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Proteste gegen die AfD in Deutschlands Fußball-Stadien

Ben Knight
19. Februar 2025

Viele Fangruppen haben ihren Kampf gegen Rassismus in den letzten Monaten verstärkt. Doch der allgemeine Rechtsruck ist auch auf den Tribünen angekommen.

Zwei große Fahnen im Block des FC St. Pauli mit vielen Fans: eine mit einem Totenkopf, die andere gegen die AfD gerichtet
Die Anhänger des Bundesligisten FC St. Pauli aus Hamburg protestieren immer wieder gegen die AfDBild: Philipp Szyza/xim.gs/picture alliance

"Wer gegen Nazis kämpft, kann sich nicht auf den Staat verlassen" - beim Bundesliga-Heimspiel des FC St. Pauli gegen den FC Augsburg am 1. Februar zeigten die Fans des Hamburger Vereins mit der starken antifaschistischen Tradition klare Kante. Der berühmte Satz der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano war auf einem riesigen schwarzen Transparent in der Kurve zu sehen.

Untermalt wurde dies von lautstarken Sprechchören: "Ganz Hamburg hasst die AfD". Ein deutliches Statement einige Tage nach dem Internationalen Holocaust-Gedenktag vom 27. Januar und drei Wochen vor der Bundestagswahl, bei der die in Teilen rechtsextreme Partei die zweitmeisten Stimmen nach der Union aus CDU und CSU erzielen könnte.

Vor Spielbeginn gedenken die Fans der Befreiung des früheren deutschen Konzentrationslagers Auschwitz vor 80 JahrenBild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Es sind nicht nur die Anhänger des FC St. Pauli, die sich offen gegen den zunehmenden Rechtsruck in Deutschland positionieren. Auch andere deutsche Fußballvereine und Fangruppen haben im vergangenen Jahr sowohl in den Stadien als auch auf den Straßen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Zudem haben mehrere große Vereine aus den ersten beiden deutschen Ligen, darunter Werder Bremen, der VfL Bochum, der FSV Mainz 05, der 1. FC Köln und Hannover 96, ihre Anhänger dazu aufgerufen, sich dem Rechtsextremismus aktiv entgegenzustellen.

Politisch engagierte Anhänger halten sich vermehrt zurück

Doch dieser Ausbruch politischer Gefühle in den Stadien ist bei weitem nicht allgemeingültig - und für einige politisch engagierte Fußballfans geht der allgemeine Trend in den letzten Jahren eher dahin, ihre politische Zugehörigkeit nicht so offen zu zeigen.

"Bei den Fans würde ich mir manchmal ein bisschen mehr Mut wünschen", sagt Rico Noack der DW, Vorsitzender von "Gesellschaftsspiele", einer Organisation von Fußballfans, die sich für eine inklusive Gesellschaft einsetzt. "Da sagt eine Gruppe, 'Wir würden das gerne machen,' da sagt die andere, 'Ach, das ist uns zu politisch', dann wird das ausgehandelt, und dann wird sich auf dem kleinsten minimalen Konsens getroffen, oder es wird dazu gar nichts gesagt."

Bestes Beispiel: Die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar, als die deutsche Fußballnationalmannschaft mit der "One Love"-Kapitänsbinde ein Zeichen setzen wollte, um gegen die diskriminierenden Gesetze des Gastgeberlandes gegen LGBTQ-Menschen zu protestieren.

Politikum: die "one love"-Kapitänsbinde, hier am Arm vom deutschen Nationaltorwart Manuel NeuerBild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Der Weltfußballverband untersagte das Tragen, die uneinigen Spieler einigten sich am Ende auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Und hielten sich als Protest gegen die eingeschränkte Meinungsfreiheit vor dem ersten Gruppenspiel gegen Japan demonstrativ den Mund zu.

Rassismus in den Stadien wieder salonfähig

Im vergangenen Jahr, als Deutschland die Europameisterschaft ausrichtete, nutzte die AfD die Gelegenheit, um eine Attacke gegen die vermeintlichen "Weicheier" der Nationalmannschaft zu starten. Maximilian Krah, der Spitzenkandidat der Rechtsaußen-Partei bei der Europawahl im Juni, bezeichnete das Team auf TikTok als "politisch korrekte Söldnertruppe", "Regenbogenteam" und "Pride-Mannschaft", Sein Kommentar dazu, dass sich die Nationalmannschaft für LGBTQ-Rechte einsetzt: "Wir können es ignorieren."

"Trikot der Schande" - Für viele Rechte ist das lila-pinke Auswärtstrikot der Nationalmannschaft eine ProvokationBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

"Fußball ist politischer denn je", sagt Noack der DW. Obwohl man in den Stadien noch keine rechten Fahnen sehe, sei der Rechtsruck in der politischen Kultur Deutschlands längst in den Kurven angekommen. Rassismus sei auf den Tribünen wieder salonfähig, sagt auch der Journalist Ronny Blaschke, der gerade ein Buch über Rassismus im Fußball veröffentlicht hat.

"Vor allem nach der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 haben wir einen Rechtsruck in den Stadien beobachtet, da wir mehr rassistische Vorfälle auf den Tribünen gegen schwarze Fußballspieler haben", sagt Blaschke der DW. "Wir haben massiven Rassismus vor allem im Netz. Immer wenn schwarze deutsche Nationalspieler für die Jugendmannschaften oder die Nationalmannschaft auflaufen, findet man in den sozialen Medien viele rassistische Kommentare."

Kreative Proteste Anschauungsunterricht für andere Demonstrationen

Die deutsche Fußball-Fankultur ist komplex. Einige Vereine wie St. Pauli haben seit langem eine offen linke Identität. Mehrere Personen aus dem Fanlager des Drittligisten Alemannia Aachen gehören dagegen laut Angaben der Polizei der rechten Szene an. Beim Auswärtsspiel in Verl im Januar trugen Anhänger wiederholt Kleidung aus dem rechtsextremen Spektrum, es kam zu Schlägereien mit einigen Verletzten.

Der Verein, der das Problem lange Zeit herunterspielte, hat sich nun klar distanziert: "Jeder, der rechtsextremes Gedankengut verbreitet oder sich durch Kleidung, Symbolik oder Verhalten dieser Szene zuordnet, wird aus dem Stadion verbannt. Es gibt keinen Platz für Nazis bei der Alemannia!"

Immer wieder Ärger mit einigen rechtsextremen Anhängern: das Fanlager von Alemannia AachenBild: Manfred Heyne/foto2press/IMAGO

In vielen anderen Vereinen gibt es sowohl linke als auch rechte Fangruppen. Rico Noack hat festgestellt, dass bei einigen Fans die politische Identität am Spieltag an Bedeutung verliert, wenn die Zugehörigkeit zum Verein Vorrang hat. Er ist auch skeptisch, dass politische Fußballfankulturen eine allgemeine Wirkung auf die Gesellschaft haben können.

Doch Noack glaubt, dass Anhänger eine besondere Macht haben: Wenn sie Proteste organisierten, hätten sie einen konfrontativen und rebellischen Geist, gepaart mit Geschlossenheit und einem Sinn für Humor, der den regulären Anti-AfD-Demonstrationen manchmal fehle.

"Von organisierten Fußballfans kann man durchaus eine Menge lernen: Fußballfans bringen häufig eine Kreativität mit, sie wissen genau, was sie machen müssen, um medienwirksame Bilder zu erzeugen", sagt er.

Die Fanproteste mit Tennisbällen gegen die zunehmende Kommerzialisierung im Profifußball waren am Ende erfolgreichBild: Swen Pförtner/dpa/picture alliance

Droht ein Rückfall in längst überwundene Zeiten?

Susanne Franke ist Vorstandsmitglied der Schalker Fan-Initiative - einer antirassistischen Organisation von Fans, die 1992 gegründet wurde, als gewalttätige rechte Hooligans in Fußballstadien an der Tagesordnung waren. Schalke 04 ist der Vorzeigeverein aus Gelsenkirchen, das zum ehemaligen industriellen Zentrum Deutschlands im Ruhrgebiet gehört. Obwohl die Stadt einst eine Hochburg der Sozialdemokraten war, hat die in Teilen rechtsextreme AfD dort an Boden gewonnen - auch weil der industrielle Niedergang Gelsenkirchen zur ärmsten Stadt Deutschlands gemacht hat.

Franke fürchtet, dass Schalke schlimmstenfalls in Zukunft ein ähnliches Schicksal droht wie dem Nachbarn und größten Rivalen des Vereins, Borussia Dortmund. Dort hatte eine kleine Gruppe von Rechtsextremen die Fanbasis jahrelang unterwandert und Anhänger, die sich gegen Rassismus stark machten, bedroht und eingeschüchtert. Zum Rechtsruck in den Stadien sagt sie der DW: "Es war besser geworden, und jetzt wird es wieder schlechter. An vielen Orten ringen die Fans wieder um die Deutungshoheit."

Für Franke hat die Entscheidung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, mit Hilfe der AfD eine unverbindliche Resolution für eine verschärfte Asylpolitik durch das deutsche Parlament zu bringen, die Arbeit ihrer Fan-Initiative noch dringlicher gemacht. "Für mich fühlt es sich an wie der letzte Kampf für die Demokratie in Deutschland", sagt sie. "Ob man nun Fußballfan ist oder nicht, es ist sehr wichtig, dass man diesen Moment sehr ernst nimmt."