zu Beratungsstellen und Einrichtungen haben, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen", sagte Paus dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie bezeichnete die so genannten "Mahnwachen" als "inakzeptable Angriffe auf die höchstpersönliche Entscheidung von Frauen".

Familienministerin Lisa Paus will per Gesetz Proteste von Abtreibungsgegnern vor Beratungsstellen verbietenBild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

Die Regierung hat eine Kommission berufen, die prüfen soll, wie der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden kann. 18 Professorinnen und Professoren aus den Bereichen Ethik, Medizin und Recht sollen über diese Entkriminalisierung beraten.

Im Frankfurter Pro Familia-Büro hat Claudia Hohmann den Platz im Blick, wo sich die Demonstranten versammeln. Sie sieht die Proteste als Teil einer breiteren konservativen Gegenreaktion gegen Gleichberechtigung und reproduktive Rechte.

"Sie werden uns nicht kaputt machen oder kleinkriegen, das sicher nicht, aber es ist für die Beratung sehr schädlich", betont sie. "Es geht auch gegen sexuelle Bildung, gegen die Unterstützung von Minderheiten, gegen die Freiheit, so zu leben, wie man will. Das sind Ziele, die wir verfolgen, und deshalb sind wir (für sie) der totale Antichrist, das Feindbild."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

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