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Politik

"Kampf der Bürger gegen die Mafia"

28. August 2020

Seit über einem Monat wird in Bulgarien gegen die Regierung Borissow demonstriert. Im DW-Interview spricht der Bildhauer Welislaw Minekow über den Kampf der Bulgaren gegen die "Mafia, die den Staat gekapert hat".

Bulgarien I Proteste in Sofia
Sofia: Proteste gegen bulgarische Regierung Bild: picture-alliance/dpa/V. Petrova

DW: Herr Professor Minekow, Sie sind einer der Strategen der Straßenproteste in Bulgarien, vertreten aber keine einzelne Partei oder politische Ausrichtung. Was ist Ihr Ziel, wer sind Ihre Mitstreiter?

Welislaw Minekow: Lassen Sie eins klarstellen: Das ist kein einfacher Protest. Das ist ein Kampf der Bürger gegen die Mafia, die den Staat gekidnappt hat. Wir haben mittlerweile Regionalstrukturen in 36 Städten aufgebaut. Am schwierigsten war es, die unterschiedlichen Gruppen, die sich am Protest beteiligen, zusammenzubringen. Es war nicht einfach, ist uns aber gelungen. In unserem Koordinierungsstab arbeitet mittlerweile ein sehr ernst zu nehmendes Team von Freiwilligen: IT-Fachkräfte, Programmierer, Medienexperten, Politikwissenschaftler, Soziologen. Sie sind echt rührend! Lauter junge Menschen, da sehe ich wie ihr Vater, sogar wie ihr Großvater aus… Ich bin ja Lehrer, Hochschullehrer, jetzt sind sie aber die Lehrer und ich der Schüler.

Vor dem Hintergrund der Proteste in Belarus scheinen sich die westlichen Medien nicht besonders für Bulgarien zu interessieren.

Das stimmt so nicht. In Deutschland wurde über unsere Proteste u. a. in den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern ARD, ZDF und Arte, aber auch in Publikationen wie Spiegel, taz, FAZ und Welt berichtet. Europaweit auch: Guardian, Le Figaro, El Pais. Die europäischen Medien berichten sehr objektiv - Gott sei Dank! Problematisch ist aber die Einstellung der europäischen Politiker, die stillschweigend die ausufernde Korruption und die in Bulgarien regierende Mafia dulden. Gerade diese stillschweigende Duldung erzeugt Zweifel an unserer europäischen Zugehörigkeit.

Welislaw Minekow bei Protesten gegen die Regierung Borissow in SofiaBild: BGNES

Aufruf zum Volksaufstand

Was planen Sie demnächst?

Die nächsten Schritte ergeben sich aus der sehr positiven bisherigen Entwicklung. Wir haben eine nie dagewesene Einigkeit zwischen Menschen und Gruppen von ganz unterschiedlicher Prägung erreicht, die bisher in gegenseitigem Hass gelebt haben. Trotz Angst und Gewalt haben sich mittlerweile mehr als 1 Million Bürger an dem Protest beteiligt. Sie blockieren Straßen, Autobahnen und Grenzübergänge und erzeugen dadurch Druck auf das Regime. Und falls unsere Forderungen nach einem sofortigen Rücktritt des von uns verabscheuten Premierministers und des "götterhaften" Generalstaatsanwalts nicht erfüllt werden, dann erklären wir am 2. September einen Volksaufstand! Denn am 2. September wird der neue Verfassungsentwurf ins Parlament gebracht. Ein lächerlicher Entwurf, den die Regierenden in ein paar Stunden hervorgezaubert haben, der Bulgarien in die Gesellschaft von asiatischen Diktaturen platzieren wird. Und dessen Ziel klar ist: die Mafia will noch sechs Monate überleben, um dann die reguläre Parlamentswahl abermals zu fälschen.

Wie können Sie dafür bürgen, dass die Demonstranten den Protest nicht durch fragwürdige Worte und Taten kompromittieren?

Das ist schwierig. Nach dem wir ein paar Zwischenfälle mit regierungsfreundlichen Provokateuren hatten, haben wir unser eigenes Sicherheitsteam aufgebaut. Bei dem einen Zwischenfall wurde ich mit Benzin übergossen, dank der tapferen Polizisten aber wurde ich nicht angezündet. In einer anderen Nacht stand ich alleine gegenüber 90 schwerbewaffneten Polizisten. Ich habe sie gebeten, würdig zu bleiben und keinen Hass zu schüren. Einer von ihnen bekam Tränen in den Augen. Ich übrigens auch. Die Polizisten haben ihre Würde behalten und sind einige Schritte zurückgetreten. Ja, einige Schwachköpfe wollten einfach, dass Blut vergossen wird. Das wird es aber nicht geben. Wir werden friedlich einen Sieg erringen. Es gibt ja für die Usurpatoren nichts Schlimmeres als einen friedlichen Protest. Mein Lehrer heißt Mahatma Gandhi.

Die Schlüsselfrage aber lautet: Was ist, wenn die Demonstranten, in ihrem Glauben an eine gerechte Sache, ihr Recht auf Protest praktizieren, dadurch aber die Rechte anderer Bürger einschränken?

Gibt es denn eine schadenfreie Revolution? Wenn die Arbeiter streiken, dann wird nicht mehr produziert und es entstehen Versorgungsengpässe. So ist das halt.

Politische Perversität

Sie und Ihre Mitstreiter, der Rechtsanwalt Nikolai Hadschigenow und der Politologe Arman Babikyan, haben sich den beleidigenden Spitznamen, den Ihnen die Regierenden verpasst haben, angeeignet: "Das giftige Trio". Finden Sie das sinnvoll als Marketingstrategie?

Sie haben vollkommen Recht. Der Name passt eher zu Zirkusakrobaten oder Kabarettisten. Es ist aber nun mal so, so sind wir sichtbar geworden, man kann es nicht ändern. Und nochmals: Ja, der Name schadet uns.

Sie sind eigentlich ein international bekannter Künstler. Was hat Sie auf die Straße getrieben?

Es war der Wunsch, endlich durchzublicken: Wo kamen diese ganzen politischen Schmarotzer her? Wo kamen ihr ganzes Geld und ihre Erfolge her? Warum entstand diese ganze politische Perversität in Bulgarien? Es ist eine beschämende Zeit in der bulgarischen Geschichte. Es ist aber auch beschämend für die europäischen Politiker. Den bulgarischen Premierminister behandeln sie wie einen Häuptling, der gerade aus dem Dschungel kommt und sich erstaunlicherweise auf zwei Beinen bewegt. Sieh mal, er hat ja sogar Werkzeuge, er kann ja sogar ein Feuer anzünden! Und: wie der Häuptling, so auch sein Stamm, das ist die Denke. Sie klopfen ihm auf die Schulter und bewerfen ihn mit Milliarden. Sie wissen ganz genau über seine Gier und seine kriminellen Mitstreiter, trotzdem aber denken sie: Na ja, es wird ja auch für das Fußvolk etwas übrig bleiben. Ein paar billige Klamotten, ein Fernseher, ein 20 Jahre altes Auto aus Deutschland…

Sie sind auf vielfache Weise mit Deutschland verbunden. Spielt das zurzeit eine Rolle?

In meinem Selbstverständnis kann ich sowohl ein Bulgare als auch ein Deutscher sein. Mit meiner Biografie, mit meiner Ausbildung und den Fremdsprachen, die ich beherrsche, denke und existiere ich wie ein Europäer. Ich sag's mal so: vor 30 Jahren ist die Berliner Mauer gefallen. Wir, die Bulgaren, haben es damals nicht wirklich wahrgenommen, da am Tag darauf in Bulgarien der langjährige Diktator Todor Schiwkow abgesetzt wurde. Wir liefen der Zeit hinterher. Und heute müssen wir endlich unsere Mauer einstürzen: die Mauer zwischen uns, den Bürgern, und unserem Staat, der von der kriminellen Gruppe der Regierenden gekapert worden ist.

Der international geschätzte Bildhauer Welislaw Minekow hat an der Kunstakademie in Sofia studiert und eine Weiterbildung in Metalldesign in Hamburg absolviert. Zurzeit unterrichtet er an der Kunstakademie in Sofia. Er gehört zum Führungstrio der Straßenproteste in Bulgarien, das von der Regierung als "Giftiges Trio" bezeichnet wird.